Als Jaz seinen Krug leer hatte, zogen sie erneut nach draussen und über den Platz, und Falrey liess sich dadurch versöhnen, dass sie eine ganze Weile bei den Feuertänzern stehen blieben, die brennende Stäbe und Kugeln durch die Luft wirbeln liessen, einander zuwarfen und wieder auffingen. Der eine trug eine lange, flammende Peitsche und trieb damit einen anderen vor sich her, der drei Fackeln jonglierend vor dem Feuer an seinem Hintern davonhüpfte, ein anderer drehte einen Stab in den Händen, an dessen Enden zwei brennende Kränze waren wie kleine Sonnen, eine Frau mit dunklen Haaren und weiten, durchscheinenden Hosen tanzte mit zwei grossen Feuerfächern, so dass es wirkte, als wäre sie ein riesiger Schmetterling, dessen Flügel brannten. Falrey folgte gebannt den hin und her springenden und wirbelnden Flammen mit den Augen und spürte ihre Hitze im Gesicht, stärker und schwächer werdend im Takt der Trommelschläge, und es fesselte ihn völlig, die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, die Anmut der Bewegungen, die scheinbare Gefahr, das Flackern von Licht und Schatten zog ihn mit sich. Er erinnerte sich, wie er als Kind die Flammen im Herd beobachtet hatte und versucht, in ihnen ein Muster zu finden. Es war ihm niemals gelungen, aber der Anblick der Flammen hatte ihn fasziniert. Sie waren durchscheinend und ständig in Bewegung, und doch sahen sie aus, als hätten sie Form, und als würden sie sich weich anfühlen, wenn man sie anfasste, wie ein zarter Schleier aus Seide.
Dann dachte er plötzlich an Nemi, und einen Augenblick lang wünschte er sich, sie wäre jetzt hier, und würde die Feuertänzer mit ihm sehen und ihm erzählen, was sie dabei dachte. Er stellte sich vor, wie das Flackern der Flammen sich in ihren Augen spiegelte, und merkte, wie sein Herz schneller schlug. Wäre sie dagewesen, er hätte die Gaukler vermutlich keinen Herzschlag lang mehr angesehen. Und für einmal hielt die spöttische Stimme in seinem inneren den Mund.
Zwei Männer aus der Gruppe traten vor mit Fackeln in den Händen, und die Trommeln setzten zu einem Wirbel an, während sie die Köpfe nach hinten neigten und dann unvermittelt nach vorne rissen und Flammenfontänen spien, die bis über die Köpfe der Zuschauer stiegen. Jubel und Anfeuerungsrufe stiegen auf, als sie erneut spuckten, dann trat die Frau zwischen sie. Sie trug nun einen langen Rock, dessen Saum bis an den Boden reichte, und aussergewöhnlich schwer schien. Langsam fing sie an sich im Takt der Musik zu drehen, erst schleppend, dann schneller und schneller, bis der Rock wie ein Teller um sie herum schwebte. Die beiden Männer streckten ihm ihre Fackeln entgegen und plötzlich stand der ganze Rocksaum in Flammen. Vereinzelte Stimmen aus der Menge schrien auf, aber die Frau drehte sich nur weiter, unbeirrt und ohne aus dem Gleichgewicht zu kommen, wie ein feuriges Rad, während die Männer erneut ihre Fackeln hoben und Flammenlanzen über den Nachthimmel spuckten.
Als die Vorstellung endete und die Gaukler mit ihren Hüten herumgingen, fühlte sich Falrey aufgekratzt, als hätte das Feuer ihn angesteckt. Er lief Jaz hinterher, um ihn in der sich auflösenden Menge nicht zu verlieren, und sie betraten erneut eine Schenke. Mittlerweile war die Stimmung drinnen von leicht angeheitert zu deutlich angetrunken geschwappt und überall krakeelten Leute durcheinander, wobei ein Teil davon schon nicht mehr ganz sicher auf den Beinen wirkte. Jaz holte sich ein Bier und sie traten an einen der Stehtische ziemlich in der Mitte des Raumes, wo das Getümmel am wüstesten war. Es dauerte nicht lange, bis irgendjemand Jaz anrempelte und der liess prompt seinen Krug fallen, und stolperte gegen den Tisch, bevor er sich zum Schuldigen umwandte. „Hast du sie noch alle?!"
Falrey war einen Augenblick lang irritiert. Er kannte Jaz mittlerweile genügend gut, um zu erkennen, wann er wirklich wütend war. Und im Moment war er es definitiv nicht. Ausserdem hatte das eben eher gewirkt, als hätte er sein Bier absichtlich fallen gelassen. Trotzdem packte er den Typen an der Schulter und fluchte ihn an: „Hast du keine Augen im Kopf oder kein Hirn? Das Bier zahlst du mir!"
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Niramun I - Nachtschatten
FantasyNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...