Jaz kehrte am späteren Nachmittag zurück, ziemlich beladen mit einem grossen Sack Jaruks, einem verschlossenen Krug Lampenöl, einer Rolle hellen Stoffs, einem Bündel Fackeln, zwei schmalen Brettern und einem Haufen anderer Dinge. Wegen der Bretter hatte er einige Mühe, durch die Tür zu kommen. Er sprach den ganzen Rest des Tages mit niemandem mehr, das einzige, was man von ihm hörte, waren seine Flüche über den Handbohrer, als er die Bretter als Regale im oberen Zimmer zu befestigen versuchte.
Sie brachen diesmal erst geraume Zeit nach Sonnenuntergang auf und Jaz ging schnurstracks in die Nächste – vielleicht auch übernächste – lärmige und stinkende Taverne. Erst als er auf den Tisch in der Ecke zusteuerte, erkannte Falrey, dass es die selbe war, in der sie Prke, Mishu und die anderen getroffen hatten. Auch diesmal sass an besagtem Tisch eine fröhliche Runde, Seb, Mishu und Sovi waren da, ebenso wie der mit dem eckigen Gesicht, dessen Namen Falrey nicht wusste. Awas, Didi, Prke und Lulli fehlten, dafür sassen da einer, der über zwanzig sein musste, aber klein war, mit einem spitzen Gesicht, und einer, der sich lauter Perlen und bunte Bänder in seine schmutzigblonden Haare geflochten hatte.
„Oho", rief Seb, als Jaz an den Tisch trat. „Jaz mit Leibwächter."
Jaz sagte nichts, sondern setzte sich neben Mishu, der lachend zur Seite rutschte. Falrey fand ihm gegenüber Platz, neben dem Blonden. Der grinste ihn breit an. „Wie heisst du?"
Falrey warf schnell einen Seitenblick zu Jaz hinüber. Durfte er nun etwas sagen oder nicht? Wenn er nichts sagte, würde Jaz auf jeden Fall auch blöd dastehen. Er sah zurück zu dem Blonden. „Falrey", sagte er.
„Schön, ich bin Nasti", antwortete der andere immer noch strahlend. „Und das sind Err, Sovi, Paladrin, Seb und Mishu. Jaz kennst du ja, nehm ich an." Paladrin war der kleingewachsene, Err der mit dem eckigen Gesicht. Komischer Name, dachte Falrey. Jaz hob die Hand und winkte Effie, ihm ein Bier zu bringen.
„Und wie alt bist du?", fragte Nasti weiter.
„Du musst ihn nicht gleich so ausquetschten, Nas", murrte Jaz und packen den Bierkrug, den Effie vor ihm absetzte mit beiden Händen.
Nastis Haarperlen flogen, als er sich zu ihm umdrehte. „Jetzt mach nicht gleich wieder auf Spassverderber. Ich weiss ja noch nicht mal, wer der Kleine ist."
„Sein Leibwächter", warf Mishu ein.
Jaz brummte in seinen Humpen: „Er ist mein Cousin."
„Ich wusste grad nicht, dass du Cousins hast", meinte Paladrin.
Ich auch nicht, dachte Falrey.
Jaz trank einen Schluck. „Wer hat denn keine."
„Stimmt", sagte Seb. „Ich hab...äh...mindestens zehn. Und sicher fünf Cousinen."
Sie begannen zu wetteifern, wer die meisten hatte und stellten nach einigen Verwirrungen fest, dass es bei Mishu und Sovi gleich viele waren. Mishu hielt es für einen lustigen Zufall, bis Sovi sage: „Logisch, du Depp, wir sind ja auch Brüder." Err fiel hinten über vor Lachen, Nasti und Sovi zogen ihn wieder auf die Bank.
Nasti stellte Falrey keine weiteren Fragen. Er schien ihn vergessen zu haben. Falrey nahm an, dass es tatsächlich so war. Wäre keine Ausnahme. Die Leute vergassen ihn so oft. Viele bemerkten ihn schon gar nicht und wenn doch, dann bedurfte es stets nur einer kleinen Ablenkung und wusch, war er verschwunden, restlos aus ihren Gedanken getilgt. Als hätte es ihn gar nie gegeben. Früher einmal hatte er gedacht, dass sie ihn absichtlich ignorierten, um ihn zu ärgern, aber irgendwann hatte er einsehen müssen, dass sie ihn wirklich einfach vergassen, und das tat noch viel mehr weh. Zu wissen, dass sie ihn nicht mal genügend zur Kenntnis nahmen, um ihn nicht zu mögen.
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Niramun I - Nachtschatten
FantasiaNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...