12 - Matthi

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„Du bist gekommen."

Verwundert blickte Raphael zur Seite. Matthi hatte die tratschenden Damen mittleren Alters überholt und ging jetzt federnden Schrittes neben ihm her.

Raphael räusperte sich. „Ja, sieht so aus." Matthi nickte und schwieg. „Wurde mehr oder weniger dazu überredet", fügte Rapahel nach einigen Sekunden hinzu. Er spürte Lissas Handy in seiner Hosentasche. Er musste es ihm geben. Jetzt.

„Matthi, ich-" Ein riesiger Knoten bildete sich in seiner Kehle undschnürte ihm die Luft zu. „Ich muss dir-" Am Ende des geschotterten Weges blieb Matthi stehen und sah Raphael erwartungsvoll an. „Ja?" „Erinnerst du dich-", Raphael stieß einen Stein über den frisch gemähten Rasen, „'Tschuldige. Natürlich erinnerst du dich. Blöder Anfang. Ich meine bloß diese pinke-"

Matthi sah ihn an, seine Augen erinnerten Raphael immer noch an die seiner Schwester. Bestimmt gehörten Augen zu den Körperteilen, die unter der Erde als erstes verotteten oder von Maden und Würmern zerfressen wurden.

Raphael sah ausweichend über Matthis Kopf hinweg in den Himmel. Als hätte er durch die Beerdigung, dem ersten mehr oder minder freiwillig besuchten Gottesdienst seit seiner Kommunion, seinen Glauben an den alten bärtigen Mann im Himmel wiederentdeckt.

„Matthi!"

Sie drehten sich gleichzeitig um. Juna kam aus der Menschenmenge auf sie zu gelaufen und löste sich aus dem schwarz vor sich hin trottenden Pulk aus Taschentüchern und schwarzen Handtaschen. Sie trug ein gelbes Kleid und einen dunklen Koffer auf dem Rücken. „Ich hab dich schon gesucht!", stieß sie aus und kam vor ihnen zum Stehen.

„Jonathan", sagte sie knapp und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Raphael", verbesserten Matthi und er sie gleichzeitig. Juna verzog entschuldigend das Gesicht. „Raphael, ja klar", verbesserte sie sich halbherzig und tat immerhin so, als würde sie sich daran erinnern, wie er wirklich hieß.

Raphael winkte ab, obwohl es ihm eigentlich unbegreiflich war, wie man ihn mit Jonathan verwechseln konnte. Immerhin war er drei große Köpfe größer als Jonathan und sprach sogar gelegentlich.

„Hast du eben gespielt?", fragte Raphael und deutete auf den Koffer, der verdächtig saxophonförmig war. Juna lächelte und wischte sich beiläufig eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ja, doch. Das habe ich. Das war unser Lied." Sie schaute versonnen an Raphael vorbei. „Ich habe von der BigBand den Solipart bekommen und Lissa durfte das erste Mal die Solistin aus der dreizehn vertreten. Keine Ahnung, Musik war immer irgendwie unser Ding." Sie lächelte, Matthi schien sich unwohl zu fühlen.

Er schwankte unruhig von einem Bein aufs andere. Es wurde unangenehm still, bis Juna sich von Raphael abwandte. „Matthi", setzte sie an, „was ich eigentlich fragen wollte ... Könntet ihr mein Saxofon mit dem Auto mitnehmen? Ich bin mit dem Rad gekommen und das Ding ist echt schwer."

Matthi fuhr sich gedankenverloren durch das ordentlich zurück gekämmte Haar. Sogleich versuchte er, es wieder zu richten. „Ja, klar. Kein Problem." Juna nickte und stellte ihm den Koffer vor die Füße. „Dann sehen wir uns gleich bei euch?"

Raphael trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Bis er bemerkte, dass Juna ihn wahrscheinlich gar nicht gemeint hatte. Aber seine Geste war ohnehin nicht bemerkt worden.

Juna umarmte Matthi zum Abschied und machte eine komische Verrenkung in Raphaels Richtung. „Kommst du auch noch mit?", fragte Matthi, während Juna als leuchtend gelber Punkt inmitten der schwarzgekleideten Masse in Richtung Ausgang geschwemmt wurde.

„Wohin?", fragte Raphael und kam sich dabei etwas dümmlich vor.

„Leichenschmaus", antwortete Matthi und lachte kurz auf. „Komisches Wort. Als würde man eine-" Er schluckte und das erste Mal an diesem Tag konnte Raphael so etwas wie Unsicherheit an ihm feststellen. „Nein, ich denke nicht", antwortete Raphael hastig. „Eine Freundin nimmt mich wieder mit zurück. Es wäre zu spät, schätze ich."

Uranus ist auch nur ein PlanetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt