15 - Juna

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Nach dem Essen hatte Raphael die Zeichnung sorgfältig in seiner Schultasche verstaut, auch wenn er nicht wusste, was er in der Schule damit anfangen sollte. Klar, Juna war da und er hätte ihr die Zeichnung mit allem Drum und Dran zeigen und erklären können, aber Raphael hatte nicht vergessen, wie sie ihn angesehen hatte.

Auch wenn Lissas Eltern, weshalb auch immer, verziehen hatten; Juna hatte das nicht.

Raphael schüttelte den Kopf und beugte sich noch tiefer über seine Mitschriften aus dem Chemieunterricht. Aber leider funktionierte das mit der passiven Diffusion nicht so gut, da konnte er noch so nah an die Seiten heranrücken. Es nutzte ganz einfach nichts und am Dienstag würde er wieder da sitzen und das Blatt anstarren.

Eigentlich war es dämlich, seine ganzen Überlegungen waren dämlich. Er konnte nichts dafür, dass die im Krankenhaus die Hirnblutung nicht entdeckt hatten. Er war der Ersthelfer gewesen und er hatte seinen Job gut gemacht. Es gab überhaupt nichts zum Verzeihen.

Raphael drückte die Bleistiftspitze so fest auf seinen Collegeblock, dass sie abbrach. Dann beschloss er der ganzen Sache ein Ende zu bereiten und Jonathan anzurufen. Er war ein Ass in Chemie und einfach allem, was striktes logisches Denken voraussetze. Kurz in allem, was Raphael partout nicht beherrschte.

Manche Leute behaupteten, Künstler seien automatisch auch begabt in Mathematik und abstraktem Denken. Oder zumindest in Musik. Aber bei Raphael war da nichts weiter, bloß seine Kunst.

Das Festnetztelefon stand auf einem kleinen wackligen Beistelltisch, der umkippte, wenn man sich gegen ihn lehnte. Außerdem befand es sich mitten im Esszimmer, genau dort also, wo Raphaels Vater gerade dabei war seine Zeitung zu lesen. Deswegen entschied Raphael sich dazu, obwohl er seit September vergangenen Jahres seine Handyrechnungen selber zahlte, Jonathan von seinem Handy aus anzurufen.

Er tippte Jonathans Festnetznummer ein und wartete. Seine Mutter würde dran gehen, da war er sich sicher. Einige Sekunden später, kurz bevor der Anrufbeantworter angesprungen wäre, meldete sie sich. „Sabine Keller." Raphael schmunzelte. Sie klang immer gleich, es war immer derselbe Satz tausendfach wiederholt und perfektioniert. „Hallo, hier ist Raphael. Ist Jonathan da?" Noch ehe er seinen Satz beendet hatte, wurde der Telefonhörer weitergereicht.

„Hei Raphael", begrüßte ihn Jonathan, Raphael hätte sein monatliches Taschengeld darauf verwettet, dass er genau in diesem Moment auf dem Sofa saß, die Füße auf ein Kissen gebettet und im Schoß einen historischen Roman. „Tut mir leid, dass ich dich störe, aber ich schreib am Dienstag Chemie und-" Obwohl Raphael ihn nicht sehen konnte, wusste er, dass Jonathan sich genau in diesem Moment von der Couch schwang und nickte.

„Klar, kein Problem. Worum geht es?" Raphael atmete aus, dann zog er hilflos die Schultern hoch. „Keine Ahnung, vielleicht so grob alles?" Jonathan lachte, dann hörte Raphael, wie ein Schreibtischstuhl zurückgezogen wurde. „Gib mir mal die Themen durch, in Ordnung? Dann ruf ich dich so in einer halben Stunde zurück."

Erleichtert kramte Raphael in seinen Unterlagen um die Auflistung der Themen wiederzufinden. „Danke. Wirklich Jonathan, wenn ich fünf Punkte schaffe, dann bekommst du nen Kuchen oder so." Es knisterte im Hintergrund. „Lass mich mal erst meine Arbeit machen, dann kannst du immer noch anfangen zu backen", sagte Jonathan und legte auf.

Selbst wenn er am Telefon dazu bereit war deutlich mehr zu reden als in Wirklichkeit, hieß das noch lange nicht, dass er das besonders gern tat.

Raphael ließ das Handy sinken, als er eine Neue Nachricht von Rica bemerkte. Er seufzte. Er hatte ihr noch nicht gebeichtet, dass Lissas Handy immer noch bei sich daheim in der Schreibtischschublade herumlag und er fragte sich, ob er das überhaupt noch zugeben sollte.

Uranus ist auch nur ein PlanetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt