„Hi", sagte Raphael so leise, dass er zunächst dachte, niemand habe ihn gehört. Aber da hatte sich Celines Bruder auch schon zu ihm umgedreht. „Raphael, oder?", fragte er und selbst seine tiefe Stimme passte zu dem Stereotyp eines Models. „Jus? Ich glaube Marie war eben noch auf der Suche nach dir", sagte Celine an ihren Bruder gewandt.
Marie?" Fragend zog er eine Augenbraue hoch. So hoch, dass sie fast unter seinem Haaransatz verschwand und seine gesamte Stirn in Falten warf. „Ja, Marie", wiederholte Celine etwas nachdrücklicher und dieses Mal schien Justus ihre Aufforderung zu verstehen. Nach einer kurzen Abschiedsgeste war er verschwunden. „Das ist also dein Bruder", bemerkte Raphael äußerst geistreich und Celine nickte. „Ja", bestätigte sie knapp. „Das ist mein ach so toller Bruder."
„Sollte ich also froh sein, keine Geschwister zu haben?", sagte Raphael mit einem vorsichtigen Grinsen und Celine seufzte leise. „So würde ich das nicht unbedingt sagen, aber wenn alle dich nur auf Grund deines Bruders kennen, dann ist das auch nicht gerade das allerschönste." Celine verzog kurz ihr Gesicht, dann winkte sie ab.
„Also Jus Namen kannte ich bis gerade noch nicht", versuchte Raphael sie mit einer kleinen Halbwahrheit aufzumuntern. Den richtigen Namen ihres Bruders wusste er, lediglich seinen Spitznamen hatte er gerade zum ersten Mal gehört. „Aber deinen hab ich natürlich schon gewusst", beteuerte er mit einem schiefen Grinsen, das auch Celine ein Lächeln entlockte.
„Den kanntest du also?", wiederholte sie schmunzelnd. „Auf jeden Fall, ich hatte gerade eine Spülschicht zusammen mit Thomy. Da war das unvermeidlich", antwortete Raphael. „Thomy kennt also auch meinen Namen, gut zu wissen." Celine nippte an ihrem Glas, eine Haarsträhne fiel ihr in die Stirn. Dann glitt ihr Blick plötzlich an Raphael vorbei.
„Nicht umdrehen, bitte", sagte sie leise. Raphael runzelte fragend die Stirn. „Paul", antwortete sie ihm. „Paul? Das war-", überlegte er, bis ihm der breitgebaute Junge wieder einfiel, mit dem Celine schon letztes Jahr zur Kirmes gekommen war. Paul hatte ihr in diesem Jahr keinen Maibaum gestellt, daran meinte er sich noch zu erinnern. „Seid ihr noch zusammen?", fragte Raphael erstaunt, und noch im selben Moment ging ihm auf, dass die Frage nicht hätte stellen müssen.
„Nein." Celine lachte leise, aber sie wirkte angespannt und linste immer wieder zu ihm herüber. „Er hat es übertrieben", bemerkte sie und der Griff um das Bierglas in ihren Händen wurde fester. „Übertrieben? Was meinst du mit übertrieben?" Celine schien seine Frage nicht gehört zu haben, viel zu beschäftigt damit, den Kopf zu senken. „Siehst du meinen Bruder hier irgendwo?" „Nein, ich glaub nicht", antwortete Raphael schnell und reckte den Hals. Justus war nirgendwo zu sehen. „Oh, oh", sagte Celine und zog Raphael am Unterarm in die entgegengesetzte Richtung.
„Was ist denn mit ihm?" Celine drehte sich noch einmal um und erst, als Paul nicht mehr zu sehen war, entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. „Er war ein bisschen besitzergreifend, um es vorsichtig auszudrücken." Raphael nickte langsam. „Und was, wenn man es nicht vorsichtig ausdrückt? Was war er dann?" Celine schmunzelte und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht weiter wichtig. Es ist vorbei, auch wenn er das nicht einsehen will."
„Thomy wird sich freuen", bemerkte Raphael mit einem Grinsen, Celine erwiderte es halbherzig. Sie schwiegen einen Augenblick lang, wippten zögerlich im Takt der Musik. „Kommst du gleich auch noch zu Scheurers?" Raphael biss sich auf die Unterlippe. „Nein, ich denke nicht. Eigentlich wollte ich direkt nach meiner Schicht schon wieder nach Hause. Kirmes ist nicht so mein Fall." Celine zog die Schultern hoch. „Du kannst es dir ja auch noch anders überlegen. Wenn du schon mal hier bist." Sie lächelte. „Außerdem werden die alteingesessenen Herren unsere Musik bald schon nicht mehr ertragen wollen, es dauert also nicht mehr lange." „Ja, vielleicht", erwiderte Raphael vage und entdeckte in der Menge hinter ihnen Pauls braunen Haarschopf.
DU LIEST GERADE
Uranus ist auch nur ein Planet
Teen FictionMit einer überragenden Körpergröße von einem Meter sechsundneunzig ist das Untertauchen in der Menge Raphaels Superkraft, die er bis zur Perfektion betreibt. Nie hätte er damit gerechnet, dass sich genau das an einem gewöhnlichen Freitagnachmittag...