Jaz kam bald wieder auf die Beine, was Falrey eigentlich für unmöglich gehalten hatte angesichts der Tatsache, dass er jeden Versuch von Emila, ihn zum Essen zu bringen, vehement verweigerte. „Ich krieg das jetzt echt nicht runter", meinte er. „Oder ich gebs gleich wieder her."
Als Emila schliesslich auf Patientenbesuch gegangen war, geisterte er unruhig in der Küche herum, blass und mit eingefallenen Wangen. Falrey beobachtete ihn eine ganze Weile lang und als Jaz schliesslich Luft holte, wusste Falrey bereits, was er sagen wollte. „Soll ich dir einen Krug Bier holen?"
Jaz blieb einen Augenblick lang vor Überraschung der Mund offen stehen, dann begann er heiser zu lachen, bekam einen Hustenanfall und reichte Falrey das Geld.
Als Falrey zurückkehrte, schenkte Jaz zwei Becher voll ein und für einmal protestierte Falrey nicht, sondern setzte sich an den Tisch und trank mit ihm.
„Ich frage mich, was ich jetzt tun soll", meinte er nach einer Weile. „Wenn ich keine Arbeit finde und überhaupt."
Jaz schien nachzudenken. „Ich hab da vielleicht eine Idee", meinte er schliesslich.
Falrey sah ihn sofort alarmiert an. Jaz verstand unter einer guten Idee mitunter etwas leicht anderes als er.
„Aber da sollte ich vielleicht am besten mit Pliss sprechen", fuhr Jaz fort.
„Aha?", meinte Falrey. „Moment mal... wieso genau mit Pliss?!"
Jaz Narbe zuckte und Falrey schwante Übles, was seinem Gesichtsausdruck offenbar leicht zu entnehmen war, denn Jaz begann zu lachen. „Mann, ich verhöker dich schon nicht in irgendein Schwuchtelbordell. Ich dachte eigentlich mehr an son Job wie Tomi. Aber ich weiss halt nicht, ob wo was frei ist."
„Bestimmt nicht", sagte Falrey, von plötzlicher Deprimiertheit ergriffen. „Ich hab immer so ein Pech, das kann gar nicht klappen."
Jaz sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an. „Ich würd eher sagen, du hattest ziemlich oft Glück bis jetzt. Immerhin lebst du noch."
„Vielleicht ist ja genau das mein Pech", murmelte Falrey. „Nein, echt. Das Pech verfolgt mich von Geburt an. Weil ich..."
„Also ich finde, du hast es gar nicht schlecht getroffen", bemerkte Jaz. „Du bist in nem Wald aufgewachsen und du hattest fünfzehn Jahre lang eine Mutter."
Das heiterte Falrey auch nicht sonderlich auf, denn es erinnerte ihn daran, dass seine Mutter tot war. Ausserdem war ihm gerade etwas schmerzlich klar geworden. Selbst wenn Jaz ihm über Pliss eine Arbeit vermitteln konnte, die gar nicht sooo schlecht war, sie würde niemals gesellschaftsfähig und ehrbar sein. Und damit blieb Nemi für immer ausserhalb seiner Reichweite. Er ächzte und liess den Kopf auf die Tischplatte sinken.
„Hm", meinte Jaz. „Ich glaub ich nehm dir das Bier mal besser wieder weg."
Falrey hatte nichts dagegen einzuwenden. Stattdessen besiegte er in der Dunkelheit seiner Arme den Drang vor Enttäuschung loszuheulen und dachte nach. Er war also weiterhin von Jaz abhängig – von Jaz, nicht von Emila, das war ihm jetzt endgültig klar – und würde es wohl für lange Zeit bleiben, auf die eine oder andere Weise. Also konnte er nur hoffen, dass Jaz weiterhin alle Kämpfe gewann, jeden Gegner besiegte und dem Tod immer wieder von der Schippe sprang. Aber Hoffnung zählt nichts, begriff er. Sie war wirkungslos. Tatsachen liessen sich nur durch Taten beeinflussen. Wenn er wollte, dass Jaz sicher am Leben blieb, dann musste er dafür sorgen, dass er es tat. Ihm war bewusst, dass das zumindest vorerst kaum in seiner Macht stand, bei dem Leben, das Jaz führte, und bei seinem rekordverdächtigen Unwillen, irgendwelche Ratschläge zu befolgen. Aber es war immerhin ein Ziel.
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Niramun I - Nachtschatten
FantasíaNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...