54 - Matthi

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Raphael lag auf dem Rücken auf dem zur Hälfte abgebauten Trampolin im Garten hinter Lissas Haus und spürte, wie das schwarze Sprungtuch bei jeder Bewegung auf und ab wippte. Seine Beine baumelten über den Rand, die seitlichen Schutznetze lagen zusammengeknüllt auf dem Rasen. Die Anspannungen des Tages, Levi, all das fiel jetzt von ihm ab.

Sie hatten Levi einfach so stehen lassen, Matthi und er, und waren durch ganz Warnheim gelaufen bis zum verrosteten Bushaltestellenschild und zu ihm nach Hause. Die meiste Zeit über schweigend, aber wenn ihre Hände wie zufällig einander streiften, waren keine Worte notwendig gewesen. Ricas Handy hatte geklingelt, er hatte schlicht vergessen, es ihr wiederzugeben. Raphael hatte es kurzerhand abgeschaltet, Rica und die Geburtstagsfeier waren plötzlich in weite Ferne gerückt.

Als Juna Matthi angerufen hatte, war er dabei gewesen, das Trampolin abzubauen. „Lissa und ich haben für das Trampolin zusammengelegt, als sie gerade in die Grundschule gekommen ist", sagte Matthi und öffnete die Terrassentür. „Es kam mir damals vor wie ein kleines Vermögen und als das Trampolin dann schließlich im Garten stand, habe ich mir nach den ersten zehn Sprüngen den Knöchel verstaucht." Er streifte sich die Socken von den Füßen und ging über den kurz geraspelten Rasen zum Trampolin. Raphael folgte ihm. Matthi blieb stehen und streckte sich, dann stützte er sich auf dem blauen Rand ab und ließ sich auf das Trampolin fallen. „Eigentlich habe ich versprochen, es abzubauen, bis meine Mutter kommt. Aber ich glaube, das wird nichts mehr."

Raphael grinste und Matthi rückte ein bisschen zur Seite, sodass er sich neben ihn legen konnte. „Ich könnte dir helfen", sagte Raphael halbherzig und wusste selbst nicht, ob der das Angebot ernst gemeint hatte. Langsam ließ er sich nach hinten sinken. Raphael blinzelte in die Sonne und hörte, wie Matthi leise lachte. „Was ist?" Raphael zog die Nase kraus und hob eine Hand, um sich gegen die Sonne ab zu schirmen. Matthi bedachte ihn mit einem kurzen Blick und schüttelte nur den Kopf. Das Lachen war immer noch nicht von seinem Gesicht verschwunden.

„Nichts."

Raphael hob eine Augenbraue, Matthi zuckte mit den Schultern. „Ich hätte bloß nicht gedacht, dich heute hier zu sehen." „Jaah", bestätigte Raphael nach einer Weile und strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. „Aber wer weiß, vielleicht träumst du auch nur. Und gleich wachst du auf und alles der letzten Wochen ist nur noch eine verwaschene Erinnerung, die dir mit jeder Sekunde die vergeht aus den Fingern rinnt."

„Das wäre-", begann Matthi, ließ den Satz jedoch unbeendet. Er biss sich auf die Unterlippe. Raphael dachte an Lissa. Daran, was passiert wäre, wenn ihr nichts passiert wäre. Nichts, vermutlich. Kein verbrannter Marmorkuchen, keine eingelaufenen Socken, kein Schwimmen unter den Gewitterwolken. Die widerspenstige Haarsträhne rutschte ihm wieder ins Gesicht. Vielleicht dachte Matthi auch an all das, vielleicht hatte er deswegen seinen Satz nicht zu Ende sprechen können.

„Oscar Wilde hat mal gesagt, dass das Leben nicht fair ist und dass das für die meisten von uns gut ist", sagte Raphael leise. Lissas Leben war nicht fair gewesen. Sie hätte mehr Jahre verdient gehabt. Matthi blinzelte, er streckte seine Hand nach ihm aus, für den Bruchteil einer Sekunde innehaltend. Er strich Raphael die Haarsträhne aus der Stirn und als Matthis Fingerspitzen seine Haut berührten, blieb ein sanftes Prickeln zurück.

„Ich bin selbstsüchtig und jähzornig, Raphael." Matthis Stimme war kaum lauter als das leise Rascheln des Sommerwindes. „Und der Grund dafür, dass dein Leben in den letzten Wochen alles andere als fair war. Denn wenn so etwas wie Karma existieren würde, dann..." Matthis Brustkorb hob sich, als er einatmete und unter dem T-Shirt meine Raphael seine Rippenbögen erkennen zu können. „... dann wärst du jetzt definitiv nicht hier."

Uranus ist auch nur ein PlanetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt