Schweiß perlte von Raphaels Oberlippe; nach Honig schmeckender Schweiß. Die Pflastersteine unter ihm glühten warm, auf der Straße vor ihm fuhren Autos, ewige Schlangen von glänzendem Metall. Aus manchen Klang Musik; dumpfe, von der Hitze aufgesogene Klänge.
Raphaels Traum wandelte sich, plötzlich war er Teil der Musik, waberte in der Luft hin und her völlig körperlos. Vielleicht lag es daran, dass er das Auto nicht sehen konnte und es in einem grauen Schleier um ihn herum tanzte. Raphael wusste bloß, dass es da war.
In der grauen Masse zeigte sich plötzlich Fenster, dabei hatte Raphael noch nicht mal an Fenster denken müssen. Er hatte einfach nur befunden, dass wenn er das Auto schon nicht richtig sehen konnte, er dann wenigsten hinaus schauen wollte.
Raphael dachte nicht daran, dass ihm das als Musik eigentlich auch egal sein konnte, denn dann wäre er vielleicht aufgewacht.
Er fuhr einfach weiter mit, sah durch die Fenster Straßengrün vorbeihuschen, ein Rathaus mit abgeplatztem Putz, Häuserreihen. Dann störte plötzlich etwas die Kreise seiner Musik, drang bis zu ihm hindurch und machte ihm seinen Platz als Ton streitig. Autohupen. Ein buntes Auto - selbst als Musik befand Raphael, dass bunte Autos verboten gehörten - fuhr dicht an ihm vorbei.
So dicht, dass sie einander vielleicht berührt hätten, wenn Raphaels Auto nicht aus grauen Schleiern bestehen würde. Dabei war es gar nicht Raphaels Auto. Jedenfalls fuhr er nicht. Erstens, weil er das nicht konnte und zweitens, weil er immer noch keine Hände besaß. Vielleicht besaß er einen Mund, so als Musik, aber jedenfalls keine Hände, die ein Lenkrad halten und ein Auto führen konnten.
Raphael dachte zur Probe darüber nach, nach links zu fahren, aber das Auto rührte sich nicht und fuhr weiter stur geradeaus. Daraus schlussfolgerte Raphael, dass er es nicht war, der das Auto lenkte. Der unsichtbare Fahrer musste die Musik lauter gedreht haben, denn auf einmal fühlte Raphael sich stärker und kräftiger, er wollte sich durch die Ritzen, durch das Fenster, das einen Spalt breit offen stand, hinaus drängen.
Wenn Musik aus Autos dröhnte, verblasste sie irgendwann. Raphael wollte nicht verblassen; es war bestimmt doch besser, drinnen zu bleiben. Auf alle Fälle für ihn in der Gestalt eines Tons, eines Klanges, aber nicht für ihn in der Gestalt eines wahren Menschen.
Ein kräftiger Ruck ging durch das gesamte Fahrzeug, Raphael wurde nach vorne geschleudert, zerquetschte Musik an der Windschutzscheibe.
Und der Fahrer war immer noch unsichtbar. Die Fenster dagegen schienen noch größer zu werden. Dehnten sich nach allen Seiten und boten perfekte Sicht auf die sich ergebene Szenerie. Raphael war immer noch Musik, Musik, die gerade hektisch leiser gedreht wurde. Raphael konnte auch gar nicht Raphael sein, denn dieser rannte gerade auf die Straße. So schnell, dass das ein wenig zu lang gewordene Haar hinter ihm her wirbelte.
Der musikalische Raphael betrachtete sein menschliches Ebenbild auf der Straße mit ruhiger Gelassenheit, musterte das Gewusel an Menschen die um das Auto herumliefen. Orientierungslos und heillos überfordert. Eigentlich war es sogar entspannend, dem Ganzen zuzusehen. Immerhin war er Musik und das alltägliche war ohnehin nicht von Belang.
Bis ein neuer Ton Raphael Musik störte und mit bloß einem Geräusch die schützende Hülle des grauen Autos zerstörte. Glas zerbarst unter dem Schlag einer Faust, rotes Blut sammelte sich an den gesplitterten Rändern.
Die Melodie war gestört, Raphael spürte, wie er aus dem Auto hinausgesogen wurde. Durch die feinen Risse hindurch gequetscht hinaus auf die Straße. Die Geräusche von draußen sprengten seine Vorstellungskraft, erst war es ein Summen, dann schwoll es zu einem ohrenbetäubenden Quietschen und Piepsen an.
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Uranus ist auch nur ein Planet
JugendliteraturMit einer überragenden Körpergröße von einem Meter sechsundneunzig ist das Untertauchen in der Menge Raphaels Superkraft, die er bis zur Perfektion betreibt. Nie hätte er damit gerechnet, dass sich genau das an einem gewöhnlichen Freitagnachmittag...