22. Kapitel

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So schnell ich konnte rannte ich die Gänge entlang. Das Brennen der vielen kleinen Wunden ignorierte ich ebenso wie Fynns und Kyles Rufe. Ich wollte gerade einfach nur alleine sein. Ich wusste, dass mich die Erinnerungen jeden Moment wieder einholen würden und ich wollte nicht, das das jemand mitbekam. Deshalb lief ich zur nächsten Mädchen Toilette, schloss mich dort in eine Kabine ein und hoffte, dass mich keiner gesehen hatte. Kaum hatte ich die Tür hinter mir verriegelt, konnte ich die Bilder nicht mehr zurückhalten und brach zusammen.

Ich saß an meinem Schreibtisch und zeichnete. Es fehlten nur noch die letzten Details, die ich jedoch schnell erledigt hatte. Danach warf ich einen Blick auf die Uhr und sprang erschrocken auf. Scheiße! Mein Vater würde in 40 Minuten kommen und ich hatte noch nichts gekocht. Ich sprintete die Treppen nach unten und warf einen Blick in unseren Kühlschrank. Es war nicht mehr allzu viel da, weshalb ich mich dazu entschied einen Nudelauflauf zu machen. Ich beeilte mich und schaffte es tatsächlich die Schüssel noch rechtzeitig in den Ofen zu schieben. Danach deckte ich den Tisch für meinen Vater und stellte mir einen Teller auf die Küchenanrichte, falls ich die Erlaubnis bekäme auch etwas zu essen. Nachdem ich auch dies erledigt hatte, machte ich noch schnell die Küche wieder sauber, da mein Vater es nicht leiden konnte, wenn dreckige Sachen herumlagen. Und auf eine seiner Strafen deshalb konnte ich gut verzichten. Kaum hatte ich das letzte Teil verräumt, hörte ich auch schon unsere Haustür aufgehen. Kurz darauf erschien mein Vater in der Küche und lies sich auf seinen Stuhl fallen. Ich holte den Auflauf aus dem Ofen und legte eine Portion auf seinen Teller, bevor ich mich zurückzog und die Anrichte abwischte. Ich beobachtete dabei meinen Vater und hoffte, dass ich mir auch etwas nehmen dürfte, doch als er nach dem ersten Bissen das Gesicht verzog, bekam ich Angst. Ich hatte etwas falsch gemacht. "Warum ist das Essen so süß?!", schrie er mich an und sein Gesicht verfärbte sich langsam rot. Ich fing an zu zittern und wich automatisch einen Schritt zurück. In der Hektik musste ich Zucker und Salz vertauscht haben. "Tut mir leid Vater. Ich hab wahrscheinlich Zucker und Salz vertauscht.", erklärte ich flüsternd. Mit einem Wisch beförderte er den Teller zu Boden, wo er klirrend zersprang und sich die Scherben in der kompletten Küche verteilten. "Willst du mich verarschen! Ich erwarte ja nun wirklich nicht viel von dir, aber das du sogar zu blöd zum kochen bist! Du kleine Schlampe bist zu nichts zu gebrauchen! Keiner will und braucht dich! Du bist nichts wert Miststück! Hast du mich verstanden?! Ich kann mit dir machen was ich will  und niemanden interessiert es! Und jetzt bekommst du erstmal deine Strafe!", brüllte er und kam bedrohlich auf mich zu. Seine Worte verletzten mich und ließen mein Herz schmerzen. War ich ihm wirklich so egal? Ich drängte mich in die Ecke der Küche und machte mich so klein wie möglich. Mein Vater packte mich an den Haaren, zog mich aus der Ecke hervor und warf mich auf den Boden mitten in die Scherben hinein. Ich schrie auf vor Schmerz und würde am liebsten anfangen zu weinen, doch ich durfte nicht. Es würde alles nur noch schlimmer machen. Er begann auf mich einzutreten und die Scherben bohrten sich noch tiefer in meine Haut, während er mich unablässig beschimpfte. Dann entdeckte er den Teller auf der Anrichte. "Hattest du etwa vor auch was zu essen?! Wahrscheinlich noch ohne meine Erlaubnis! Aber das kannst du vergessen! Du wirst die nächsten zwei Tage nichts bekommen!", schrie er, nahm den Teller und warf ihn auf mich. Er traf mich am Kopf und dann wurde plötzlich alles dunkel und still um mich herum.

"Ava! Ava mach die Tür auf!" Durch die Rufe und das Klopfen an der Kabinentür kam ich langsam wieder zu mir. Noch immer leicht benommen setzte ich mich langsam auf und lehnte mich an die Wand, bevor ich mit zitternden Fingern die Tür aufsperrte. Sofort wurde diese aufgerissen und ich konnte einen sehr besorgten Fynn und hinter ihm einen ebenso aufgewühlten Kyle erkennen. Fynn kam sofort zu mir, hob mich im Brautstyle hoch und trug mich nach draußen. Kyle folgte uns. Anscheinend hatte der Unterricht schon wieder angefangen, denn alle Gänge waren komplett leer. Keiner von uns sagte etwas. Ich war noch zu sehr in meinen Gedanken gefangen und die Jungs schienen zu spüren, dass ich gerade etwas Ruhe brauchte. Nach ein paar Minuten waren wir anscheinend an unserem Ziel angekommen, denn wir betraten einen kleinen Raum, den ich vorher noch nie wahrgenommen hatte. Es war wahrscheinlich das Krankenzimmer der Schule, da die Schränke und Regale hier voll mit Medizin, Verbänden und weiteren solcher Sachen waren. An der einen Wand befand sich noch eine Krankenliege, auf der mich Fynn jetzt ablegte, und drei Stühle standen ebenfalls hier. Beide holten sich einen Stuhl und setzten sich zu mir an die Liege. Fynn strich mit seiner Hand sanft über meinen Kopf, während Kyle meine Hand hielt und mit seinem Daumen Kreise auf meinen Handrücken zeichnete. Beide Gesten beruhigten mich und dann fing ich einfach an zu weinen. In diesem Moment wurde mir einfach alles zu viel. Die ständigen Erinnerungen an meinen Vater, der Stress mit Ashley, das meine Mutter ständig weg war, das alles  kam auf einmal zusammen. Ich ließ alles raus, es störte mich nicht mal, dass Kyle auch hier war, und die Jungs versuchten mich zu trösten. Allerdings schaffte ich es erst mit dem Weinen aufzuhören, als Kyle mich in seine Arme zog. Und wie beim letzten mal überkam mich wieder dieses Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Nicht mal Fynn schaffte es mir dieses Gefühl zu geben. Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, löste ich mich aus Kyles Umarmung und setzte mich wieder auf die Liege. "Geht's dir wieder besser?", wollte Fynn von mir wissen. "Ja es geht schon wieder." "Was war denn los? Wir haben mindestens fünf Minuten an die Tür geklopft. Warum hast du denn nicht aufgemacht?", fragte mich Kyle besorgt. "Ich konnte nicht." "Wie du konntest nicht." Fragend und verwirrt sah Kyle mich an. "Das was in der Cafeteria passiert ist, hat mich an meinen V... an meine Vergangenheit erinnert. Bilder von damals sind wieder hochgekommen und ich war davon so abgelenkt, dass ich euch nicht gehört hab." Puh. Das war knapp. Beinahe hätte ich das mit meinem Vater verraten. Ich hoffte, dass Kyle nun aufhören würde zu fragen, doch er machte weiter. "Was ist denn damals passiert, dass es dich so abgelenkt hat?", fragte Kyle neugierig weiter. Sollte ich ihm das wirklich erzählen. Dann müsste ich ihm aber alles erzählen. Vertraute ich ihm dafür wirklich schon genug?

Was meint ihr? Sollte sie ihm schon von ihrer Vergangenheit erzählen oder ist das noch zu früh?

Die Lesenacht findet nächste Woche Sonntag statt und ich werde wahrscheinlich wieder drei Kapitel hochladen. Das erste entweder um 20:00 oder 21:00 Uhr und dann stündlich das nächste. Hoffe euch hat das Kapitel gefallen und ihr freut euch schon auf die Lesenacht.

Eure Lili

Ava - My life with fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt