Kapitel 39

143 9 6
                                    

Trautes Heim, Glück allein am Arsch. Es waren 30 Grad draußen und ich stand hier alleine auf diesem scheiß Sportplatz. Wenn diese drei verbonzten Kinder nicht in 5 Minuten auftauchten, würden Köpfe rollen. Oder ich rief Noel an. Vielleicht hatte er ja zufällig Zeit? Aah nein nein, ich durfte mich nicht immer auf ihn verlassen, er hatte auch noch ein Leben. Bestimmt war er gerade auf der Arbeit oder machte irgendwas anderes. Ich fragte mich, was er wohl gerade tat? Sicher etwas besseres als ich. "Frau Räthe?" Hörte ich eine Stimme von hinten und drehte mich augenblicklich um. Der Hausmeister. Na toll, es ging los. "Sind sie alleine?" Fragte er mich und schaute sich um.

'Sehen sie hier noch jemand anderes?'

Ja ich weiß, ich durfte meine Laune nicht an ihm auslassen... deshalb dachte ich es ja auch nur! Herr Lück war ein echt netter Kerl, also behandelte ich ihn auch so. "Leider ja. Ich weiß nicht, wo die anderen sind." Ich lief auf ihn zu und schüttelte seine Hand. Zwischen seinem dichten Bart, zeigte sich ein sanftes Lächeln. Haach ihn möchte man einfach jedesmal knuddeln! Nicht weil er attraktiv war, sondern einfach, weil er wie ein süßer, dicker Bär aussah. Er war zwar groß und stämmig aber trotzdem konnte er bestimmt keiner Fliege etwas zu leide tun. "Ach das geht schon, sie helfen mir einfach beim Mähen und dann sind wir damit auch ratzfatz fertig. Die anderen Gören müssen dann eben die Drecksarbeit machen." Seht ihr? Seht ihr? Zum Knuddeln! Der Riese steckte mich sofort mit seinem Grinsen an. "Ok, dann wollen wir mal anfangen, oder?" Voller Enthusiasmus wollte ich gerade losgehen, um den Rasenmäher zu holen, als seine tiefe Stimme mich wieder zum umdrehen brachte. "Wo möchten sie hin? Der Mäher steht dort." Mit dem Finger zeigte er auf das Monster Ding.

'Solche kann ich doch nicht fahren!!'

Das war einer, worauf man saß und dann damit fuhr! Da könnte ich gleich hier alles zerstören. "Ähm...ich kenn' mich nicht mit diesen Fahrzeugen aus..." In seinen Augen fand ich ein wenig Ratlosigkeit, doch die überspielte er mit einem mitleidigem Blick. "Dann... können sie die abgebauten Pavillons schon mal nach drinnen räumen." Fuck. Klar, lass das unschuldige, kleine Mädchen die schweren Sachen tragen. Naja, war ja nicht Herrn Lücks Schuld, dass Evin und die Anderen so asozial waren und mich alleine ließen. Mit einem seufzenden "Ok" begab ich mich also zu den Pavillons und fing an, die Stangen zu sortieren. Sie waren überraschend leicht und ich konnte sie perfekt auf ein Gestell platzieren. Aber wisst ihr... Pavillons für etwa 1200 Schüler haben ein weeenig zu viele Stangen und Planen, damit eine EINZELNE Person sie alle nach drinnen verlegen konnte! Wozu machten wir eigentlich jedes Jahr ein Sommerfest? Nur Grundschüler liebten das. Und wo waren überhaupt diese Arschkekse?! Von einer Stange zur Anderen wurden meine Gedanken immer aggressiver.

'Das reicht! Ich rufe Noel an.'

Meine Augen bewegten sich noch schnell über's Feld, bevor ich dann sicher mein Handy zog. Gespannt wartete ich das Tuten ab und setzte mich auf die Tribüne. Was sollte ich überhaupt sagen? Hey Noel, ich möchte das hier nicht alleine machen, kannst du mir helfen, oder was? Eine wirkliche Begründung hatte ich ja nicht, ne... doch so viel Zeit zum Überlegen blieb mir dann auch nicht. Die tiefe Stimme legte sofort meinen inneren Sturm und ich konnte mich für einen Augenblick beruhigen. "Na Lays, sehnst du dich schon nach einer Woche nach mir?" Tss... oh man, ich merkte gar nicht, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Er hörte sicher mein Lächeln über's Handy. "Aber natürlich Blondie, wie könnte ich es nur ohne dich aushalten?" Sein raues Lachen weckte meine restlichen Sinne. Rauchte er wieder? "Jaja, schieb' dir dein Sarkasmus sonst wo hin."

"Eeey Noel?"

"Jaaa Lays?" Noel hörte sich nicht nur rauchig sondern auch müde an... ob es ihm gut ging? Man ey, jetzt war ich mir auch noch unsicher, ob ich ihn überhaupt fragen sollte. "Du willst nicht zufälligerweise... mir beim Aufräumen des Sportplatzes helfen?" Wieder ein lachendes Ausatmen. Ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie er gerade in seinem Sessel saß, den Kopf nach hinten warf und an die Decke starrte. "Ein bisschen raus gehen wäre sicher nicht schlecht. Jetzt gleich?" Oh, das ging ja... schnell. "Ähm, ja... du weißt ja, wo meine Schule ist. Danke."

"Kein Ding." Sagte er noch ruhig, bevor er dann auflegte. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht. Das war nicht der Blondie, den ich kannte. Hätte ich nicht anrufen sollen? Vielleicht brauchte er eine Auszeit? Aber er meinte, dass es nicht schaden würde rauszugehen... musste er nicht arbeiten?

-------------------------

Noels POV.

Ich legte auf und ließ meinen Kopf nach hinten fallen. Meine Rippen schmerzten mit jedem Atemzug. Ob es so ne gute Idee war ihr zuzusagen? Was soll's, ich musste hier raus. So langsam hielt ich es in diesen vier Wänden nicht mehr aus. Ich solle untertauchen... ein neues Leben beginnen, sagten sie. Nur so könnte ich ihn finden, meinten sie. Bis jetzt hatte ich aber keine einzige verdammte Spur! Letzte Woche bin ich diesem Wichser direkt in die Falle getappt und musste mir auch noch 2 geprellte Rippen und ne Gehirnerschütterung zufügen lassen. Zum Glück war sie nicht zu stark, sonst hätte ich nicht mal Motorrad fahren dürfen. Ok, das durfte ich auch nicht mit meinen geprellten Rippen, aber... das war mir herzlich egal, ich musste schon mit stärkeren Schmerzen fahren. Ich versuchte die frische Stadtluft tief einzuatmen ohne auf das Pochen zwischen meinen Lungen zu achten. Der Sitz begann zu vibrieren als ich den Schlüssel umdrehte und mit jedem Meter zogen die Häuser schneller an mir vorbei. Ein Stück Freiheit wurde in mir entfacht, als ich mit voller Geschwindigkeit über die Landstraße raste. Alle Zweifel, ob ich mich schon anstrengen sollte, wurden verweht und nach guten 10 Minuten konnte ich bereits Layla etwas einsammeln sehen. Sie war noch zu weit weg, als das ich erkennen konnte, was sie da auf dem Boden tat. Ich merkte erst als ich abstieg, dass ich wie ein Blöder grinste. Sie war eben die perfekte Ablenkung vom Alltag. Bis jetzt hatte sie mich nicht bemerkt, obwohl ich mich schon deutlich auf dem Sportplatz befand.

'Blindfisch'

Sooo, womit konnte ich sie am besten erschrecken? Von hinten anschleichen war zu langweilig. Oder ich überraschte sie einfach mit meiner Präsenz. Man, wurde ich einfallslos, wenn ich keine Arbeit hatte. Ungestört lief ich also auf sie zu und nahm mir vier große Stangen. Natürlich ignorierte ich das Stechen unter den Armen und ihre wunderbare Reaktion. "Wow! Wo kommst du denn her??" Hörte ich sie völlig erschrocken sagen. Oh man, wie ich ihre Reaktionen liebte. "Hm? Als ich Chips gegessen hab', flüsterte mir die Lay's Packung zu, ich solle einem gewissen Mädchen helfen. Irgendwie hat mich die Stimme hierher geführt." Ich nahm die nächste 2 Stützen und legte sie auf einer Halterung ab. Vier auf ein mal waren wohl doch noch zu viel. "Ha ha ha! Man bist du witzig." Sagte sie mit einem nicht überhörbaren Unterton und schaute mich mit ihrem typisch drohenden Blick an. Trotzdem konnte sie ein Lächeln nicht unterdrücken. "Du bist ein Idiot, weißt du das Noel?" Und sie kam auf mich zugelaufen. Moment... Fuck sie kam auf mich zugelaufen! "Wart- ouuh!"

'Scheiße scheiße scheiße, tat das weh!'

Ihr Körper presste sich bereits gegen meinen, während ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Eine Hand drückte ich auf meinem Mund und die Andere war an ihrem Kopf. Das hörte sich seltsam an, wenn man nur diesen Satz las... aber darum ging es ja gerade nicht, sonst stürmte sie doch nie so auf mich zu?! Meine Rippen fühlten sich wieder so an, als würden sie zerbrechen und ich löste mich langsam aus ihrer Umarmung. Zum Glück fiel Lays nichts auf. Ich wollte nicht wieder in ihr schmerzerfülltes Gesicht blicken, wie das letzte mal als sie meine Narben sah. "Also." Fing ich an. "Nur diese Zelte? Und dafür brauchst du meine Hilfe? Ich habe dich stärker eingeschätzt..." Ich verschränkte meine Arme vor meiner Brust und schaute sie mit hochgezogenen Brauen an. Wie ein Spiegel stellte sie sich in die gleiche Position, doch sie brachte ihren Satz nicht zu ende. "Das Selbe könnte ich dich fragen. Nur zwei Stäbe? Das ist echt..." Ihre Blauen Augen blickten direkt an mir vorbei und ich drehte mich um. Selbstverständlich. Das Zielobjekt war Eee...vin? Jap, Evin. Der Braunhaarige lehnte sich an den Cabriolet von der Frau, die ihn hierher kutschiert hatte. Sie waren weit weg, deshalb erkannte man nicht viel. Genug aber um den Kuss zu sehen, den er ihr gab. Mir machte es natürlich nichts aus, ich war weder schwul noch kannte ich diese Frau. Als ich mich aber wieder zu Layla wandte, hatte ich einen verletzteren Ausdruck erwartet. Nicht mal ihre Augen verrieten etwas. Nur ein stures Starren in Richtung des Jungen. "Keine Reaktion?" Fragte ich sie.

"Nein... jetzt, wo ich ihn wieder ein anderes Mädchen küssen sehe, empfinde ich nur ekel. Wie konnte ich mich überhaupt auf ihn einlassen?" Sie verzog ihr Gesicht und schüttelte den Kopf. "Auf der Klassenfahrt meinte er auch noch, dass er mich definitiv bekommen wird. Er wird mich auf keinen fall mehr rumkriegen."

'Gut, denn das hätte ich auch nicht zugelassen.'

Ich schaute wieder rüber zu Evin, der nun auf uns zu lief. Und dann kam es mir in den Sinn.
Etwas, was ich lange bereute.

It's complicated | #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt