Jaz liess Falrey an diesem Tag schlafen. Als er erwachte, ging gerade die Sonne unter. Sie gingen in die Stadt hinaus und Jaz liess Falrey auf einem Dach zurück, um seinen Auftrag auszuführen. Es dauerte nicht lange, bis er zurückkehrte. Daraufhin gingen sie durch einige dunkle Gassen, bevor Jaz an eine Tür klopfte. Ein ziemlich gereizt wirkender Mann öffnete die Tür, aber als er Jaz lässig im Türrahmen lehnen sah, erblasste er augenblicklich. Es war der Mann, der bei Jaz den heutigen Mord in Auftrag gegeben hatte. Anscheinend hatte sich Jaz in der Schenke noch nach einigem mehr erkundigt, als nur nach seinem Opfer.
Während der Mann immer noch panisch überlegte, woher der Mörder wissen konnte, wo er wohnte, sagte Jaz mit einem spöttischen Zucken um den Mundwinkel: „Auftrag ausgeführt."
Nun runzelte der Mann misstrauisch die Stirn. „Warum sollte ich dir glauben?"
„Weil du einen Mörder angeheuert hast, keinen Betrüger", sagte Jaz kalt und der Mann wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
Jaz holte etwas Kleines aus seiner Kleidung und streckte es ihm entgegen. „Ist das Beweis genug?"
Es war ein silberner Siegelring, an dem Blut klebte. Der Mann nickte, nahm den Ring jedoch nicht entgegen, sondern gab Jaz sein Geld, wobei er spontan noch einige Münzen hinzufügte, die Jaz ohne mit der Wimper zu zucken entgegennahm.
Als sie der Tür den Rücken zuwandten und davongingen, sah Falrey, dass Jaz sich zusammenreissen musste, um nicht laut zu lachen. „Diese Leute sind so blöd", sagte er. „So blöd, dass es einfach Spass macht, sie zu Tode zu erschrecken."
Diesmal brauchte Falrey nicht zu fragen, was daran blöd war. Ihm war selber klar, dass es tatsächlich nicht gerade an Intelligenz grenzte, einem Auftragsmörder einen Ort wie die eigene Stammtaverne als Tipp zu geben, an dem dieser nur ein, zwei Fragen mehr als nötig stellen musste, um alles über einen herauszufinden. „Du hast einen... interessanten Humor", meinte er nur.
Jaz hob eine Augenbraue. „Irgendwie makaber?"
Falrey nickte. „Ich denke, diese Beschreibung trifft es ziemlich gut."
„Woher das wohl kommen mag...", sinnierte Jaz.
Falrey ging nicht darauf ein.
Sie kehrten an diesem Abend früher zurück als üblich. Als Falrey am nächsten Morgen erwachte, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Zuerst schob er es darauf, dass er nicht getreten worden war, doch sobald er die Augen öffnete, wusste er, dass es etwas anderes war. Das Licht war ganz anders als sonst. Einen Augenblick lang dachte er, der Vorhang sei geschlossen, obwohl es dafür viel zu hell war. Er drehte sich auf den Rücken, blickte zum Fenster hoch und sah dort nur grau. Er brauchte einige Atemzüge, um zu begreifen, was er wirklich sah. Dann sprang er zum Fenster und lehnte sich hinaus. Tatsächlich war der gesamte Himmel über Niramun mit einer dichten, hellgrauen Wolkendecke verhangen.
Schnell zog er sich an. Als er nach unten laufen wollte, sah er, dass die Luke zum Dach offen war, und kletterte stattdessen hinauf. Jaz sass auf dem Dach, den Rücken ihm zugewandt. Falrey legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Himmel. Irgendwie sah es merkwürdig aus, so als wäre die Stadt ein Topf auf den nun jemand den Deckel gelegt hatte. Die Spitze des Pfeilers steckte tief in den Wolken.
„Sieht nach Regen aus", sagte Falrey munter, während er zu Jaz hintrat.
Jaz hatte den Kopf gesenkt und starrte vor sich aufs Dach. „Nein", sagte er. „Sieht aus, als würde es dieses Jahr keinen Regen geben."
Seine Stimme klang so niedergeschlagen, dass Falrey fast erschrak. „Warum?", fragte er.
Jaz blickte auf. „Die Wolken sind zu schwach. Die Sonne wird sie fressen, bevor der Tag vorüber ist."
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Niramun I - Nachtschatten
FantasyNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...