3. Kapitel

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"K-könnte ich vie-vielleicht mit i-ihnen al-alleine re-reden?", fragte ich an die Frau gewandt. Vor dem Mann hatte ich einfach zu viel Angst. "Natürlich." Kurz darauf verließ der Mann das Zimmer und sie sah mich auffordernd an. Tief atmete ich nochmal ein, bevor ich stockend anfing zu reden. "E-es war m-mein Va-vater. Me-meine Mutter ver-verschwand vor ze-zehn Jahren u-und seit-seitdem sch-schlägt u-und ver-ver-vergewaltigt e-er m-mich." Inzwischen liefen mir Tränen übers Gesicht und ich konnte nur schwer ein Schluchzen unterdrücken.  Erschrocken sah die Polizisten mich an und legte eine Hand auf meine Schulter. Wahrscheinlich sollte diese Geste tröstend auf mich wirken, doch ich versteifte mich, konnte nur noch stockend atmen und geriet immer mehr in Panik. Sie merkte es, zog ihre Hand wieder weg und sah mich leicht fragend an. Ich versuchte mich etwas zu beruhigen um ihr antworten zu können. "I-ich ha-habe wegen die-dieser Sa-sachen A-angst vor Be-berü-ührungen." "Keine Sorge, das wird alles schon wieder. Dein Vater wird kann dir jetzt nichts mehr tun und das mit der Berührungsangst legt sich schon wieder. Du hast gesagt, dass deine Mutter verschwunden ist. Das heißt sie lebt noch?" "Ja" "Nun, es ist so, dass du wahrscheinlich zu deiner Mutter ziehen wirst. Kannst du mir ihren Namen verraten. Dann können wir ihr Bescheid geben." Meine Mutter. Seit zehn Jahren hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, dass ich sie jetzt wiedersehe, oder ob ich sie dafür hassen sollte, dass sie mich mit diesem Monster allein gelassen hat. "C-caitlin Ma-maria Benn-bennett. We-werden sie i-ihr von dem wa-was h-hier pa-passiert ist er-erzählen?" "Ja das muss ich." Ich nickte nur. Vielleicht war es auch ganz gut so, denn wie hätte ich sonst mein Verhalten und meine Narben erklären sollen. Plötzlich wurde mir schwindlig und ich sah alles nur noch verschwommen. Auch meine Wunden, die ich beim Gespräch nicht mehr gespürt hatte, fingen wieder an zu schmerzen. "Ist alles in Ordnung bei ihnen?" Die Stimme konnte ich kaum verstehen. Alles um mich drehte sich, ich hatte so ein komisches Rauschen im Ohr und dann wurde mal wieder alles schwarz.

Das erste was ich sah, als ich wieder zu mir kam, war weiß. Nachdem ich genauer hingesehen hatte, erkannte ich, dass ich anscheinend in einem Krankenhauszimmer lag. Kurz darauf ging auch schon die Tür auf und eine Ärztin kam herein. Erleichtert dass es eine Frau war und kein Mann entspannte ich mich ein wenig, konnte aber trotzdem nicht ganz locker lassen. "Wie geht es ihnen?" "G-gut",brachte ich heiser heraus. Mein Hals fühlte sich ganz trocken und kratzig an. Sie schien es bemerkt zu haben, denn sie reichte mir ein Wasserglas, welches ich zuvor garnicht bemerkt hatte. Ich trank es aus und schon war das komische Gefühl verschwunden. "Wa-warum b-bin i-ich hi-hier?" "Nun, du bist wegen des hohen Blutverlustes für zwei Stunden ohnmächtig geworden. Wir haben dann alle deine Wunden gereinigt und verbunden, notfalls auch genäht. Du musst noch eine Nacht hier bleiben zur Beobachtung, danach darfst du gehen." Ich nickte nur zum Zeichen, dass ich alles verstanden habe. "Achja fast hätt ichs vergessen. Draußen ist eine Polizistin, die mit dir reden möchte. Soll ich sie reinholen oder möchtest du lieber etwas Ruhe? " "La-lassen sie s-ie re-rein." Die Ärztin nickte und verließ das Zimmer. Ich hörte wie sie draußen noch etwas redete und dann kam auch schon die Polizistin von gestern rein. "Ich hoffe dir geht's inzwischen besser." Wieder nickte ich bloß. "Das freut mich. In der zwischenzeit haben wir mit deiner Mutter sprechen können und du kannst, sobald du hier entlassen wirst, zu ihr ziehen. Sie wohnt in der Nähe von La ca. vier Stunden mit dem Flugzeug von hier entfernt. Sie weiß auch darüber Bescheid, was dein Vater dir angetan hat und  wie du auf Berührungen und Fremde reagierst. Deine Sachen sind von uns schon alle zusammengepackt worden und wir werden dich morgen noch zum Flughafen fahren, wenn das für dich in Ordnung ist. Wir sind übrigens mein Mann und ich." "Danke", brachte ich sogar ohne Stottern hervor. Sie war mir sympathisch und ich hatte auch keine Angst mehr vor ihr. "Am besten du ruhst dich jetzt noch ein bisschen aus, wir sehen uns dann morgen ja wieder." Und mit diesen Worten und einem freundlichen Lächeln verließ sie den Raum.

Jetzt stand ich hier in der Empfangshalle des Flughafens der kleinen Stadt nahe LA und wusste nicht weiter. Die nette Polizistin und ihr Mann hatten mich heute morgen aus dem Krankenhaus abgeholt und zum Flughafen gefahren. Sie hatten gemeint, dass mich hier jemand empfangen würde, doch es war keiner zu sehen. Leicht enttäuscht machte ich mich auf den Weg nach draußen. Die vier Stunden Flug hatte ich mit Musik hören verbracht und obwohl es erst drei Uhr Nachmittags war, wollte ich nur schlafen, da auch meine Verletzungen noch immer spürbar waren. Nicht wenige hatten mich komisch angeschaut, denn das große Pflaster im Gesicht und die blauen Flecken waren nicht gerade unauffällig. Auf dem Parkplatz angekommen sah ich mich wieder um und entdeckte diesmal einen Mann mit einem Schild auf dem "Herzlich Willkommen Ava Bennett" stand. Ich lief unsicher zu ihm hin. Ich verstand nicht, warum meine Mutter diesen Mann geschickt hatte um mich abzuholen, wenn man sie doch über meinen Zustand  informiert hatte. Als ich vor ihm stehen blieb, legte der Mann sein Schild beseite und lächelte mich freundlich an. Er war vielleicht etwas älter wie Mum jetzt, also ca. mitte vierzig, hatte kurze braune Haare und ebenso braune Augen. Er war nicht wirklich muskulös aber untrainiert war er auch nicht. Er wirkte sympathisch und nett, doch trotzdem war ich äußerst misstrauisch. "Hey du musst Ava sein. Herzlich Willkommen, ich bin Adam, der Mann deiner Mutter. Ihr tut es wirklich leid, dass sie dich nicht abholen kann, aber auf ihrer Arbeit kam ein Notfall rein und deswegen bin ich jetzt hier. Ich hoffe das ist für dich jetzt nicht allzu schlimm wegen, naja du weißt schon..." Am Ende wurde er immer leiser und undeutlicher, lächelte mich dann aber wieder breit an. "D-danke u-und nein da-das ge-geht schon." Mehr brachgte ich nicht raus. Ich meine, das ist ein mir wildfremder Mann, zu dem ich jetzt allein ins Auto steigen soll. Er packte meinen Koffer in den Kofferraum, während ich mich schonmal auf der Rückbank niederließ. Die Fahrt über erzählte er mir etwas über die Stadt und sich selbst, drängte mich aber nicht zum reden, wofür ich ihm sehr dankbar war. Nach einer viertel Stunde kamen wir dann an. Tief atmete ich nochmal durch, ehe ich ausstieg. Auf in ein neues Leben.

Ava - My life with fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt