Schnipsel

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#1 Nach dem See-Kapitel

„Ich weiß seit meinem zwölften Geburtstag, dass ich nicht auf Frauen stehe."

Sie saßen in Junas alter Klapperkiste, es roch muffig, durch das offen stehende Fenster hatten sich die mit abgewetzten Stoff bezogenen Polster mit Wasser vollgesogen. Raphael und Matthi hinterließen mit ihren Badehosen nasse Flecken auf den Sitzen, die Handtücher selbst waren so klamm und feucht, dass sie sie hatten auswringen müssen. Die Handys lagen vor der ächzenden Lüftungsanlage, sie hatten sich darüber gewundert, dass das Auto überhaupt eine besaß.

„Ich kann mich noch nicht mal daran erinnern, wie das Mädchen hieß, dass mich geküsst hat. Aber sie hatte blonde Haare."

Matthi drehte den Autoschlüssel im Schloss herum, der Motor sprang an und ließ den Wagen zittern. Seine Hände lagen beide am Lenkrad, die Adern unter seiner Haut schimmerten grünlich. Raphael sah auf seine eigenen Hände, mit der rechten hielt er noch immer den Griff der Autotür fest. Als würde ihm das das Aussteigen ermöglichen, falls es alles zu eng werden würde.

„Ich habe mir eingeredet, es würde mich stören, weil sie Lissa so ähnlich sah." Matthi stockte und schluckte, bevor er weiter sprach. „Aber das war es nicht."

Die Scheibenwischer kratzten monoton über die Windschutzscheibe. Das unkontrollierbar Stürmische des Regens hatte nachgelassen, war einfältig und stumpf geworden. Ein Tropfen nach dem anderen klatschte gegen die Scheiben, im sich stetig wiederholenden Rhythmus. Die kräftige Sonne des Nachmittags hatte den Asphalt glühen lassen, jetzt stieg ein Teil des Wassers wieder gen Himmel. Verdampfte, nur um in sechs Kilometern Höhe wieder zu kondensieren, Aerosole und Staub zu binden, auf und ab getrieben zu werden.

„Australien war auch deswegen so unbeschreiblich. Weil..." Matthi fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und ließ den Satz unbeendet in der Luft schweben. Sie fuhren auf die Landstraße auf, Raphael sah, wie sich die feinen blonden Härchen auf Matthis Unterarmen aufstellten. Unter anderen Umständen wäre ihm die Kälte durch den stetigen Luftzug vielleicht auch aufgefallen. Aber im Moment schien sie nebensächlich.

„Man kommt in ein fremdes Land und wenn du vorher behauptet hast, Spinat nicht zu mögen, kannst du ihn jetzt probieren, weil niemand weiß, dass du ihn eigentlich nicht magst. Das klingt vielleicht verrückt, aber es ist so, verstehst du?"

Raphael schmunzelte, das Ganze mit Spinat zu vergleichen sah Matthi ähnlich. Er ließ den Griff der Autotür los, rutschte ein wenig auf seinem Sitz herum und fragte sich, wo normale Leute ihre Hände platzierten, wenn sie auf dem Beifahrersitz saßen. „Er hieß Lachlan. Idiotischer Name, aber Lachlan O'Dwyer war besonders. Er-" Matthi packte das Lenkrad fester, von der Seite aus sah Raphael, wie sein Adamsapfel in seinem Hals auf und ab glitt.

„Er hat nicht so ausgesehen wie Lissa." Matthi lachte leise in sich herein. „Eher im Gegenteil. Ich glaube einige seiner Vorfahren waren Aborigines. Und er hat mir das Surfen beigebracht. Hat mir erzählt, dass einer seiner Brüder beim Surfen den halben Arm verloren hat, vor seinen Augen."

Raphael sah geradeaus auf die Straße. Sie wand sich zwischen den Hügeln hindurch, hatte die Landschaft nicht zerteilt, so wie die breite Autobahn hinter dem See das tat. Vielmehr war sie wahrscheinlich schon vor Jahrzehnten von Pferdekutschen befahren worden, bis aus unbefestigten Pfaden Straßen geworden waren.

Er versuchte sich Lachlan O'Dwyer vorzustellen und es gleichzeitig sein zu lassen. In etwa so effektiv wie Denke nicht an einen blauen Elefanten. Lachlan O'Dwyer, was für ein Name. Ein Aborigine mit einer Haut so dunkel wie Kakao, durch die das Blitzen weißer Zahnreihen nur noch deutlicher wurde. Bestimmt war Lachlan O'Dwyer ein Draufgänger gewesen. War mit Haien surfen gegangen und hatte Matthi mit leuchtenden Augen davon vorgeschwärmt.

Uranus ist auch nur ein PlanetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt