32.

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Ich hätte heulen können. Nun ja, nicht wirklich heulen, aber zumindest schreiend weglaufen war noch drin. Immer noch Jeff anstarrend, stand ich wie angewurzelt dar. Beinahe wünschte ich mir sogar ein Baum zu sein, denn dann hätte ich mich diesen Problemen gekonnt entziehen können. Doch ich war kein Baum. Roxana war real, und Jeff war es auch. Leider. Irgendwie.

„Was...?" Roxanas Frage verflog im Nichts, als ihr der Schleier von den Augen zu fallen schien, während sie meinem Blick in Jeffs Richtung folgte. Erst jetzt schien sie den schwarzhaarigen Mann zu bemerken, welcher schon die ganze Zeit hier gewesen war. Ich wusste nicht ganz, was ich erwartet hatte, doch das war es ganz bestimmt nicht gewesen: „Was soll die Scheiße? Seit wann steht der schon da?" Die Stimme meiner Freundin klang dezent verunsichert.

„Oh, der? Der steht schon die ganze Zeit hier rum...", gab ich ein wenig zu abwesend zurück. In meinem Kopf spielten sich gerade allerlei Arten von Perversionen ab, welche ich jedoch aus Kinderschutzgründen nicht hier aufschreiben werde. Dann wurde mir schlecht und ich würgte. Das schlimmste daran: Kotzen ging nicht. Wirklich. Es wäre mir bestimmt besser gegangen, wenn ich mich übergeben hätte und mit dem nichts im Magen auch noch all meine Probleme von mir gespuckt hätte, doch das spielte es im Leben nun mal nicht. Mist.

„Komm Aiden, wir wollen doch nicht um Mitternacht erst bei dir zuhaue ankommen, oder? Und vergiss nicht, im schlimmsten Falle leidet dein Kopf darunter.", meinte Jeff schon fast beiläufig, immer noch grinsend, dann wandte er sich zum Gehen um. Was jetzt kam, hätte ich am liebsten verhindert, doch wer warnte einen vor, wenn sowas denn kurz davor war zu passieren? Genau niemand!

„Warte! Zu dir nach Hause? Aiden, was zum Teufel soll der Müll eigentlich? Wie kommt es, dass du auf einmal Wildfremde zur dir nach Hause einlädst und mich, deine Freundin nicht einmal anrufen kannst?", immer noch schwang eine gewisse Unzufriedenheit und Wut in ihrer Stimme mit. Ich überhörte sie gekonnt und versucht die Situation mit einer logischen Erklärung zu entschärfen ... zumindest hätte ich das, wenn Jeff nicht eine größere Klappe, anstatt Verstand gehabt hätte. „Na was glaubst du wohl? Hör zu Mädchen-"

„Und wer hat dir die Erlaubnis gegeben für ihn zu sprechen?" Als ich diesen Satz aus dem Mund meiner Freundin hörte, glaubte ich schon fast eine weitere Seele meiner Kollektion hinzufügen zu können, doch Jeff schien unheimlich gelassen, das einzige, was das Gegenteil bewies waren seine Augen.

„Glaub mir ‚Schwanzlängen vergleichen' ist bei mir sehr gefährlich...", meinte Jeff auf einmal gefährlich ruhig.

„Das ist mir scheiß egal, und weißt du was in dieser Hinsicht hast du so wie so verschissen, denn ich bin seine Freundin und das, ist durchaus bedeutende, als irgend so ein Vollidiot von der Straße! Und Aiden ist bestimmt nicht schwul oder so!" Mir zog es die Kehle zu und ich hatte das Gefühl kaum mehr Luft zu bekommen. Schweigend und still wie ein Mäuschen lauschte ich ungläubig dem Gespräch der zwei. Was hätte ich sagen sollen? Haltet den Rand? Nein, ich würde mit beiden sicherlich noch eine geraume Zeit lang auskommen müssen, und da waren solche Arten von Einmischungen nur hinderlich, zumindest in meinen Augen.

