Zwölf

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Die Tage des Aprils kamen und vergingen, und mit ihnen verschwand auch nach und nach Tims Sehnsucht nach zuhause, nach Köln. Er hatte zunehmend sogar Probleme, sich an Dinge zu erinnern, wie Maries Stimme, oder das Hupen eines Autos. Nein, er wollte nicht zurück, nicht weg aus diesem Haus, welches er nun schon fast drei Monate sein eigen nannte; er schrieb fast täglich an den Artikeln für die From the Future, ging einkaufen und verbrachte die Abende mit den Kindern der Stadt, die wuchsen und gediehen, als seien sie Blumen. Tim lachte heimlich immer noch über diesen Vergleich, den Dominik nachts einmal angestellt hatte, nachdem sie erfragt hatten, wie lange der Umkehrungstrank wohl noch dauernd würde.
„ Bis nach dem Meifest haben wir ihn auf jeden Fall fertig", war die Antwort von einer der Damen gewesen, dann hatte sie Tim wieder von dannen geschickt, er solle sie nicht bei der Arbeit stören.
Das Meifest, also. Tim wusste natürlich, wann das war, hatte Dominik es nicht in seinem Kalender angestrichen, und die letzten Tage schon Dekorationen im Haus aufgestellt; Dario hatte ihm dabei geholfen, sowie die anderen Kinder auch, und es weckte in Tim zum ersten Mal seit langem wieder die Sehnsucht nach Hause, nach den Maifesten, die es in Köln gegeben hatte, oder auch in Hamburg. Es war nichts Besonderes gewesen, aber hier wünschte er sich fast, auch etwas zu haben, was er feiern konnte. Dominik und die Bewohner feierten aufgrund der Alten Götter, nur eine Sekte nahm nicht teil an diesen Feierlichkeiten, über die Tim berichten würde. Die Triforcianer, nämlich, würden diesem Event nicht beiwohnen; oder würden sie nicht, denn die einzigen Triforcianer, von denen Tim wusste, freuten sich diebisch auf dieses Fest; es solle dort Geschenke geben, vor allem für Kinder.
Was Tim seinen Kindern schenken würde, wusste er schon. Bücher, die sie lesen konnten, wenn sie wieder groß waren. Es waren vor allem Dinge, die mit ihnen passiert waren, während sie hier lebten, mit Bildern und allem Möglichen geschmückt, was ihn an die Kinder erinnert hatte. Er hatte aber wie ein Schießteufel aufpassen müssen, dass keines der Kinder die Bücher fand; vor allem Tourist und Manu waren unglaublich neugierig und durchsuchten alles.
Dario war eigentlich auch so neugierig, doch der fand Tim komplett uninteressant, und auch wenn es den Redakteur etwas schmerzte, so hatte er die Hoffnung ohnehin schon aufgegeben, dass Dario Verzögerung und er in dieser Zeit jemals Freunde sein könnten.
Er seufzte leise, öffnete dann das Buch, dass er für Pepe angefertigt hatte und zuckte prompt zusammen, als sich von hinten Hände auf seine Schulter legten.
„ Das ist schön.", flüsterte Dominik Zone ihm ins Ohr, schlang seine Arme um Tims Schulter, der sich augenblicklich entspannte. Es war etwas an Dominik, dass ihm jeden Stress innerhalb von Sekunden nahm. „Ist das für das Meifest?", fragte der Anwalt weiter, und Tim nickte, drehte sich etwas nach hinten, lächelte Dominik an, der so nahe an seinem Gesicht war. Er wusste, dass das Dorf über den Anwalt und Ihn munkelte, oft genug hatte er schon den einen oder anderen Kommentar von einem Bewohner gehört. Tim konnte es stets weder verneinen noch bejahen, war er sich doch selbst noch unsicher, wie sie zueinander standen; er konnte nicht bestreiten, in den Anwalt verliebt zu sein.
„ Was schenkst du den Kindern?", fragte Tim leise, und der Anwalt grinste ihn an, seine Augen noch dunkler als ohnehin schon.
„ Das ist ein Geheimnis. Warum fragst du nicht, was ich dir schenke?"
„ Du schenkst mir etwas?", fragte Tim irritiert, und der Brünette lachte, legte seine Stirn gegen Tims, der kurz die Luft anhalten musste, um nicht laut aufzuseufzen. Die Nähe war einfach etwas, was ihm gut tat; Die Nähe zu Dominik.
„ Natürlich, du Idiot.", flüsterte der Brünette, und augenblicklich änderte sich die Stimmung im kleinen Raum; Tim schluckte schwer, sah in die dunklen Augen ihm gegenüber und spürte, wie sein Herz an Geschwindigkeit aufnahm. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schwieg dann aber lieber, beschränkte sich darauf, einen Blick mit Dominik zu halten, auch wenn seine Augen ihm immer wieder zu Dominiks Lippen entglitten. Die Luft war wie elektrisiert, und er schwieg einfach. Sie beide schwiegen, fast eine gesamte Minute, bis Tim beschloss, dass sie so nicht weiterkamen, sich nach vorne beugte, und den Anwalt küsste.
Wie beschrieb man diesen Kuss am besten? Vermutlich mit allerhand tollen Adverben, die Tim allesamt vergessen hatte, denn in seinem Kopf gab es nur ein Wort in diesem Moment, und das war ein Nomen. Dominik war alles, was er denken konnte; zumindest solange, bis etwas im Hintergrund scheppernd auf den Boden fiel. Ruckartig lösten sie sich voneinander, und Tim wurde leichenblass, als er hinter Dominik den kleinen Dario stehen sah, der sie beide aus großen Augen ansah, den Mund sperrangelweit offen, die Wangen gerötet, ansonsten aber blass. Eine einzelne Träne kullerte über seine Wange.
„ Dario", flüsterte Tim in die Stille des Raumes hinein, doch der Rothaarige war schon losgerannt, und Tim, ohne nachzudenken, rannte hinterher.

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