Elf

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Seitdem er erkrankt war, ließ sich Dominik häufiger blicken, aber heute war es das erste Mal, an dem der Anwalt richtig lange blieb. Normalerweise verschwand er, sobald die Kinder ins Bett gebracht waren, er blieb höchstens noch, bis Tim ein Glas seines Wassers ausgetrunken hatte, doch nun war schon die Sonne in Leben untergegangen, und der Anwalt saß noch immer auf dem Stuhl in der Küche und las. Tim saß ihm gegenüber, vor sich die Schreibmaschine, und arbeitete an dem neuen Artikel der From the Future; es war ja genug passiert in ihrem kleinen Dorf, das doch immer voller Ereignisse war. Er tippte so vor sich hin, als der Anwalt das Wort ergriff, sich zuerst räusperte.
„ Ich war heute bei Herr Hirn", sagte der Brünette ruhig, und Tim sah auf, „Er freut sich, dass es dir besser geht, sagte aber, ich solle heute Nacht hierbleiben, Die letzte Nacht sei immer die schwerste", redete Dominik weiter, Tim nickte langsam, rieb sich dann den Nacken.
„ Dann schlage ich vor, dass du in meinem Bett schläfst, ich schlafe auf dem Sofa"m sagte er, und Dominik lachte, schüttelte den Kopf.
„ Das kann ich nicht verantworten. Ich schlafe auf dem Sofa, selbstverständlich.", berichtigte er Tim, der dagegen protestierte, bis Dominik schließlich seufzte.
„ Ich schlafe bei dir mit im Bett, oder auf dem Sofa. Such es dir aus", sagte er seelenruhig, und dem Redakteur schoss das Blut ins Gesicht, er räusperte sich vernehmlich und starrte wieder auf seine Notizen, bevor er ein wenig weitertippte; allerdings konnte er irgendwann seine Müdigkeit nicht mehr verstecken, willigte deshalb ein, dass der Anwalt mit in seinem Bett schlafen könne, wenn sie sich anders nicht einig werden würden.
Der Weg nach oben war von einem Schweigen erfüllt, und Tim dachte daran, dass es ja absolut nichts schlimmes hatte, mit Dominik in seinem Bett zu schlafen; Selfie schlief dort in regelmäßigen Abständen, sogar Tourist hatte sich schon mal an ihn gekuschelt; Dario hingegen, so wusste er, war mehr als einmal durch die ganze Stadt geschlichen, nach einem Albtraum, um mit Dominik zu kuscheln. Die Schelten hatte er ohne zu Klagen danach eingesteckt. Auch Pepe bevorzugte Dominik; Manuel blieb stets in seinem Bett. Natürlich war es etwas anderes, die Person, die man liebte im Bett zu haben, anstelle eines Kindes. Aber, er liebte Dominik ja nicht. Er mochte den Anwalt nur sehr gerne.
Es war ungewohnt, den Körper des Anwalts so nah an seinem zu haben, er konnte Dominiks Muskeln durch den dünnen Stoff des Nachthemdes spüren, und drehte sich um, so dass er mit dem Rücken zum Anwalt lag, der schon regelmäßig zu atmen begonnen hatte; als Tim aber die Augen schloss, spürte er den Arm Dominiks, der sich um ihn schlang, ihn näher an sich zog.
„ Schlaf gut", flüsterte Dominik ihm leise zu, und zum ersten Mal entspannte sich Tim vollkommen. Ob das nun an der Nähe lag, oder daran, wie sehr er Dominik vertraute, konnte er nicht sagen. Aber es musste so was sein, denn er wehrte sich nicht dagegen, in den Schlaf abzudriften, und am nächsten Morgen gesund wieder aufzuwachen.

Die zweite Ausgabe der From the Future kam deutlich besser an, als Tim es für sich selbst prophezeit hatte, was vermutlich an einem schlicht und einfachen Grund lag: Ein Bild Selfies zierte das Titelbild, und selbst Herr Inside hatte sich zu einem Kommentar hinreißen lassen, wie absolut süß der Kleine Triforcianer doch aussehen konnte. Nebst den Kindern, die natürlich eine große Rolle spielten, gab es auch einen Artikel über die Ermordung Edgars, selbstverständlich, und dann noch mehrere Kleinanzeigen, die in seinem Briefkasten gelandet waren. Den Leitartikel bildeten aber tatsächlich seine Kinder, die ohnehin ganz Leben verzaubert hatten; gestern waren sie durch die Stadt gegangen, einfach ein wenig spazieren, und Tim war nicht weniger als fünfmal aufgehalten worden, von den verschiedensten Bewohnern. Ganz gleich, welche Bewohner es waren, sie alle erlagen dem Charme der jüngsten Mitglieder der Gemeinschaft irgendwann. Es kam nicht selten vor, dass einer der Bewohner, die Tim noch nicht einmal wirklich kannte, stehen blieb und fragte, ob er oder Sie nicht kurz jemanden auf den Arm nehmen dürften oder einem der Kinder durch die Haare wuschelten.
„ Ach, guten Tag, Herr Bergmann", ließ sich in diesem Moment wieder eine Stimme verlauten, und er drehte sich auf dem Absatz um, die Kinder blieben auch stehen, „Und die ganze Kinderschar haben Sie auch dabei.", redete die Frau weiter, nickte ihm fröhlich zu, „Ich glaube aber, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Fräulein Julia Biocci", sagte sie, schüttelte ihm die Hand. Sie war auffallend hübsch, wie Tim bemerkte; langes, hellblondes Haar und große, schwarze Augen, die ihn spöttisch anfunkelten, „Und du bist dann wohl der kleine Pepe", redete sie weiter, beugte sich nach unten zu dem Brünetten, wuschelte ihm durch die Haare.
„ Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Fräulein Biocci", sagte der Redakteur, lächelte zu Tourist hinab, die ängstlich seine Hand ergriffen hatte.
„ Die Freude ist ganz meinerseits", sagte sie, und irgendwas störte Tim an dieser Frau, er vermochte nur noch nicht zu sagen, was genau, „Huch, aber ich sehe, ich muss eigentlich woanders sein", ließ sie verlauten, verschwand dann eine Gasse nach unten, und Tim seufzte auf; die Wechselhaftigkeit der Bewohner verwirrte ihn doch immer wieder; er drehte sich um, seine Augen striffen kurz über die Büsche, die am Wegesrand aufgereiht waren; dunkle Büsche, durchzogen mit helleren- war da nicht etwas rote? Tim sah genauer hin, und zuckte zurück; da war sein eigenes Gesicht, mitten in den Büschen, und starrte ihn an, mit blassen, eingefallenen Wangen, das weiße Hemd dreckig und zerrissen, die Lippe blutig. Sein eigenes Gesicht- er keuchte auf, besaß aber noch so viel Geistesgegenwart, dass er die Kinder wegschickte, sie sollen zu Patrick laufen, und dort was nachschauen.
Er selbst stand immer noch in den Büschen, und Tim zuckte unter dem Blick zusammen, als ihm abwechselnd heiß und kalt wurde. Die Augen seines Gegenübers waren dunkler, als seine eigenen, aber erst, als er vorsichtig einen Schritt auf die Büsche zumachte, viel ihm auf, was da los war, was den Unterschied machte. Die Augen des Anderen waren schwarz, ohne jedes Licht, und auch ohne Iris. Nur schwarze Löcher.
„ Wer... bist du?", fragte er leise, und der Andere lächelte, was ihn noch unheimlicher aussehen ließ, „Wer bist du?", wiederholte Tim lauter, doch dann hörte er Schritte hinter sich.
„Herr Bergmann, was schauen Sie denn so ernst?", fragte die Stimme des Arztes hinter ihm, und Tim drehte sich auf dem Absatz herum, brachte ein halbes Lächeln zustande und erfand dann eine halbherzige Geschichte. Als er sich wieder umdrehte, war der Andere Tim verschwunden, und er war sich nicht sicher, ob er es sich vielleicht nur eingebildet hatte, immerhin hatte er schon seit einigen Stunden nichts mehr getrunken, vielleicht war ihm einfach die Sonne zu warm geworden. Er hoffte es für sich, erzählte auch Dominik am Abend nichts davon, auch nicht, als sie ins Bett gegangen waren.
Seit einigen Tagen schlief der Anwalt immer in Tims Haus, im Bett des Redakteurs, als sei es das normalste der Welt; dass es vielleicht nicht komplett normal war, bezeugte die Reaktion, die von einem Mitglied der Miliz kam, und Dominik fast zur Weißglut getrieben hatte; erst als Tim den Kleineren angefleht hatte, sich nichts strafrechtliches zukommen zu lassen, hatte sich der Anwalt wiederberuhigt, Tim dann so ernst angesehen, dass diesem das Herz für eine Sekunde stehen geblieben war, nur um dann doppelt so schnell wieder loszuschlagen. Mittlerweile war es für ihn aber Gewohnheit, dass er so heftig auf Dominik Zone reagierte.
Denn während seine Erinnerungen an daheim, an Marie und Youtube immer verhangener wurden, wurden seine Gefühle für Dominik immer realer. Er hatte lange eingesehen, dass er in den jungen Mann verliebt war, spätestens, als er diesen dabei beobachtet hatte, wie er mit den Kindern umging; dass Dominik nicht perfekt war, wusste er auch, aber er fühlte sich manchmal wie der Einzige Halt in dieser Stadt an. Die längste Geschichte hatte er zwar Zweifelsohne mit Manuel, aber am meisten verbunden fühlte er sich doch mit Dominik, auch wenn er dem eine stark veränderte Lebensgeschichte von sich selbst hatte erzählen müssen; natürlich hatte er das gemusst, wie sollte er jemals die Zeitreisen verstehen können, wenn Tim sie selbst nicht verstanden hatte? Selbst jetzt wachte er manchmal noch auf, und dachte, dass alles nur ein Traum gewesen sein könnte.
„ An was denkst du schon wieder?", flüsterte Dominik neben ihm, holte Tim damit zurück aus seiner Gedankenwelt in sein Bett, brachte ihn dazu, sich zu Dominik zu drehen, der nur sanft lächelte.
„ An alles Mögliche", log Tim, versuchte, sich die Vorstellung aus dem Kopf zu schlagen, Dominik zu küssen und ihn nie wieder loszulassen, „An die Kinder, an Leben an sich, an...", schweifte er ab, und der Anwalt neben ihm nickte nur, senkte dann den Blick.
„ An deine Heimat?", fragte er nach, und bedächtig neigte Tim den Kopf, stimmte das ja auch in gewisser Weiße, „Wirst du Leben bald verlassen, sobald die Kinder wieder erwachsen sind?", fragte er dann leise, und Tim merkte, worauf das Gespräch hinauslaufen würde.
„ Ich wüsste nicht wie", antwortete der Redakteur wahrheitsgemäß, „Warum? Willst du mich so dringend loswerden?"
Dominik lachte leise, und Tim stockte der Atem, als der Kleiner sich an ihn kuschelte. Wie von selbst legte er einen Arm um den Dunkelhaarigen, sah ihn aus großen Augen an.
„ Benimm dich gut, Bergmann, dann will ich dich vielleicht nie wieder loshaben", sagte Dominik leichthin, sich der Schwere seiner Wörter nicht bewusst, „Gute Nacht, Tim", fügte er hinzu, gähnte einmal herzlich, schlang die Arme um den Torso des Blonden, dem das Blut in die Wangen geschossen war.
„ Gute Nacht, Dominik", flüsterte er etwas atemlos, nickte, rutschte etwas weiter in seinem Kissen zurück. Sein Herz klopfte so stark, dass der Kleinere es sicherlich spüren konnte, doch für die Sekunde war Tim das vollkommen egal.
Es war still zwischen ihnen, nur das Unwetter draußen, das am Nachmittag schon begonnen hatte, sorgte für eine Geräuschkulisse, bis sie ein leises Klopfen an der Türe vernahmen. Da Tim annahm, dass Dominik schon schlief, rief er nur ganz leise, man möge doch eintreten.
Da stand neben Tourist auch noch die andere Kinderschar in der Türe, Manu hatte den kleinen Selfie an der Hand, Dario versteckte sich hinter Tourist und Pepe hielt ihre Hand. Tim staunte nicht schlecht, als sie alle zusammenzuckten, während eines erneuten Donnerschlags.
„ Dominik? Tim?", meldete sich Dario Verzögerung zu Wort, fuhr sich über die Nase, und der Brünette auf Tims Brust richtete sich auf.
„ Dario? Kinder.... Warum seid ihr denn noch wach?"
„ Können wir hier schlafen? Es ist so unheimlich unten", gab Sarah leise dazu, und Dominik sah den Blonden lange an, der nur nickte.
„ Also, die Anderen finden es unheimlich. Ich bin nur wegen Selfie mit", quietschte Pepe, kletterte dann aber behände über Tim hinüber, kuschelte sich in eines der Kissen, während der Kleinste nur noch gähnte, sich auf Tim zusammenrollte. Ein Blick über die Schulter zeigte dem Redakteur, dass Dario es sich an Dominiks Schulter bequem gemacht hatte, während Sarah und Manu aneinander gekuschelt am äußeren Rand lagen. Dominik sah Tim sanft lächelnd an, zuckte dann mit den Schultern, bevor er sich noch einmal über die Kinder lehnte, und dem Anderen- sehr zu Tims Erstaunen- einen Kuss auf die Stirn hauchte.
„ Jetzt aber wirklich, Gute Nacht"

Hallo, meine Kinder.
Ich sag's gleich, vermutlich wird das Update die nächsten zwei Wochen aussetzen, da ich in der Toskana bin und da meinen PC nicht dabei habe, also auch nicht auf TT zugreifen kann. (Schatten und 365 kommen natürlich trotzdem #guteAutorin)
Aber auch heute hätte ich gerne wieder Feedback, weil es mir so viel Spaß macht und ich einfach echt greedy für Meinungen bin. (Viel Bergzone heute)
- Johanna.

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