Am nächsten Morgen wachte Falrey ungewöhnlich früh auf. Das Haus lag noch im Schatten der östlichen Kraterwand und er überlegte sich, ob der sich nicht einfach umdrehen und weiterschlafen sollte. Allerdings war er überhaupt nicht müde – und er musste mal.
Mit einer Drehung wälzte er sich von der Matratze und landete in der Hocke auf den Füßen, streckte sich, dass sein Rücken knackte, gähnte und streifte sich die Tunika über, die er zum Schlafen abgelegt hatte. Ein Blick auf die Betten sagte ihm, dass Emila schon wach war, Jaz aber noch friedlich schlief. Wobei, beim friedlich war sich Falrey nicht so sicher, als er den harten Griff betrachtete, mit dem Jaz seine Decke umklammerte.
Er schnallte sich den Gürtel um, faltete seine Decke zusammen und verließ leise den Raum. Schon von der Treppe aus konnte er Emila sehen, die mit einem Lappen den Tisch abwischte, mit dem Rücken zu ihm. Leise durchquerte er den Raum und trat neben sie. Sie zuckte leicht zusammen, da sie ihn nicht kommen gehört hatte, sich das aber von den letzten Tagen her schon fast gewohnt war. „Schon wach? Gut geschlafen?"
„Mhm", antwortete er und nickte. Dann schnitt er sich eine dicke Scheibe von dem Brot, das auf der Ablagefläche lag, ab und füllte sich einen Becher. Das würde reichen, wenn es auch nicht gerade das beste Frühstück war, denn das Wasser schmeckte schal wie immer und das Brot, das nicht aus Getreide sondern aus Jarukmehl bestand, war gewöhnungsbedürftig.
Emila richtete sich auf und legte den Lappen beiseite. Ihn von Kopf bis Fuß musternd sagte sie: „Ich mache heute Waschtag. Soll ich deine Kleider auch waschen?"
Überrascht um eine Antwort bemüht, versuchte er das trockene Brot hinunterzuschlucken, was in einem Hustenanfall resultierte.
„Nötig hätten sie es jedenfalls", fügte Emila hinzu. „Du übrigens auch."
Falrey blickte an sich herunter und musste zugeben, dass sie recht hatte. Seine Kleidung war schmutzig, staubig und verschwitzt von der Reise, bei ihm selbst verhielt sich das kaum anders. Kein Wunder, seit er sich das letzte Mal richtig gewaschen hatte waren Wochen vergangen. Und diese Kleider trug er schon, seit er losgelaufen war und das war – er rechnete schnell nach – fast drei Monate her. Wahrscheinlich rochen sie grauenhaft, er nahm es nur nicht mehr wahr, weil er sich so daran gewöhnt hatte.
„Es ist nur", erwiderte er zögernd. „Ich habe nur diese, keine zum Wechseln."
Emila runzelte die Stirn, dann erhellte sich ihr Gesicht, als ihr eine Lösung für das Problem einfiel. „Ich weiß wie wir das machen", meinte sie. „Du gehst ins Bad, ziehst dich um und gibst mir deine Kleider. Ich wasche sie und bring sie dir zurück. Was hältst du davon?"
Falrey nickte schnell. Das klang, als ob es aufgehen würde – auch wenn er sich einmal mehr äußerst nutzlos vorkommen würde, wenn Emila die ganze Arbeit machte und er nur... ja was eigentlich? Emila hatte davon gesprochen „ins Band zu gehen", aber irgendwie konnte er sich darunter nichts vorstellen. Allerdings wusste er nicht, wie er nachfragen sollte: „Entschuldige, aber was ist denn ein Bad?", klang ziemlich dämlich und als hätte er sich in seinem Leben noch nie gewaschen. Also fragte er lieber nicht, sondern aß schweigend zu Ende.
Währenddessen packte Emila einen Korb mit Seifen, Bürsten, Waschbrett und der schmutzigen Wäsche, darunter Bettwäsche, Verbände, die zwar schon vorgespült waren, aber noch gründlicher gereinigt werden mussten, ein Rock und zwei Blusen von ihr, sowie die dreckigen und blutigen Kleider, die Jaz an dem Abend getragen hatte, als Falrey ihn das erste Mal gesehen hatte. Überrascht bemerkte er, dass sie praktisch gleich aussahen wie die, die der Junge jetzt trug: schwarzes Hemd, schwarze Hose, dunkelgraue Tunika. Es schien Jaz' bevorzugte Kleidung zu sein.
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Niramun I - Nachtschatten
FantasyNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...