Jeffs Augen wurden schmal. Dann lachte er nur einmal kurz. „Sicher, ich hab da schon andere Erfahrungen gemacht ... Eine Frage: Wie lange versuchst du ihn schon ins Bett zu kriegen? Ein, zwei Jahre? Bist du nicht eigentlich noch etwas jung dafür? Oder war es das Gefühl zurückzubleiben, wenn du jedes Mal die Geschichten deiner Freundinnen hören musstest, mit wem sie es nicht schon alles getrieben haben? Die ganze Stadt ist verdorben und verrottet..." Er machte eine kurze Pause und blickte meine Freundin an, welche leicht rot anlief, ob vor Zorn oder Scharm wusste ich nicht. Ich konnte sie nicht anblicken und trotz all dieser unguten Dinge, die Jeff ihr gegen den Kopf warf, fühlte ich mich nicht einmal halb so schlecht, wie ich wahrscheinlich eigentlich sollte. Dann sprach der Schwarzhaarige weiter, sich langsam auf mich zubewegend, „Wie auch immer ... Du hast zwei Jahre, wenn nicht sogar mehr daran verschwendet, ich hingegen hab nicht einmal vier Stunden gebraucht." Ein breites Grinsen, welches man selbst aus seiner Stimme heraushören konnte, prangte auf seinem Gesicht, einzig verdeckt durch den Schal, welchen er trug, doch für mich machte es keinen Unterschied, ob mit oder ohne. Ich konnte es sehen und noch schlimmer ich konnte es fühlen.

Vollkommen perplex standen wir da. Nun ja, alle bis auf Jeff, welcher sich sichtlich zu amüsieren schien. Ich schluckte schwer und brachte nicht einen Ton heraus und meine Freundin, mit Sicherheit nun mit einem fetten Ex davor, starrte mich wie bescheuert an. Die schwere Gewichtung und Bedeutung dieser Worte musste erst einmal einsacken, und das nicht nur bei ihr. Die Worte des Schwarzhaarigen hallten in meinem Kopf wieder, doch dieser schein so hohl, wie ein Geschleckerten, welchen man vergessen hatte zu füllen.

Ein tonloses „Aiden..." drang zwischen Roxanas rötlichen Lippen hervor und ihr Blick hätte einem in der Seele wehgetan, wenn die Person ihr gegenüber nur nicht ich gewesen wäre. Ein hässlicher Schmerz breitete sich auf meinem Kopf aus, als ich spürte, wie jemand an meinen Haaren zog. Vor Schmerzen schrie ich leicht auf und drehte mich herum, mit den Händen nach der Ursache greifend. Roxana zuckte zusammen und Jeff meine nur schadenfroh, „Sorry, müssen jetzt gehen. Wir haben immerhin noch eine Menge heute vor, nicht wahr, Aiden? Ruf ihn an, wenn noch irgendwas sein sollte." Dann ging er voran, meine Haare nicht loslassend. Ein wenig ungeschickt und mit tränenden Augen vor Schmerzen, stolperte ich hinterher. Das letzte, was ich von hinten hörte, war ein ersticktes rufen meines Namens und ein leises Schluchzen. Irgendwie bildete ich mir sogar ein ihre Tränen fallen hören zu können. Seconds warme Präsenz breitete sich in mir aus und redete mir auf eine bildhafte Art und Weise zu. Es würde alles wieder ok werden, irgendwann.

Erst, als wir die Bussation erreichten, ließ Jeff meine Haare los. Den Haaransatz des Haarbüschels, an dem er gezogen hatte, spürte ich nicht mehr, lediglich ein dumpfes Pochen verriet mir, dass es mit Sicherheit wieder zu schmerzen beginnen würde. Ich wagte es nicht zu sprechen und er schien nicht das Bedürfnis nach einem Gespräch zu haben. Somit schwiegen wir. Wir schwiegen, als der letzte Bus ankam. Als wir einstiegen und Richtung nach Hause fuhren. Als wir ausstiegen, den Weg zum Haus gingen und das Haus betraten. Ich wollte nicht sprechen, zu verwirrt war ich noch. Eine Menge Dinge scheinen sich vollkommen verändert zu haben. Was ich erstmal brauchte, war Zeit. Sehr viel Zeit.

Mit diesen Gedanken im Kopf, ignorierte ich meinen Bruder und den Rest, welcher leicht angespannt im Wohnzimmer meines Hauses gesessen hatte und ging schnurstracks die Treppe nach oben in mein Zimmer. Nur wenige Sekunden später verließ ich es wieder, die schwarze Haarfarbe in der Hand und ein Handtuch am Arm. Das erste Mal seit Ewigkeiten würde ich nicht das Bad am anderen Ende des Flures verwenden. Nein, dieses Mal würde ich das nebenan benutzen. Und mit einem leisen Klicken verriegelte ich die Tür hinter mir...

Hidden - Insidious Friend (Creepypasta FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt