Kapitel 45

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Ich drehte mich um und wollte wieder in die Küche gehen, doch er hielt mich fest. "Warte, ich..."

"Was?" Ich bückte mich zu ihm runter und hielt mein Ohr an seinem Mund.

"Ich muss dir etwas sagen..." Eigentlich wollte ich mich losreißen und weggehen, weil er nur noch mehr erzählen würde. Doch er hielt mich mit seiner linken Hand fest... da hätten seine Wunden sich nur wieder  geöffnet. Sein heißer Atem striff mein Ohr. "Ich glaube, ich muss kotzen." Warte, was?! Ach komm schon! "Okay, okay ähm... lass mich los, dann hol ich einen Eimer!" Scheiße, so gut kannte ich seine Wohnung auch wieder nicht! Im Wohnzimmer befand sich nur ein Mülleimer ohne Beutel... scheiß drauf! Ich rannte zur Ecke, schnappte ihn mir und lief wieder zu ihm rüber. Gerade als ich den Papierkorb unter seinem Kopf hielt, kamen schon ein paar Reste von gestern Nacht bei ihm hoch. Gosh, ich hasste dieses Würggeräusch. Ich kniff meine Augen zusammen und drehte meinen Kopf zum Fernseher hin. Als ich nur noch die Musik aus den Lautsprechern hörte und es seinerseits still war, schaute ich wieder zu ihm. Noel legte sich erneut auf den Rücken und ließ sein linken Arm runterhängen. "Fuck..." Kam es flüsternd von ihm. Ja genau... fuck. "Tut mir echt leid, dass du mich so sehen musst." Ich stellte den vollgekotzten Eimer wieder hin, setzte mich vor ihm und grinste schief. "Und, geht's dir schon besser?"

"Überraschenderweise ja. Alles auszukotzen ist echt nicht schlecht, solltest du auch mal ausprobieren." Oh man, wenigstens konnte er es mit Humor nehmen. Wir lachten gemeinsam und schauten uns an. Er sah wirklich etwas besser aus. "Deine Wunden sind nicht entzündet, dann kommt das Fieber wohl von dem starken Stress. Ich bring dir ein Tuch." Ich nahm den Abfallbehälter und stellte ihn erstmal ins Bad, ich wollte mich doch nicht ins Verderben stürzen... Mit einem nassen Handtuch und ein Glas Wasser kam ich wieder und reichte es ihm. "Danke." Murmelte er und nahm einen großen Schluck. Ich fasste ihn noch mal an die Stirn und tatsächlich, sie war nicht mehr ganz so heiß. Trotzdem fühlte sich ein kühles Tuch bestimmt noch gut an. "Aah, das ist perfekt. So könnte es fast bleiben." Sagte er, als ich es ihm auf die Stirn legte. "Schlaf lieber noch ein bisschen, dann bist du morgen wieder fit." Entgegnete ich ihm und setzte mich wieder auf den Sessel. "Mhm..." Hörte ich noch leise und drehte mich wieder um. Seine Blonden Haare waren nicht wie immer nach hinten gestylt, sondern fielen ihm wirr ins Gesicht. Sie sahen so weich aus... mir fiel auf, dass ich sie noch nie angefasst hatte. Okay das hörte sich seltsam an. Aber hattet ihr nicht auch schon mal das Bedürfnis, durch die Haare eines Anderen zu wuscheln, weil sie so mega fluffig und weich aussahen?? Gosh, ich liebte das Gefühl. Naja, aufjedenfall schlief Noel wieder. Er musste wirklich erschöpft gewesen sein... dass er sogar Fieber davon bekam. Er machte nie den Eindruck, als würde ihn etwas bedrücken. In diesem Moment erinnerte ich mich an all die anderen Situationen, wo er sich seltsam oder abweisend verhielt. Das erste Mal, als ich bei ihm Zuhause war und seine Narben sah, das zweite Mal auf dem Sportplatz und dann heute... wie lange ging es ihm schon so schlecht? Hasste seine Familie ihn wirklich? Aber warum?! Was für einen Grund konnte es geben, dass er derart verstoßen wurde? Ich konnte es nicht verstehen. Wie auch?! Ich wusste nichts über ihn! Und wahrscheinlich hätte er mir niemals soetwas verraten, wenn er kein Fieber gehabt hätte. Ein neuer Mensch lag vor mir, als würde ich ihm zum ersten Mal begegnen. Meine Sicht von Blondie verschwamm immer mehr. Ich war mir nicht sicher, ob ich darauf hoffen sollte, dass er sich an heute erinnerte oder nicht. Entweder er würde es bereuen und sich noch weiter von mir entfernen oder er würde mir alles erzählen, weil er sich dazu gezwungen fühlte. Toll. Bei Beiden würde ich mich als eine Belastung sehen. Achja und würde Noel sich nicht erinnern... hätte er es mir sicher noch immer nicht erzählt und dann würde es sich auch noch anfühlen, als würde er mir nicht vertrauen.

'Man ey, selbst Freundschaften sind anstrengend und kompliziert'

Nach etwa 3 Stunden, indem ich gefühlte tausend Mal das Handtuch neu nass machte, war sein Fieber endlich verschwunden. So langsam wurde ich auch Müde, ich konnte gestern Nacht nicht gut schlafen. Das seltsame war, dass ich nicht einmal an meinen Vater denken musste, sondern ständig an Blondie. Diese Sache war auch noch nicht gelöst. Aber sie konnte warten... meine vollste Aufmerksamkeit schenkte ich erstmal der mysteriösen Schatztruhe in Form eines Mannes, der neben mir lag. Inzwischen hatte ich den Sessel neben der Couch gestellt, sodass ich schneller seine Temperatur abchecken konnte. Ich legte ein letztes Mal meine Hand auf seine Stirn und konnte mit Zufriedenheit feststellen, dass sie nicht wieder heiß geworden war. Mit meinen Fingern glitt ich sanft durch seine Haare und beobachtete fasziniert ihre Struktur. Sie waren genau so weich, wie sie aussahen und schmiegten sich perfekt an meine Haut. Nach jeder Minute in der ich seinen Kopf krauelte, wurden meine Augenlider schwerer und ich konnte den Drang sie zu schließen kaum wiederstehen. Selbst seine Haare hatten eine beruhigende Wirkung auf mich. War das seltsam? Neiiin. Sonst wäre ich am Ende ja auch nicht eingeschlafen...

It's complicated | #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt