46. Kapitel

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Langsam lief ich durch die Straßen. Inzwischen hatte ich aufgehört zu weinen und die restlichen Tränen waren auf meinen Wangen getrocknet. Der stechende Schmerz in meinem Herzen war einem Gefühl von dumpfer Leere gewichen, die nichts zu mir durchdringen lies. Momentan war mir das ganz recht, denn in meiner Eile das Haus zu verlassen hatte ich ausversehen Kyles Jacke und nicht meine mitgenommen. Am liebsten hätte ich sie irgendwo liegen gelassen, aber es war verdammt kalt hier draußen und so war ich nicht drum herumgekommen seine Jacke trotzdem anzuziehen. Nun umgab mich die ganze Zeit Kyles Geruch und ich wusste nicht, ob ich das so lange ertragen könnte ohne in Tränen auszubrechen, wenn da nicht diese Leere wäre. Ziellos lief ich weiter, mied dabei aber enge und dunkle Gassen, denn ich konnte mich nur zu gut noch an das letzte Mal erinnern als ich allein unterwegs war. Irgendwann kam ich an einem kleinen Park an und setzte mich dort auf eine Bank. Ich zog meine Beine an, legte meine Arme darum und meinen Kopf auf meinen Knien ab. Warum hatte Kyle das bloß getan? Mochte er mich überhaupt wirklich? Vorhin hatte es sich fast so angehört. Aber dann hätte er diese Wette doch gar nicht erst abgeschlossen oder mir zumindest früher davon erzählt. Außerdem hätte er sie doch einfach jederzeit abbrechen können, wenn er tatsächlich Gefühle für mich hätte. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr verschwand die Leere in mir und ließ mein Herz wieder schmerzhaft stechen. Kyle war einer der wenigen Menschen denen ich vertraut hatte, doch er hatte mich verraten. Er hatte eine dumme Wette über mich abgeschlossen. Darüber mich ins Bett zu bekommen. Warum tat man so etwas? Warum tat man einem Menschen absichtlich weh? Ich war es ja eigentlich gewohnt, dass ich anderen nichts bedeutete, schließlich konnte mich nicht mal mein eigener Vater ausstehen. Aber die letzten Wochen hatte ich mich bei Fynn, meiner Mutter und Kyle immer wohler gefühlt. Ich hatte gelernt, dass mir nicht jeder etwas Böses wollte. Dass es Menschen gab, die mich so mochten wie ich war und die sich um mich sorgten. Ich hatte sie an mich rangelassen, hatte ihnen meine Gefühle offenbart und ihnen vertraut. Ich fühlte mich bei ihnen sicher und geliebt. Ich hatte mich sogar in Kyle verliebt und ihn näher als alle anderen an mich rangelassen. Und jetzt warf er das alles weg. Er mochte mich nicht so, wie ich ihn. Er hatte sich nur wegen der Wette mit mir beschäftigt. Ein kalter Wind zog auf, weshalb ich mich enger in die Jacke kuschelte. Dabei sog ich aber unbewusst wieder Kyles Duft ein. Tränen begannen wieder über meine Wangen zu fließen. Ich erinnerte mich an all die schönen Momente, die wir miteinander erlebt hatten, auch wenn mein Herz sich dadurch wieder krampfhaft zusammenzog. Ich wünschte mir Kyle wäre jetzt hier, würde mich in seine Arme ziehen und mir versichern, dass ich mich verhört hatte und er niemals eine Wette über mich abgeschlossen hätte. Aber ihm war es wahrscheinlich sogar egal, dass ich nicht mehr zu Hause war, so wie ihm alles zwischen uns davor auch egal war.

Ich wusste nicht wie lange ich so gedankenversunken auf der Bank saß, doch irgendwann hörte ich plötzlich, wie jemand meinen Namen rief. Verwirrt sah ich mich um und entdeckte einen Jungen, der weiter vorne den Weg entlanglief und mich anscheinend suchte. Im ersten Moment dachte ich es wäre Kyle, doch dann erkannte ich Fynn, als er seinen Kopf in meine Richtung drehte. Fynn hatte mich anscheinend ebenfalls bemerkt, denn er rannte jetzt in meine Richtung. Bei mir angekommen, zog er mich erstmal in eine feste Umarmung. "Mensch Ava. Was machst du nur für Sachen? Ich hab mir unheimliche Sorgen um dich gemacht.", flüsterte er mir ins Ohr. Ich schlang meine Arme ebenfalls um ihn und genoss seine tröstende Umarmung. "Tut mir leid", nuschelte ich. "Warum bist du denn überhaupt weggelaufen?", wollte Fynn wissen und schob mich dabei ein Stückchen von sich weg, um mir in die Augen sehen zu können. Bei dem Gedanken daran, warum ich eigentlich hier war stiegen mir schon wieder Tränen in die Augen. "Ich hab gehört, wie Kyle dir von der Wette erzählt hat und dass er mich nur ins Bett bekommen wollte." Fynn sah mich erschrocken an. "Du hast nicht alles von unserem Gespräch mitbekommen Ava. Kyle wollte dir eigentlich alles erklären, als wir bemerkt haben, dass du nicht mehr da bist. Dass die Wette existiert, kann ich nicht leugnen, aber du solltest Kyle es zumindest erklären lassen.", meinte er. Traurig schüttelte ich den Kopf. "Was will er mir schon groß erklären? Dass er nicht dasselbe empfindet wie ich hab ich schon verstanden." "Kyle hat sich mindestens genauso große Sorgen um dich gemacht wie ich, als wir dich nicht in deinem Zimmer entdecken konnten. Ich muss ihn auch gleich anrufen, dass ich dich gefunden hab. Er sucht dich nämlich immer noch. Bitte rede nochmal mit ihm. Es muss auch nicht heute oder morgen sein, aber gib ihm die Chance das Ganze zu erklären.", bat Fynn mich. Ich konnte immer noch nicht so ganz glauben, dass Kyle mir wirklich nicht alles nur vorgespielt hatte, aber dass er nach mir suchte und auch dass Fynn ihn so in Schutz nahm ließen mich nochmal drüber nachdenken. Trotzdem würde ich es nicht verkraften ihn heute nochmal zu sehen. Dafür war ich einfach zu kaputt. Aber vielleicht könnte ich in ein paar Tagen mit ihm reden, wenn ich über alles nochmal nachgedacht hatte. "Na gut. Ich werd mit Kyle reden. Aber nicht mehr heute. Ich will jetzt einfach nur noch in mein Bett", seufzte ich. "Ist gut. Dann lass uns heim gehen und ich ruf derweil Kyle an und erklär ihm das." Fynn zog mich nochmal kurz in seine Arme und dann liefen wir los nach Hause.


Ava - My life with fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt