Dreißig

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Die nächsten Tage waren wieder mit Arbeit erfüllt, denn er konnte nun endlich nach außen gehen, und widmete sich mit neuer Motivation der Arbeit an der nächsten Ausgabe der Zeitung, und mit genauso viel Elan widmete er sich dem Lernen der alten Zunge; die Abende verbrachte er in Stille mit Dominik, sie lasen, aßen draußen, besuchten Herr Gespräch oder Fräulein Histories; es war alles gut. Die Maudazei war scheinbar wieder normal geworden, denn sie stellten nichts mehr an.
Es schien alles gut zu sein, auch der Spielemeister meldete sich nicht mehr.
An diesem Abend war Tim normal zu Bett gegangen, als er in der Nacht ein Kind schreien hörte. Ein Kind?
Er stand auf, müde, und tapste nach unten, öffnete die Küchentüre, um nach außen zu sehen - und stieß einen leisen Schrei aus. Dort war tatsächlich ein Kind; eingewickelt in ein Laken, zusammen mit einem schmutzigen Papier, auf dem in geschwungener Schrift sein Name stand. Er schluckte schwer als er den Zettel aufhob, ihn mit zittrigen Händen glatt strich und dann eine Kerze anzündete, um den Brief lesen zu können.
„ Herr Bergmann;
Dies ist meine Tochter Femke; ich gebe sie in Ihre Hände, denn wenn sie morgen erwachen, werden James Lawrence und ich bereits geflohen sein. Ja, sie hören richtig: Wir verlassen die Stadt, denn Femke soll gut aufwachsen dürfen und unter diesen Umständen geht das nicht. Zusammen mit uns kann Femke nicht reisen, es ist zu gefährlich; doch wir können nicht bleiben, die Maudazei hat ihre Augen überall. Ich vertraue Ihnen Femke an, denn Sie sind ein guter Mann, kümmern Sie sich gut um meine Tochter. Sie selbst wissen, unter welchen Umständen wir gehen.
Ich danke Ihnen für alles, Tim.
Hazellyn Schmidt."

Der Brief fiel zu Boden und Tim kniete sich nieder, drehte das Bündel etwas zu sich und zuckte zurück, obwohl er das sanfte Kindergesicht erwartet hatte; große, graue Augen sahen ihn an, tausend Sommersprossen zierten das Gesicht schon jetzt und ein kleiner Flaum roter Haare bedeckte die helle Stirn. Femke.
Tim konnte beim besten Willen nicht sagen, wann er zuletzt geweint hatte, doch nun liefen ihm die Tränen ungehindert übers Gesicht; er weinte um seine Freundin aus Leben, Hazellyn Schmidt, die ihr Kind niemals wieder sehen würde, und er weinte um Femke, dieses wunderschöne Kind vor ihm, die ohne Eltern aufwachsen würde.
Immer noch zitternd drehte er sich um, als er Schritte hörte und dann Dominik den Brief reichte; der Anwalt wurde blass, es waren keine Worte nötig, als er Femke hochhob und sie lange ansah.
„ Willkommen zuhause, kleine Maus", flüsterte Dominik schließlich, seufzte leise, nahm Tims Hand, der sich nun räusperte.
„ Willkommen daheim", flüsterte er leise und die Kleine sah ihn an. Und lächelte dann ein zahnloses Lächeln, bei dem ihre Augen strahlten. Und er wollte schon wieder weinen.

Sie schlief und schrie, und alle zwei Tage brauchten sie frische Milch, die sie von allen aus der Stadt bezogen, die sie gerade entbehren konnten. Fräulein Histories war mehr im Hause des Redakteurs vorzufinden als sonst irgendwo in der Stadt, Herr Gespräch hatte mehr als einmal auf dem Sofa geschlafen, um nachts das Kind in den Schlaf zurückzusingen. Tim konnte nicht sagen, wie viel Schlaf er die letzten Tage bekommen hatte, seitdem Femke Schmidt vor seiner Türe aufgetaucht war. Höchstens zehn Stunden; am ersten Tag hatte er gar nicht geschlafen, so sehr war er fertig gewesen, hatte sich die Nacht nur an Dominik gekuschelt, der die Kleine in ihr Bett gelegt hatte und dann mit ihm wach geblieben war.
Am Morgen war der Anwalt zu Bürgermeister Rahmschnitzel gegangen, hatte das Verschwinden angemeldet und den Brief vorgelegt, damit Femke bei ihnen bleiben konnte; Dominik war anschließend zu Fräulein Histories gegangen und hatte sie um Hilfe gebeten, mitunter. Denn ein neugeborenes Kind war noch einmal schwieriger zu behandeln als die Kinder, um die sie sich zuvor gekümmert hatten. Mit schwerer Miene hatte Tim einen Raum im Obergeschoss leergeräumt, den er eigentlich zum Bad hatte umfunktionieren wollen; nun stand ein Bettchen darin, das Dominik selbst umgebaut hatte- Pepe Takaishii hatte auf das Geheiß von Herr Gespräch ein kleines Mobile vor die Türe des Redakteurs gelegt, dass aus Glasperlen und hübschen Stöcken bestand. Sogar die Mafia- Herr Inside und Herr Rotpilz als Vertreter- waren einige Male vorbeigekommen, hatten dann kleinere Dinge abgegeben, ein paar Kindersocken, oder eine mit Heu gefüllte Puppe.
Auf Tims Frage, warum gerade Sie das tun würden, hatte Inside nur mit den Schultern gezuckt, sich dann gegen den Hut getippt.
„ Wissen Sie, Herr Bergmann, Sie mögen zwar ungesund neugierig sein, aber auch wir hatten sowas wie Sympathie für die Hexe. Hat gute Heiltränke verkauft, die Kleine. Seien Sie mal gespannt, was Ihr Kind davon trägt", hatte der Anführer der Mafia gesagt, dann kurz in die Wiege geschaut und war, zusammen mit Rotpilz, wieder verschwunden. Danach waren sie nicht mehr aufgetaucht, aber das nahm ihnen der Blonde nicht übel.
Sie hatten um keine Hilfe gebeten, und dass sie so viel davon bekamen, machte sowohl Dominik als auch ihn unglaublich glücklich. Die einzige Tatsache, die die Stimmung des Anwalts zu trüben schien, war die, das Dario Verzögerung- generell die gesamte Maudazei- keine Suche nach Fräulein Schmidt und Herr Lawrence gestartet hatte. So war die Hexe nun vermutlich schon über alle Berge, und er würde sie nur schwerlich jemals wieder sehen können; instinktiv fragte er sich, ob es in seiner Zeit, daheim, in Köln, auch eine Hazellyn Schmidt gab. Ob er sie auch dort irgendwann noch treffen würde- der Gedanke verfiel, als er ein Schluchzen aus dem Nebenraum hörte und aufstand.
Dominik lehnte dort schon am Bettchen, strich durch die roten Haare des Kindes, während dieses aus einem Fläschchen Milch trank, sie dabei aus den grauen Augen neugierig betrachtete; bisher hatte sie noch keine Anzeichen von Magie gezeigt, und da es Tim schon überrascht hatte, dass Fräulein Schmidt magische Kräfte gehabt haben sollte, hoffte er, dass sie auch wenig davon zeigen würde. Ein Kind war schon schwierig genug- aber ein magisches Kind, das war zu viel verlangt.
„ Dominik", begann er, „Hatte Hazellyn Schmidt wirklich magische Kräfte?", fragte er leise, und der Anwalt sah ihn seitlich an, seufzte dann leise.
„ Weil du davon nichts mitbekommen hast, nicht?", fragte der Anwalt ruhig, nickte dann aber, „Sie kam nach Leben- das war vor sechs Jahren? Vor fünf? Ich weiß es nicht mehr. Damals hat sie vor Magie noch gesprüht, aber als sie schwanger geworden ist, da war das auf einmal alles weg. Sie meinte, das würde sich sicher im Kind entladen- wenn das deine Frage beantwortet", sagte der Anwalt, „Sie war das, was wir Elementalhexe nennen würden; ihr Gebiet war es, Pflanzen wachsen zu lassen, durch ihre pure Nähe- der maudadistische Wald kommt fast komplett von ihr", erzählte Dominik weiter, und Tim zog die Augenbrauen hoch- der Wald war doch riesig. Und das sollte alles von der Frau, die er hier kennengelernt hatte, kommen? Das schien zwar abwegig, doch er hatte sie nie zaubernd erlebt, er konnte nicht viel dazu sagen. Nur, dass es ihn nun doch etwas ängstigte, dass Femke auch magisch sein könnte; das würde noch mehr Arbeit bedeuten. Vielleicht sollte er das nächste Mal, wenn er mit Cassandra sprach, fragen, was es damit auf sich hatte.
Die Göttin hatte ihn seit seiner Gefangennahme nicht mehr aufgesucht, doch mittlerweile war er der maudadistischen Sprache fast komplett mächtig, also rechnete er damit, dass sie ihn bald wieder aufsuchen würde. Wohlmöglich.
„ Ich bin gespannt, was die Kleine irgendwann kann", sagte Dominik neben ihm leise, „Hazellyn sagte immer, dass sich bei ihr die Magie nach ihrem zweiten Monat ausgebildet hätte- was glaubst du, passt das in das Zeitfenster? Sie ist erst einen Mond alt.", murmelte er, und Tim zuckte mit den Schultern, beugte sich dann nach vorne, um dem Mädchen die Flasche abzunehmen. Ihre Puppe war hinuntergefallen, also hob er sie wieder auf ihr Bettchen.
„ Ich hoffe, es ist irgendwas einfaches", sagte er ruhig, und Dominik lachte leise, legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, „Dort, wo ich herkomme, gibt es keine Magie", fügte Tim an, und der Anwalt nickte.
„ Ich glaube, Magie ist überall", gab er zu bedenken, „Vielleicht ist sie dir bei dir einfach nie aufgefallen", sagte er leise, und Tim wiegte den Kopf sanft, gähnte dann leise, als er ein Klopfen an der Türe hörte.
„ Ich gehe", sagte er leise zu Dominik, ging durch die Küche zur Türe, öffnete- und zuckte zusammen, als er Herr Inside davor stehen sah. Der blonde Anführer hatte sich lange nicht hier sehen lassen, aber Tim hatte es auch nicht erwartet, er hatte immerhin nicht so viel mit der Mafia zu tun. Was also brachte Inside vor seine Tür?
„ Herr Bergmann."
„ Herr Inside- was bringt sie her?", fragte er sanft, und der Mafiaboss sah ihn kühl an, grinste dann etwas, als aus der Türe ein leises Brabbeln kam, „Oh. Femke", flüsterte Tim leise, und Rewi grinste etwas.
„ Ich möchte auch gar nicht stören", sagte Rewi Inside, immer noch grinsend, „Eigentlich komme ich nur wegen Herr Zone vorbei.", fuhr er fort, „Aber das ist etwas unschön. Es wäre also schön, wenn sie ihn herholen könnten"
Tim nickte, ging zurück in das Kinderzimmer und richtete seinem Geliebten die Nachricht aus. Kurz darauf sagte Dominik ihm Bescheid, dass er wohl nochmal in die Kanzlei gehen würde, und dass Tim nicht auf ihn warten sollte, er würde danach noch in der Maudazei vorbeisehen, mit Dario zu Abend essen, wenn dieser es einrichten konnte. Nur ungern lies Tim ihn gehen, doch dann lächelte er nur, nickte; er würde sich etwas um Femke kümmern, und sich dann endlich an die neue Ausgabe der From the Future kümmern.
Das hatte er vorgehabt- doch kaum, dass er sich gesetzt hatte, schreckte er auch schon wieder hoch, hinter ihm waren Schritte zu hören- als er sich umdrehte, sah er das wütende Gesicht Manuel Elpehs vor sich.
„ Das hast du ja hervorragend gemacht, Bergmann", tönte der Sektenführer, „Hast du schonmal darüber nachgedacht, was passiert, wenn du wieder hier verschwindest? Bist du denn komplett irrsinnig, hier die Sorge für ein Kind zu übernehmen?", fragte der Brünette laut nach, und in Tim legte sich ein Schalter um- bisher hatte er kaum darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn er Leben wieder verließe. Vielleicht, weil er hier gar nicht wegwollte. Also... zuerst erstmal nicht.
„ Ich lass mir schon was einfallen. Erstmal muss der DeLorean wieder funktionieren- außerdem dachte ich, du wolltest hier nicht weg, Manuel?", fragte er, und der Sektenführer machte einen Schmollmund, huffte dann einmal ärgerlich.
„ Irgendwann müssen wir trotzdem wieder gehen- wir sind hier schon zu lange, Tim. Eigentlich hätten wir gar keine Bindungen aufbauen dürfen.", redete er weiter, beschwor damit schlechtes Gewissen in Tim herauf, „Wir müssen hier weg, sobald wie möglich", sagte der Brünette, „Also krieg den DeLorean wieder zum laufen. Du bist doch irre, dich um ein Kind zu kümmern", fauchte er, und Tim zuckte zusammen, als er ein Glänzen in Manuels Tasche sah. Das sah fast aus, wie...
„ Der Fluxkompensator", sagte Tim, „Den hast du doch-"
Wie ein Blitz schoss Manuel nach oben, und Tim sprang auf, wollte ihm nach, doch dann kam ihm das Kind wieder in den Sinn. Geschlagen musste er zusehen, wie Manuel Elpeh mit dem Fluxkompensator den Raum verließ.
Aber das machte doch überhaupt keinen Sinn! Wenn Manuel Leben verlassen wollte, zusammen mit Tim und dem DeLorean, dann konnte er doch nicht einfach den Fluxkompensator- das ergab doch alles überhaupt keinen Sinn! Was genau hatte der Triforcianer denn jetzt damit bewirken wollen?
Er schüttelte den Kopf, mehrmals, und ging dann nach unten, in den Geheimkeller. Da stand er, der DeLorean, in all seiner Pracht, mit den nach oben schwingenden Türen und den strahlenden Lichtern. Tim fuhr andächtig über die Motorhaube, dachte an den Tag, an dem er diese Maschine gekauft hatte, und wie er schließlich in Leben gelandet war- eigentlich hatte Elpeh Recht. Sie konnten nicht ewig hier bleiben, auch wenn er sich das wünschte, in vielen Momenten. Vor allem jetzt, mit Dominik Zone und Femke in seinem Haus. Seiner Familie. Seufzend fuhr er sich durch die Haare, während seine Gedanken weiter auf Reise gingen. Um hier wegzukommen bräuchte er zum einen den Fluxkompensator, und zum anderen müsste er eine Menge Energie aufbringen.


Hello!!
Fröhliche Weihnachten und willkommen zum letzten Update des Jahres 2017 in diesem Buch.
Das nächste Kapitel gibts aber am 1.Januar 2018, wenn ich bis dahin etwas mit der Wüste klarkomme- es läuft ganz ok, muss ich hier sagen, so langsam werden ich und Desperado Freunde.
Meinungen?
- Johanna.

Timetraveller.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt