11. Kapitel

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Müde schlurfte ich in die Küche. Heute war einer dieser Tage, wo man am besten im Bett geblieben wäre. Ich hatte gestern noch viel gezeichnet und dabei komplett die Uhrzeit vergessen, weshalb ich erst spät ins Bett gegangen und nun vollkommen übermüdet war. Ich war zu spät aufgewacht und hatte mir in meiner Hektik ganze fünfmal die Zehe, den Ellbogen oder die Hüfte an verschiedenen Kanten gestoßen. "Morgen", begrüßte mich Fynn fröhlich. Er war einer von diesen Menschen, die schon früh morgens hell wach waren. Ich dagegen war eher ein Morgenmuffel. "Bist gestern wohl zu spät ins Bett gegangen was?", zog er mich auf, woraufhin ich ihm nur einen Killerblick schenkte. "Ich wollte dich noch was fragen. Meine letzte Stunde fällt heute aus, weshalb ich früher nach Hause kann. Allerdings hast du ganz normal Unterricht. Soll ich auf dich warten oder läufst du alleine heim?" Ich überlegte kurz. Natürlich wäre es für mich bequemer wenn er warten würde, aber mir würde es auch nicht schaden zu Fuß nach Hause zu gehen und Fynn tat sowieso schon sehr viel für mich. "Du musst nicht warten. Ich werd dann einfach heim laufen." "Sicher? Zu Fuß dauert der Weg fast eine halbe Stunde." "Ja das macht nichts. Früher bin ich jeden Tag so lange gelaufen. Fahr ruhig heim, ich schaff das schon." "Okay danke." Ich packte mir einen Apfel und ein Sandwich für die Schule in meine Tasche und dann fuhren wir auch schon los.

Im Klassenzimmer angekommen setzten wir uns auf unsere Plätze, wo Kyle schon auf uns wartete. Er wirkte irgendwie nervös und wandte sich dann überraschenderweise an mich:"Tut mir leid, dass ich dich gestern so gedrängt hab von deiner Vergangenheit zu erzählen. Wenn du nicht darüber reden willst, dann akzeptier ich das." "Sch-schon o-okay." Erleichtert darüber, dass ich seine Entschuldigung angenommen habe, lehnte sich Kyle zurück und beobachtete nun unsere gerade in den Raum gekommene Englisch Lehrerin. Während des langweiligen Unterrichts holte ich wieder meinen Zeichenblock raus und begann ein neues Bild. Beim Zeichnen bekam ich nichts mehr mit, was um mich herum geschah. Ich dachte auch nicht darüber nach, was ich da aufs Papier brachte, sondern lies meiner Phantasie freien Lauf. Nachdem ich fertig war, betrachtete ich mein Bild (siehe oben). Auch wenn es mir im Moment gut ging, zeigte dieses Bild doch, wie ich mich wirklich fühlte. Innerlich war ich gebrochen und einsam. Schnell packte ich die Zeichnung weg, bevor Fynn sie sehen und unangenehme Fragen stellen konnte. Nachdem die Doppelstunde Englisch vorbei war, hatten wir Pause. Ich ging aber, bevor ich mich draußen zu Fynn und Kyle stellen wollte, noch kurz auf die Toilette.

Ich wusch mir die Hände und wollte gerade nach draußen gehen, als drei Mädchen reinkamen. Sie gingen alle drei in meine Klasse und schon allein an ihren viel zu kurzen Klamotten und den zehn Tonnnen Schminke im Gesicht erkannte man, dass sie zu den Bitches gehörten. Ich wollte einfach an ihnen vorbei gehen, doch die in der Mitte, ich glaube sie hieß Ashley, versperrte mir den Weg und schubste mich wieder zurück in den Raum. Bedrohlich kam sie auf mich zu. Ich wich zurück, doch schon bald spürte ich die Wand in meinem Rücken. Ashley und ihre Freundinnen stellten sich vor mich und versperrten mir den Weg zur Tür. Ängstlich sah ich sie an. Was wollten sie von mir? "So du kleine Schlampe. Du hörst mir jetzt ganz genau zu verstanden? Fynn gehört mir und du wirst dich absofort von ihm fernhalten, denn auch wenn er nicht mehr im Football Team ist, gehört er trotzdem noch zu den heißesten Typen der Schule und sollte sich nicht mit solchem Abschaum wie dir abgeben müssen." Mir traten Tränen in die Augen. Ashleys Worte verletzten mich und normalerweise würde ich nicken und ihre Anweisungen befolgen, aber Fynn war mein Bruder! Ich konnte mich nicht von ihm fernhalten! "A-a-a-aber...", versuchte ich dies zu erklären, jedoch wurde ich sofort von ihr unterbrochen. Mit einem Klatschen landete ihre Hand auf meiner Wange. "Kein aber! Fynn gehört mir und du wirst dich von ihm fernhalten! Hast du mich verstanden?!", schrie sie mich an, was ich aber nur am Rande mitbekam. Zu sehr war ich damit beschäftigt die Erinnerungen an meinen Vater zu verdrängen, die mit dem Schlag wieder hochgekommen waren. Ashley schien mein Schweigen nicht zu gefallen, denn sie holte erneut aus. Ich kauerte mich in der Ecke zusammen. Stumm liefen Tränen über mein Gesicht. Doch bevor ihre Hand mich treffen konnte, wurde sie von jemandem aufgehalten. "Lass meine Schwester in Ruhe Ashley und versteh endlich, dass ich weder dir gehöre noch etwas von dir will!", rief Fynn wütend und zerrte sie und ihre Freundinnen von mir weg. "Deine Schwester?!", rief Ashley ungläubig. "Ja meine Schwester. Und jetzt verpisst euch!" Bei seinem wütenden Ton zuckten sie zusammen und verschwanden schnell. "Alles okay bei dir?", fragte Fynn und sah mich besorgt an. Ich sagte nichts sondern umarmte ihn nur fest. "Danke.", flüsterte ich leise. In den letzten Tagen und Wochen war Fynn immer für mich da gewesen. Mum und Adam hatte ich kaum gesehen und morgen früh würden sie für eine Woche wegen einer Geschäftsreise nach Frankreich fliegen, aber Fynn hatte gezeigt, dass ich ihm vertrauen konnte. Meine Ängste schienen wie weggeblasen wenn ich bei ihm war. Und dafür war ich ihm unendlich dankbar.

Die letzte Stunde war nun auch endlich zu Ende und ich konnte nach Hause gehen. Fynn hatte ja schon früher Schluss, weshalb ich mich alleine zu Fuß auf den Weg machte. Auf dem Heimweg erinnerte ich mich wieder an Fynns Reaktion, nachdem ich ihn umarmt hatte. Er hatte den restlichen Tag nicht mehr aufhören können zu grinsen und hatte mich, als ich mich von ihm lösen wollte, wieder zurück in eine feste Umarmung gezogen. Ich war froh ihn so glücklich zu sehen, denn wenn er froh war, war ich es auch. Ich war inzwischen ca. zehn Minuten gelaufen und nun an einer Kreuzung angekommen. Musste ich jetzt links lang oder rechts? Mist! Ich konnte mich nicht mehr erinnern! Letztendlich entschied ich mich dazu rechts abzubiegen. Ich lief weiter und versuchte das komische Gefühl den falschen Weg genommen zu haben zu unterdrücken. Als ich aber nach einer weiteren Stunde, wie ich an einer Uhr im Schaufenster eines Ladens erkennen konnte, immer noch nicht zu Hause war, sondern in einer mir unbekannten Gegend, konnte ich nicht länger verleugnen, dass ich mich verlaufen hatte.

Da ich weder ein Handy besaß, noch Geld für ein Münztelefon dabei hatte und viel zu viel Angst hatte jemanden anzusprechen, beschloss ich weiterzulaufen, denn irgendwann müsste ich ja wieder an einem mir bekannten Ort vorbeikommen. Mich nach etwas bekanntem umschauend ging ich also weiter, doch anstatt zurück zu finden, kam ich in eine ziemlich heruntergekommene Gegend. Überall liefen besoffene alte Männer und knapp bekleidete Frauen herum. Aus den meisten Kneipen hier drang lautes Gegröle und ich entdeckte auch mehrere Läden, in denen man für Geld seinen Spaß haben konnte. Ich fühlte mich immer unwohler, da es zum einen langsam dunkel wurde und zum anderen mir mehrere Männer hinterhersahen oder pfiffen, wenn ich an ihnen vorbei eilte. Ich beschloss umzudrehen und diesen unheimlichen Ort hinter mir zu lassen, kam allerdings nicht sehr weit, denn schon nach ein paar Metern wurde ich in eine enge und dunkle Seitengasse gezerrt. Ich schrie panisch auf, doch schnell lag eine große Hand über meinem Mund und erstickte den Schrei. Ich wurde gegen eine raue Wand gedrückt und erkannte wegen des kaum vorhandenen Lichts nur schemenhaft den großen Mann der vor mir stand. "Na Süße, was macht so ein hübsches Mädchen wie du ganz allein hier?" Ich war vor Angst wie erstarrt und zitterte wie verrückt. "Redest wohl nicht so viel was? Aber das macht nichts, wir können trotzdem unseren Spaß haben.", flüsterte er mir mit rauer Stimme ins Ohr und ich konnte spüren, das er grinste. Die Situation erinnerte mich stark an meinen Vater und ließ meine Angst nochmals steigen. Mein Atem verschnellerte sich und doch schaffte ich es nicht mich zu wehren, denn noch immer konnte ich mich nicht bewegen. Auch dann nicht, als er seine Lippen auf meine legte und mit seinen Händen unter mein Oberteil ging. Das einzige was ich tun konnte, war zu hoffen, dass mich jemand  retten würde.

Ava - My life with fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt