Tage vergingen. Sie setzten das Training fort. Jaz brachte Falrey weitere Abwehrtechniken bei, auch gegen andere Angriffe und liess ihn seinerseits angreifen. Mittlerweile hatte Falrey keine Mühe mehr damit, mit ganzer Kraft zuzustechen, denn er hatte begriffen, worum es Jaz ging: er wollte Falrey auf einen richtigen Kampf vorbeireiten, mit einem Training, das einem richtigen Kampf so nahe wie möglich kam. Jaz schlug hart zu und er erwartete von Falrey das selbe.
Ausserdem hatte Falrey festgestellt, dass er so fest zustechen konnte, wie er wollte, Jaz zeigte keine Reaktion. Nur einmal war er etwas zusammengezuckt, als Falrey ihm die hölzerne Dolchspitze in der Magengegend unter die Rippen gebohrt hatte. Ansonsten war es, als spürte er nichts. Entweder hatte Jaz ein ziemlich gestörtes Schmerzempfinden, oder es tat ihm weh wie blöd und er schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen. Falrey tendierte zu zweiterem und er fragte sich, wie zum Teufel Jaz das fertig brachte. Er selber scheiterte kläglich, wenn er es versuchte. Er hatte grösste Mühe, nicht jedesmal zusammen zu klappen, wenn Jaz ihn traf.
Und er wurde oft getroffen, immer noch. Schleichend stellte sich wieder die Frage in seinem Kopf, ob er sich eigentlich überhaupt verbesserte, oder ob die ganzen schmerzhaften blauen Flecken für nichts waren.
Jaz schien anderer Meinung zu sein. „Du wirst schneller", meinte er. „Es gibt noch eine Möglichkeit, einem Schlag zu entgehen. Abwehren. Dabei schlägst du mit deinem Unterarm oder mit dem Handballen gegen meinen Unterarm, um den Schlag abzulenken." Er zeigte es vor.
Falrey starrte ihn leicht entgeistert an. „Warum hast du mir das nicht schon von Anfang an gezeigt? Das hätte mir einiges erspart."
„Hätte es nicht", antwortete Jaz. „Abwehren ist schwieriger als Ausweichen, du musst dabei genau treffen. Und nicht jeder Schlag kann abgewehrt werden."
Sie nahmen wieder Aufstellung ein. „Versuch nicht alle Schläge abzuwehren", riet Jaz. „Weich aus und nimm dir zum Beispiel vor den nächsten Schlag gegen die rechte Schulter abzuwehren. Bereit?"
Falrey merkte schnell, wo bei der Sache der Hund begraben war: er brachte kaum die Kraft auf, Jaz Arme irgendwie zu bewegen, schon war nicht, wenn sein Schlag so schnell kommen musste. Nach kurzer Zeit schmerzten ihn die Unterarme und Handgelenke vom Aufprall. Dann bemerkte er etwas: es gab einen Moment in Jaz Schlag, kurz bevor er traf, in dem sein Arm fast gestreckt und locker war. Wenn er selber in diesem Moment zuschlug, war es wesentlich einfacher, die Faust von ihrer Bahn abzubringen. Nachdem es ihm mehrere Male gelungen war, nickte Jaz ihm knapp zu. Er wusste, dass Falrey den Trick begriffen hatte.
Den Tagen folgten lange Abende, die sie in Wirtshäusern mit zwielichtigen Gestalten verbrachten. Nichts geschah. Laflabem hatte entweder tatsächlich zu viel Angst vor Jaz oder beschlossen, dass er den Aufwand nicht wert war. Dennoch wurde Jaz immer gereizter. Er zeigte es nicht direkt, schrie niemanden an und stauchte nicht einmal Falrey zusammen, aber Falrey hatte mittlerweile begriffen, dass Jaz anders funktionierte. Er tobte nicht und fluchte nicht. Er wurde nur immer wortkarger, immer schroffer, immer beherrschter – bis er explodierte. Falrey hütete sich der Anlass für diese Explosion zu sein.
Was er allerdings nicht verstand, war der Grund für diese Gereiztheit, bis sie eines Abends nach dem Training herunterkamen und Emila in der Küche stand. Sie hielt eine Blechbüchse in der Hand und sah Jaz vorwurfsvoll an.
„Es ist fast nichts mehr da", meinte sie und hielt ihm die Büchse entgegen. Einige Münzen lagen am Boden.
Jaz sah nicht hinein. „Ich weiss", fauchte er.
Falrey ging in Deckung.
Emila hob die Augenbrauen. „Dann sag mir, womit ich das Essen bezahlen soll."
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Niramun I - Nachtschatten
FantasiaNiramun, die ewige Stadt, Kessel und Spitze, ein Schmelztiegel am Rande der Wüste. Ein Ort ohne Herrscher und Gesetze, an dem das Schicksal eines Halbwaisen nur eines ist unter hunderttausenden. Auf der Suche nach seinem Vater landet Falrey mit kau...