Er brauchte weniger Überzeugungskraft, als er erwartet hatte. Jaz schien immerhin genug Verstand zu besitzen, um nach Hause zu gehen, bevor er überhaupt nicht mehr gehen konnte.
Am nächsten Morgen weckte er Falrey mit dem gewohnten Tritt in die Seite und sie nahmen den normalen Tagesablauf wieder auf. Allerdings waren in Falreys Kopf einige Fragen aufgetaucht. Als sie mehrere Tage später in einem Schankhaus sassen, weil Jaz wartete, bis es spät genug war, um sich seinem nächsten Auftrag zu widmen, wagte er sie zu stellen. „Jaz?", begann er. „Ich habe eine Frage. Warum trinkst du Bier?"
Jaz starrte ihn einen Moment lang mit grossen Augen an, dann meinte er: „Was soll ich denn sonst trinken?"
„Wasser zum Beispiel?"
Jaz verzog das Gesicht. „Wasser schmeckt irgendwie... faul. Und Wasser gibt's nicht in den Schenken. Und du kannst nicht einfach irgendwo reinsitzen und nichts trinken. Dann schmeissen sie dich raus."
Falrey hob eine Augenbraue. Jaz hatte Recht, aber dafür musste man das Zeug nicht literweise in sich hinein kippen. „Noch eine Frage: macht es dir Spass dich zu prügeln?"
Jaz sah ihn noch komischer an. „Wieso fragst du das?"
Falrey zuckte mit den Schultern. „Ich hab mich nur gefragt, warum du es so oft machst."
Jaz musterte ihn und erwiderte: „Du hast selber gesagt, ich sei ein Sadist."
„Und, bist du einer?"
„Denk selber nach!", sagte Jaz genervt.
Falrey wurde den Verdacht nicht los, dass Jaz seinen Fragen auswich. Er startete noch einen Versuch: „Warum gehst du nicht öfter auf den runden Platz?"
Sie waren seit dem Abend im Hopfentopf nicht mehr dort gewesen. Jaz hatte nur Schenken weit davon entfernt und in dunklen Gassen aufgesucht, wie auch diejenige, in der sie sassen.
Jaz runzelte die Stirn. „Dort sind zu viele Leute."
„Aber das ist doch toll", meinte Falrey. „Und es ist so gute Stimmung da, alle sind so fröhlich." Nicht wie hier, wo alle nur vor sich hin saufen, fügte er in Gedanken hinzu.
Jaz musterte ihn kalt. „Ich mag viele Leute nicht", sagte er und stand abrupt auf.
Falrey folgte ihm aus der Spelunke und überlegte, wie Jaz Worte zu deuten waren. Meinte er, dass er keine grossen Mengen mochte oder dass er eine Abneigung gegen die meisten Menschen hatte? Falrey tippte auf ersteres, obwohl das zweite vermutlich auch nicht komplett falsch war. Besonders wenn er schlechte Laune hatte und im Moment schien er ziemlich schlecht gelaunt zu sein, denn er ging schneller als sonst. Falrey fragte sich warum. Die letzten Aufträge waren – zumindest soweit er es mitbekommen hatte – gut verlaufen und Jaz hatte gutes Geld verdient. Vielleicht lag es an der Geheimniskrämerei des Mannes, der Jaz am Vorabend angesprochen hatte. Er hatte Jaz weder gesagt, worum es bei dem Auftrag ging, noch wie viel er schlussendlich dafür bekommen würde, sondern nur, dass er sich heute mit jemandem Treffen sollte. Falrey gefiel diese Geschichte nicht, es klang irgendwie nach Falle, aber Jaz hatte das Treffen angenommen. Vielleicht bereute er es jetzt.
Sie verliessen die Strasse und bogen in eine Seitengasse ein, die sich am Ende zu einer Art Hinterhof verbreiterte. Dort im Schatten stand eine Gestalt, ganz in einen langen, schwarzen Umhang gehüllt und Kapuze tief in die Stirn gezogen. Falrey runzelte die Stirn. Kapuzen waren kein allzu häufiger Anblick in Niramun. Selbst unter den Mördern und Dieben gab es kaum welche, die sie aufhatten, auch wenn viele eine am Mantel trugen. Sie brauchten es nicht, ein Gesicht in Niramun war nur eines unter tausenden. Die einzige Person, die Falrey mit Kapuze gesehen hatte, war Vasser.
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Niramun I - Nachtschatten
FantasyNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...