Kapitel 56 - Auf die Gegenwart

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Die Nacht war ruhig und kühl. Sie standen seit etwa einer halben Zeit im Schatten einer Hausmauer, wo zwei Gassen zusammenkamen. Einige Schritte die eine Gasse hinunter brannte eine Fackel, aber ihr Schein erreichte sie nicht. Jaz hatte einen neuen Auftrag bekommen und ausgeführt, nun wartete er auf seine Bezahlung. Eine Weile lang standen sie reglos da, dann bedeutete Jaz Falrey zu warten und huschte um die Ecke. Zuerst gehorchte Falrey und blieb ganz im Schatten, aber dann siegte die Neugierde und er lugte an der Ecke vorbei die Gasse hinunter. Was er sah, entlockte ihm ein Schnauben. Jaz stand neben der Fackel und war dabei, ein Schilf daran anzuzünden.

Als er zurückkehrte, stieg Falrey sofort der beissende Geruch von Tabak in die Nase. „Woher hast du das?", fragte er und er wusste, dass er nicht sonderlich begeistert klang.

„Von Tomi", sagte Jaz. Auf Falreys skeptischen Blick hin fügte er hinzu: „Nein, ich habs nicht geklaut, er hat mirs gegeben."

„Wie du meinst", sagte Falrey möglichst unverfänglich.

Jaz warf ihm einen gereizten Blick zu und zog am Schilf, wodurch das Ende aufglühte.

„Dir ist schon klar, dass man dich damit sieht, oder?", fragte Falrey.

„Na und?", meinte Jaz. „Ich brauch mich ja nicht zu verstecken."

„Aha, und warum stehen wir dann im Schatten?"

„Halts Maul", fuhr Jaz ihn an und Falrey beschloss, sich besser daran zu halten, denn Jaz hatte gerade ziemlich gereizt geklungen und er hatte schon die letzten Tage über grauenhaft schlechte Laune gehabt. Falrey vermutete, dass es an dem Streit mit Emila lag. Ein Teil von ihm hätte zu gern gewusst, worum es gegangen war, aber er war sich nicht sicher, ob er in allen Fällen wirklich die Wahrheit wissen wollte. Ganz abgesehen davon, dass sie ihm eh niemand sagen würde.

Er wurde von nahenden Schritten aus den Gedanken gerissen. Ein Mann kam aus der beleuchteten Gasse auf sie zu. Falrey bemerkte, dass er kurz zögerte, als sei er unschlüssig, ob die Gestalt, von der man lediglich einen orangen Glühpunkt sah, der Mann war, den er suchte, oder ein anderer, dem man besser nicht in die Quere kam, doch schliesslich trat er auf Jaz zu.

„Du bist der Jäger?", fragte er, und in seiner Stimme schwang mehr als nur ein Hauch von Nervosität. Die meisten Leute – ausser die Verbrecher und Puppenspieler, die es verbergen konnten – waren nervös, wenn sie mit Jaz sprachen. Sie hatten auch allen Grund dazu.

Jaz zog an seinem Schilf. „Ja", sagte er kalt und trat aus dem Schatten.

Der Mann zuckte unwillkürlich zusammen, fast unmerklich, aber Falrey war ein guter Beobachter. Dann nickte er, als er Jaz als denjenigen erkannte, dem er einen Mord anvertraut hatte. Er zog einige Münzen aus seinem Beutel und liess sie in Jaz ausgestreckte Hand fallen. Jaz zählte nach, nickte knapp und trat zurück in den Schatten. Einen Augenblick lang wirkte der Kunde verwirrt, weil er nicht erkennen konnte, ob Jaz jetzt davonging, oder ob er immer noch dastand, denn Jaz hatte das Schilf mit seiner Hand verdeckt, doch dann fing er sich und ging betont ruhig davon. Als er verschwunden war, drückte Jaz den Schilfstummel an der Wand aus und schnaubte. „Ich frag mich immer, warum so dumme Leute noch Leben."

„Vielleicht, weil sie ein weniger riskantes Leben führen als du?", bemerkte Falrey ironisch. Dann fragte er: „Was genau war dumm?"

Jaz setzte sich die Gasse hinunter in Bewegung. „Erstens hat er mir gezeigt, wie viel Geld er dabei hat", begann er. „Und es war nicht wenig. So viel, dass es sich lohnen würde, ihm in der nächsten Gasse aufzulauern und ihn abzumurksen."

„Und warum tust du es nicht?", fragte Falrey. Er erlag längst nicht mehr der Hoffnung, Jaz hätte so etwas wie Mitgefühl für den Mann.

„Ich hab keine Lust", sagte Jaz schulterzuckend. „Und ich hab genug Geld. Zweitens...", fuhr er fort. „...hat er dich die ganze Zeit über nicht bemerkt."

Niramun I - NachtschattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt