Kapitel 87 - Die Maske

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An diesem Abend ging Falrey zum ersten Mal alleine zu Jeleriks Bordell. Er hatte keine grosse Mühe, es zu finden, auch wenn er sich auf dem Weg ein oder zwei Mal in einer Gasse irrte, in den letzten zehn Tagen war er die Strecke oft genug gegangen. Vor ein, zwei Monaten hätte es ihm vielleicht noch Angst gemacht, selbst um diese frühe Abendzeit alleine unterwegs zu sein, aber mittlerweile wusste er, dass die wirklich gefährlichen Zeiten viel später begannen, wenn die Fackeln erloschen waren. Jaz nannte sie die schwarzen Zeiten, Sek, Rok, Luf und Hap, wenn die meisten Feiernden nach Hause gegangen waren und bevor der Morgen im Osten begann zu dämmern und sich auch die dunklen Ecken schlafen legten.

Allein klopfte er an die Hintertür und Muyma öffnete ihm. Wortlos liess sie ihn eintreten, wie immer – sie war stumm, ob von Geburt an oder durch eine Krankheit wusste er nicht. Eingestellt von Jelerik war sie als Köchin, aber in einem Bordell bedeutete dieser Posten eine ganze Menge mehr als nur zu kochen. Sie hatte darauf zu achten, dass die Mädchen immer sauber und gepflegt auftraten und die Hygienestandards des Lokals einhielten, dass sie auf ihre Körper und ihre Gesundheit achteten. Ausserdem war sie dafür zuständig, dass sie nicht schwanger wurden, aber wie sie das anstellte, war Falrey ein Rätsel.

Er trat in die Küche, wo eben Samalja und Ezali noch zu Abend assen, bereits weitestgehend zurechtgemacht für die Nacht, und kicherten. Die beiden waren vielleicht knapp zwanzig und schienen sich gut zu verstehen, auch wenn sie aussahen wie Tag und Nacht: Samalja mit langen, dunklen Locken, fast schwarzen Augen und demselben dunkleren Hautton wie Awas, Ezali daneben blond, hell und die Augen so blau wie Eiswasser, die eine mit vollen Lippen und wiegenden Hüften, die andere klein, fast elfenhaft, mit einem spitzbübischen Grinsen. Sie blickten auf, als er ihnen im Vorübergehen zunickte und Ezali liess beinahe den Löffel fallen.

„Ojeeeeh!", rief Samalja aus.

„Was?", fragte er verwirrt.

„Dein Gesicht", meinte Samalja und deutete auf seine Wange.

Ach ja. Da war ja was. Eigentlich erstaunlich, dass Emila nichts gesagt hatte, oder ihn dafür zusammengestaucht, aber sie hatte allgemein fahrig gewirkt, als er gegangen war, um nicht zu sagen völlig neben sich. Mehrere Male hatte sie irgendetwas fallen lassen, während sie ihm etwas zu essen hingestellt hatte. Er hatte versucht, sie zu mustern, ohne dass sie es bemerkte, aber sie war zu rastlos, hielt zu wenig still dafür. Alles, was er herausfand, war, dass sie zornig war, und das war ohnehin klar.

Ezali stand auf und stemmte die Hände in die Seiten, während sie ihn begutachtete. „Das geht so nicht!"

„Was geht nicht?", fragte er stirnrunzelnd.

„Das!", meinte sie und hätte ihm ins Gesicht gepikst, wäre er nicht automatisch zurückgewichen. „So kannst du doch nicht vor die Leute!"

„Wieso nicht?" Er verschränkte seine Arme. „Ihr sollt hübsch aussehen, nicht ich. Tut ihr übrigens auch", fügte er hinzu, um von sich abzulenken.

Ezali verwarf die Hände. „Du siehst aus, als wäre eine Horde Kamele über dich getrampelt!"

„Das ist mein Spruch", schmollte Samalja. „Aber sie hat Recht. Da muss man was machen."

„Was machen?", fragte er unsicher.

„Kümmern wir uns drum!", meinte Ezali energisch. „Umziehen, sofort!"

Er wollte protestieren, aber ihm wurde klar, dass es keinen Sinn hatte. Er fragte sich, was sie mit ihm vorhatten und verzog sich in sein Kämmerchen.

Kurze Zeit später sass er in Arbeitskleidung in einem der Zimmer und bekam Puder ins Gesicht geklatscht. Schicksalsergeben liess er es über sich ergehen und versuchte möglichst still zu halten, um nichts ins Auge zu bekommen, während die beiden Mädchen kichernd um ihn herumwuselten, mit Pinseln, Töpfchen und Kohlestiften in den Händen. Ezali hielt ihm die Haare aus dem Gesicht, während Samalja irgendetwas auf seine Wange kleisterte und dabei konzentriert auf der Unterlippe kaute. Es fühlte sich angenehm kühl an, trotzdem war ihm das ganze alles andere als geheuer.

Niramun I - NachtschattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt