30.

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Mit jedem Schritt, den ich näher an ihr Zimmer herankam, wurde es kälter. Kälter und leerer. Mein Kopf war blank und mir wurde schlecht. Es war, als würde mich der Gang wieder zurück in die Einrichtung führen. Jeder Schritt war schwer und die Luft schien unheimlich dünn. Langsam stoppte ich. War das eine gute Idee? Wäre es nicht klüger, wenn ich mich von ihr fernhalten würde? Was wenn...

Und dann fiel mir Ann wieder ein. Sie arbeitete auch hier. Hatte sie schon von dem Ausbruch gehört? Wenn nicht, dann erwartete sie wahrscheinlich, dass ich noch dort unten steckte, sollte sie mich dann hier sehen, waren mit ziemlicher Sicherheit die Stunden meines Kindermädchens gezählt. Aber es konnte natürlich auch sein, dass sie es bereits wusste und erwartete, dass ich Nora aufsuchen würde. Oder, sie hatte nicht einmal erfahren, dass ich weg war. Wobei die Chance, dass das geschehen ist gleich Null ist. Was wenn man sie zurückgerufen hatte, wegen dem Ausbruch und sie nicht mehr hier arbeitete?

„Ist alles in Ordnung?" Erschrocken zuckte ich zusammen und fuhr herum. Wie geschlagen, blickte ich in das Gesicht einer jungen Krankenschwester mit karamellfarbenen Augen und dunklen Haaren. Ich musste Schlucken. „Äh ... Ja, ja, wieso nicht? Es ist alles ok.", meine Stimme klang leise, doch bevor sie auch nur die Möglichkeit hatte, sich weitere Gedanken über mich zu machen, drehte ich am Absatz um und schritt durch die zweite Tür zu meiner linken Seite.

Leise schloss ich die weiße Tür wieder hinter mir. Nora hatte ein Einzelzimmer bekommen. Die Wände waren ebenso weiß wie der Gang und alles andere in diesem Krankenhaus. Die Vorhänge. Die Bettwäsche. Die Menschen, die hier ein- und ausgingen. Alles hier drinnen machte einen klaren und sterilen Eindruck. Wieso machte es mich dann so krank? Schweigend blinzelte ich ein paar Mal. Ich hatte mich schon vorher gefragt, wie ich mich überhaupt bis hier her gekommen war, ohne meine Brille. In aller Eile, hatte ich sie zuhause vergessen, doch irgendwie hatte ich es mit Seconds Hilfe und der einer netten Angestellten geschafft. Egal, das letzte Stück würde ich auch noch hinkriegen.

Langsam näherte ich mich dem einzigen Bett im Raum. An der Wölbung der Decke konnte ich erkennen, dass jemand darin lag. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch stellte ich mich an das Bettende und blickte auf das verschwommene etwas, das unter all dem weiß begraben lag. Ihre menschliche Silhouette konnte ich grob ausmachen. Auch ihre Haarfarbe konnte ich erkennen, nur ihre Augen nicht. Sekunden später teilte mir mein unsichtbarer Begleiter mit, dass sie schlief, woraufhin ich mir ein wenig bescheuert vorkam.

Vorsichtig legte ich meine Hände auf die weiße Platte am Fußende des Bettes. Den Schlauch, der von ihrem Arm weg ging, bemerkte ich gar nicht, bis Second mich darauf hinwies. Er beschrieb sie nicht mit Worten, eher mit Bildern. Wirre Bilder, die ich nur schwer deuten konnte. Ich merkte wie alles schwer wurde, als hätte man mich mit Atlas verwechselt und mir anstatt ihm die Welt auf den Rücken gelegt. Mein Kopf war leer und ich begann meine Lippen wund zu beißen. Ein hässliches Gefühl breitete sich in mir aus. Es war kein Ekel, auch wenn dieses auch seinen Platz in meinem Kopf hatte. Es war prägnant und nicht abzuschütteln. Als nächstes merkte ich, wie ich bereits gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen musste. Wieso konnte ich es nicht einfach lassen? Ich konnte sie nicht einmal richtig sehen. Mehrere Male biss ich mir in Wangen und Lippen um zu verhindern, dass die salzige Flüssigkeit an die Oberfläche gelangte. Mein Körper spannte sich an und ich begann zu zittern. Inständig hoffte ich, dass sich auch wirklich niemand im Raum befand.

Jeder Atemzug schmerzte und in meiner Brust wurde es auch nicht leichter. Ich sollte gehen, riet der Teil in mir, der noch halbwegs rational denken konnte. Doch rühren würde ich mich nicht. Wie denn auch? Eine Ewigkeit verging. Wie lange ich am Ende wirklich dastand und auf sie herabblickte, wusste ich nicht. Ich konnte sie nicht einmal Atmen sehen. Nur hören konnte ich es. Ganz leise hörte ich, wie sie Luft einsog und wieder ausstieß. Das war das einzige, woran ich erkannte, dass sie überhaupt lebte.

„Ich werde ...", meine Stimme brach ab. Ich hatte einmal gehört, dass selbst Komapatienten noch mitbekamen, wenn man mit ihnen redete, also wieso auch nicht Menschen, die dem Koma knapp entkommen waren? Tief holte ich einmal Luft, bevor ich erneut begann. „Ich werde meiner Mutter sagen, dass du nicht mehr auf mich aufpassen kannst ... Ich ... Ich wollte mich verabschieden, denn ich werde nicht noch einmal vorbeikommen und, na ja, wir werden uns wahrscheinlich auch nicht wieder sehen. Danke, dass du mich ... ertragen hast. Mich und meine Launen, und auch Second, mit dem du dich am Anfang ja überhaupt nicht verstanden hast-„ Ab hier konnte ich nicht mehr weitersprechen. Alles war still. Entsetzlich still. Jetzt rannen sie doch, dachte ich mir, als zwei heiße Tropfen auf meinem Handrücken zersprangen. Wie kommt es, dass ich nach alldem immer noch weinen kann? Verdammt ... ich war wie ein Kleinkind. Wie damals. Ein hässlicher Singsang aus der Vergangenheit drängte sich in meine Ohren und füllte diese aus. Kinder konnten schon echt gemein sein, ging es mir durch den Kopf.

Second verabschiedetes sich auf seine eigene Art und Weise von Nora. Mit einem letzten Stechen in der Brust und einer vor Schmerzen brennen den Lunge stieß ich mich vom Bett ab und trat ein paar Schritte zurück. Natürlich nur soweit, bis ich gegen etwas Weiches stieß und erschrocken wieder einen Satz nach vorne machte. Ich fuhr herum. Es war ein Mensch. Männlich anscheinend. Weiß und schwarz gekleidet. Unter der weißen Kapuze, konnte ich schwarze Haare erkennen, die jedoch ebenso gut auch nur ein Schatten hätten sein können. Ich konnte nicht einmal zwischen Haut und ... Weste – ? – unterscheiden. Leise fluchte ich, als ich begriff, dass ich einen dieser Freaks vor mir stehen hatte. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass er das Zimmer betreten hatte. Wie denn auch?

Etwas dunkles verdeckte die untere Hälfte seines Gesichtes, wahrscheinlich ein Schal. Insgeheim verfluchte ich Second leise und hoffte, dass ich weder rot im Gesicht war, noch, dass ich wie ein Mädchen geheult hatte. Nach einigen Sekunden entschied sich mein Gegenüber etwas zu sagen. „Du hast deine Brille vergessen." Eine eigenartige Stimme, die mir eigenartig bekannt vorkam. Ich schwieg. Irgendetwas bewegte sich dort, wo ungefähr sein Bauch sein sollte, dann reichte er mir einen Gegenstand, der aus dünnen Linien bestand, die ich wenn es dunkler gewesen wäre, kaum gesehen hätte. Zögerlich nahm ich das, was ich als meine Brille identifizierte und setzte sie auf. Ein kleiner Schwindelanfall überkam mich, doch jetzt sah ich wenigstens wieder scharf.

„Komm, wir gehen zurück zum Rest." Mit diesen Worten hatte der Typ bereits die Tür erreicht und mir den Rücken zugedreht. Wie angewurzelt stand ich da. „Wenn du nicht freiwillig kommst," begann er erneut und drehte seinen Oberkörper in meine Richtung, sodass ich ein Auge mit einem stechenden Blick erkennen konnte, „dann schleif ich dich dort hin, und wenn's sein muss, an den Haaren." Der Schal rutschte ein wenig nach unten und eine Schnittwunde, durch die er breit zu lächeln schien, lugte hervor. Mir wurde eiskalt und ich beschloss trotz Seconds Anwesenheit, zu gehorchen.

Hidden - Insidious Friend (Creepypasta FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt