Es war eine ziemlich kurze Nacht, denn Falrey wurde noch vor dem Mittag durch einen Tritt in die Rippen geweckt. Stöhnend drehte er sich auf den Rücken und blinzelte zu Jaz hinauf.
„Sag mal, hast du da eigentlich Stahl drin oder was?", fragte er und deutete missmutig auf die Stiefelspitzen.
Ein spöttisches Grinsen zuckte um Jaz Mundwinkel. „Ja."
Falrey rappelte sich murrend auf und warf ihm einen bösen Blick zu.
Jaz Grinsen breitete sich auch auf den anderen Mundwinkel aus.
Falrey schnaubte und zog sich die Tunika über den Kopf.
Um Al standen sie in der Adlergasse gegenüber von Kurgevids Haus. Falrey fragte sich, warum sie nicht einfach hingingen und anklopften, aber Jaz schien nirgendwo hinzugehen, ohne nicht vorher die Lage genau abzuklären. Schliesslich riss Falrey der Geduldsfaden und er sagte: „Wir sind nicht vertrauenserweckender, wenn wir zuerst eine halbe Ewigkeit vor seinem Haus herumlungern."
Jaz sah ihn schräg an und Falrey bemerkte ängstlich, dass er wir gesagt hatte, aber Jaz schlug ihn nicht, sondern überquerte die Strasse und betätigte den schweren, eisernen Türklopfer, der in Form eines Blumenkranzes geschmiedet war. Es dauerte nicht lange, bis ihnen eine junge Frau in einem blauen Kleid und ledernen Sandalen öffnete. Falrey konnte nicht recht abschätzen, ob sie eine Angestellte war oder vielleicht Kurgevids Tochter.
„Ja?", fragte sie.
„Ist das hier das Haus des Händlers Kurgevid?", fragte Jaz und Falrey bemerkte nervös, dass seine rauhe, kalte Stimme am Eingang dieses vornehmen Hauses völlig deplatziert schien.
Die Frau musterte ihn von Kopf bis Fuss. „Ja, warum?"
„Können wir mit ihm sprechen?"
Sie musterte ihn nochmal prüfend und ihr Blick blieb an seinen fingerlosen Handschuhen hängen, bevor er zurück zum Gesicht huschte. „Wozu?"
Bevor Jaz dazu kam, wieder irgendeine Lüge aufzutischen, trat Falrey vor ihn und sagte freundlich: „Das ist eine etwas komplizierte Geschichte. Eigentlich möchten wir ihn nur etwas fragen, eine seiner Handelsreisen betreffend."
Die Frau sah ihn überrascht an und Falrey wusste, dass er wieder mal gerade erst bemerkt worden war. Aber offenbar machte er einen sympathischeren Eindruck als Jaz, denn das Misstrauen in ihrem Gesicht löste sich auf, sie trat einen Schritt zurück und meinte: „Dann folgt mir."
Sie führte sie durch einen Flur, von dem mehrere Türen und eine Treppe abgingen, hinaus in einen sonnigen Innenhof. Entlang der Wände waren Schilfdächer aufgespannt, die etwas Schatten spendeten, in der Mitte wuchsen Pflanzen und Blumen um ein kleines Wasserbecken. Das Wasser schien zwar schon länger dazustehen und war nicht mehr sauber, dennoch war es etwas vom schönsten, was Falrey gesehen hatte, seit er nach Niramun gekommen war. Verzaubert liess er seine Augen über diesen wunderbaren Ort schweifen, diese kleine, grüne Oase inmitten von Stein und Staub. Auch Jaz Blick flackerte hin und her, als versuchte er alles gleichzeitig zu sehen, aber Falrey konnte nicht herausfinden, ob aus dem gleichen Erstaunen wie er, oder eher auf der Suche nach dem besten Fluchtweg.
Die junge Frau war durch den Perlenvorhang vor einer Türöffnung getreten und sie hörten sie leise sprechen. Falrey glaubte irgendwas von „zwei schrägen Typen" zu verstehen und dachte, dass er und Jaz tatsächlich auf die meisten Leute einen ziemlich merkwürdigen Eindruck hinterlassen mussten. Ein hochgewachsener, dünner, leichenblasser Jugendlicher mit einem starrendem Blick und einer Stimme wie einer Rasierklinge und ein kleiner Junge mit der Angewohnheit plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen.
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Niramun I - Nachtschatten
FantasyNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...