Sie lagen auf dem Dach von Famarinds Haus. Falreys Bauch schmerzte von dem kalten, harten Stein darunter, aber er lag genau so still da wie Jaz, den Blick auf die Fenster im Innenhof gebannt. Famarind war Jaz zweites Opfer für die Asthora. Den ersten Mann, Givian, hatte er alleine in einer dunklen Gasse erwischt, zumindest hatte er es Falrey so gesagt.
Es war, wie der Asthora gesagt hatte: Givians Tod schien Famarind vorsichtiger gemacht zu haben. Als sie ihm vorher einmal gefolgt waren, weil Jaz hatte ausmachen wollen, welchen der Männer er zuerst töten würde, war er alleine umhergegangen. Jetzt traute er sich nur noch mit mindestens einem Leibwächter aus dem Haus und vor der Türe seines Hauses stand ebenfalls eine Wache. „Sinnlos", hatte Jaz gesagt. „Wer rein will, um ihn zu töten, geht durch den Innenhof."
Famarinds Haus war sehr ähnlich aufgebaut wie das von Kurgevid und anderen Schmarotzern: ein grosser, viereckiger Kasten mit drei Stockwerken und einem geräumigen Innenhof. Um den Hof herum führte ein Säulengang und in dem Stockwerk darüber waren grosse Fenster. Jaz plante durch eines dieser Fenster direkt in Famarinds Schlafzimmer einzusteigen und ihn in seinem Bett zu töten. Sie hatten das Haus drei Nächte lang beobachtet. Heute würde er zuschlagen.
Einige Zeit nach Mitternacht, lange nachdem das Licht im letzten Zimmer ausgegangen war, kroch Jaz von der Dachkante zurück und richtete sich auf. Er holte das Seil mit dem Haken, das er bereits beim Einstieg ins Archiv verwendet hatte, aus seiner Kleidung hervor und verankerte es an einem Kamin, dann robbte er zur Dachkante zurück und liess es langsam hinunter. Bevor er begann zu klettern, drehte er sich noch einmal zu Falrey um. Lautlos formte er ein Wort. Wahi! Dann war er hinter der Kante verschwunden.
Falrey zog sich etwas zurück. Wahi bedeutete, er sollte hier bleiben und sich nicht sehen und hören lassen. Er kroch in den Schatten des Kamins und begann zu warten. Seine Finger waren fast ganz verheilt, allerdings war die neue Haut noch empfindlich und juckte, sodass er immer aufpassen musste, dass er sie nicht aufkratzte. Er hatte über Jaz Worte nachgedacht, dass er es mit Schwung versuchen sollte, und musste zugeben, dass es nicht ganz falsch klang. Seine Finger waren offen, weil er lange an der Kante gehangen hatte, wäre er schneller hochgekommen, hätten sie vielleicht keinen Schaden genommen. Das bedeutete, er musste springen und sofort anfangen an der Wand hochzulaufen und sich dann über die Kante stemmen. Allerdings hatte er es noch nicht versucht, er wollte warten, bis die Haut an seinen Fingern wieder robust war.
Der weit merkwürdigere Teil an der Sache war, wie Jaz wissen konnte, woher er die Wunden hatte. Hatte er ihn etwa gesehen? Das war unwahrscheinlich. Also musste er es an der Art der Verletzung erkannt haben. Vielleicht hatte Jaz schon den gleichen Fehler gemacht. Falrey fand die Vorstellung, dass auch Jaz Fehler machte, irgendwie tröstlich.
Plötzlich straffte sich das Seil, das am Kamin befestigt war, und kurz darauf hievte sich Jaz dunkle Gestalt auf das Dach. Er rollte das Seil ein und verstaute es in seiner Kleidung, dann winkte er Falrey mitzukommen. Sie gingen einige Dächer weit und stiegen dann eine schmale Metallleiter hinunter. Falrey musterte Jaz. Das silberne Licht des fast vollen Mondes liess sein Gesicht noch bleicher wirken als sonst. Falrey sah auch das Blut an Jaz Händen und Ärmeln und die Spritzer in seinem Gesicht. Er schauderte. Normalerweise war Jaz sauberer nach einem Mord.
„Musstest du kämpfen?", fragte Falrey.
Jaz verzog das Gesicht. „Er ist aufgewacht und hat sich gewehrt, versucht um Hilfe zu rufen."
„Ich hab ihn nicht rufen gehört."
Jaz warf ihm einen Blick zu. „Man kann nicht rufen mit durchschnittener Kehle. Aber zappeln schon. Und dann war da noch die Frau."
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Niramun I - Nachtschatten
خيال (فانتازيا)Niramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...