„Das neben Levi sind Jasmin und Marko, siehst du das Mädchen mit dem-" Das Blut in Raphaels Ohren rauschte, war lauter als Ricas Stimme. Levi hatte in dem Wagen gesessen. Er hatte den Wagen gefahren, er hatte das Lenkrad umklammert und starr geradeaus gesehen. Vielleicht hatte er mit sich gerungen auszusteigen, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hatte er dagesessen, ruhig und bedacht, hatte seinen größtmöglichen Schaden kalkuliert, während kaum einen Meter von ihm entfernt Lissa vor seiner Motorhaube lag.
„Also, was sind eure Tipps für die nächste Halbzeit?" Simon ließ sich neben Rica fallen und sah sie erwartungsvoll an. „Lars macht eins", vermutete sie und ließ sich von Simon bereitwillig eine Cola in die Hand drücken.
Hatte Levi Lissa überhaupt sehen können? Oder war die Motorhaube im Weg gewesen? Machte das überhaupt einen Unterschied?
„Lars ist der Torwart", fügte sie in Raphaels Richtung hinzu und ließ den Kronkorken mit einer erprobten Bewegung an der Betonabtrennung der Tribüne abspringen.
Was, wenn Levi sie auch noch überfahren hätte, bei dem Versuch, zu fliehen. Hatte er diese Möglichkeit auch mit einberechnet?
„Sorry, Raphael", sagte Simon und verzog entschuldigend das Gesicht. „Lukas hat die Cola eben schon für Rica mitgebracht. Aber dahinten werden noch welche verkauft."
Was machte die Schuld mit Levi? Empfand er Reue? Oder Angst. Angst doch noch dran zu kommen. Aufzufliegen. Hinter Gittern zu verschwinden. Wie viele Jahre Knast bedeuteten Fahrerflucht? Unterlassene Hilfeleistung? Mehr als ein Steuerbetrug, als ein Fehler in der Rechnung? Oder wog beides gleich viel.
„Kein Problem, ich hab sowieso keinen Durst", sagte Raphael und merkte gleichzeitig, wie sein Mund immer trockener wurde. Frederik und Matteo; Levi war der Trainer ihrer Mannschaft. Hatte er keine Skrupel gehabt, ihnen das Schießen und Zielen beizubringen?Die Luft war zu heiß, zu stickig, die Gespräche um ihn herum schienen von Sekunden zu Sekunde lauter zu werden, die Alte-Herren-Ehefrauen-Gruppe brach in ohrenbetäubendes Gelächter aus. Wie von selbst hatten Raphaels Finger damit begonnen, unablässig gegen die Plastikschale des Sitzes zu klopfen.
Rica runzelte die Stirn, er hörte damit auf. „Alles klar?", fragte sie, als Simon sich einen Moment lang zu Levi und Jasmin umdrehte. Raphael schluckte, nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Ich brauche Junas Handynummer", platzte es dann aus ihm heraus. „Hast du die zufällig?"
„Juna?" Rica zog die Augenbrauen hoch. „Warum in aller Welt brauchst du jetzt Junas Handynummer?" „Weil-" Raphael stockte und verschränkte seine Hände miteinander, bis die Fingerknöchel knackten. „Darum eben." Er stand ruckartig auf. „Hast du sie oder nicht?" Raphael ging ein paar Schritte und hätte dabei fast Ricas Cola über den Haufen gerannt. Sie erhob sich ebenfalls und stupste ihn gegen die Schulter. „Im Ernst, Raphael, alles klar?" Vielleicht war der Stupser doch eher ein Schubser gewesen. Hoffentlich in die richtige Richtung. „Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen."
Raphael warf einen schnellen Blick auf Levi und schüttelte dann energisch den Kopf. „Nein." Er ließ die Schultern sinken und nahm einen tiefen Atemzug. „Alles bestens. Aber ich müsste sie wirklich mal kurz anrufen." Bittend sah er sie an. Versuchte sich ein bisschen kleiner zu machen und löste die Arme aus ihrer Verschränkung. „Mein Handy ist ja immer noch im Eimer, daher-" Rica seufzte leise und bückte sich nach ihrer Tasche, aber der Argwohn war noch nicht aus ihrem Blick verschwunden, als sie Raphael ihr Handy entgegenstreckte.
„Hier", sagte sie und Raphael konnte sehen, wie sie das Innere ihrer Wangen zwischen die Zähne zog. „Ich hab ihre Nummer nicht", sagte sie knapp. „Aber schau mal nach, vielleicht stehen sie mit dem Festnetz im Telefonbuch." Raphael nahm das Handy entgegen, Rica hielt es einen Moment länger fest als es nötig gewesen wäre. „Danke", murmelte Raphael, hielt ihrem Blick aber nicht länger stand und drehte sich um. Das Handy fest in der Hand haltend, lief er die Ränge hinunter bis zum Spielfeldrand.
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Uranus ist auch nur ein Planet
TienerfictieMit einer überragenden Körpergröße von einem Meter sechsundneunzig ist das Untertauchen in der Menge Raphaels Superkraft, die er bis zur Perfektion betreibt. Nie hätte er damit gerechnet, dass sich genau das an einem gewöhnlichen Freitagnachmittag...