2.Das neue Haus

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"Aufwachen Luciana, wir sind da."

Weckten mich die sanfte Stimme meiner Mutter und das Öffnen der Autotür, gegen die ich mich gelehnt hatte, um ein wenig vor mich hinzudösen.
Scheinbar hatte ich es geschafft trotz dem konstanten Ruckeln einzuschlafen.
Mein Kopf fiel ohne das Stützen des Fensters in die Richtung meines Schoßes und ich lehnte mich brummend zurück gegen den weichen, gewärmten Ledersitz.
Widerwillig wand ich mich sofern das im Auto ging.

"Mhm.", brummte ich leise.

Gähnend öffnete ich meine schläfrigen Augen.

"Wo denn?"

"Noch nicht richtig wach, hm?"

Kam es von Dad, den ich durch halbgeöffnete Augenlider verschwommen mit einem großen, haselnussbraunen Karton in der Hand auf dem Bürgersteig erkennen konnte.

War ich die einzige Person in dieser Familie, die wenn sie aufwachte nicht mehr wusste wer, wo oder was sie war?

Eine Erinnerung an Henrys verschlafenes Gesicht, das jeden Morgen die Duden Definition von vollkommener Verwirrung widerspiegelte, reichte um mein nun wacher werdendes Ich vom Gegenteil zu überzeugen.
Mich streckend grummelte ich leise und schloss meine Augen wieder, um der friedlichen Gedankenlosigkeit des Schlafes nachzueifern.

"Na komm schon."

Mum wuschelte mir durch die wirren Haare und entfernte sich von mir, wie ich durch ihre leiser werdenden Schritte bemerkte.
Frustriert, das aus weiterem Dösen wohl nichts werden würde, rieb ich mir die Augen und schnallte mich ab.
Mein Blick musterte die Umgebung argwöhnisch und allmählich stellte ich fest, dass das große Haus vor mir nicht mein gewohntes Terrain war.

"Oh..." Murmelte ich

Das Haus hatte ich nur auf einigen Bildern gesehen, die Mum und Dad mir und meinen Brüdern gezeigt hatten, denn für einen Besuch mit der ganzen Familie war der Weg dann doch zu weit und meine Brüder und ich zu unmotiviert gewesen.

"Na komm, du faule Nuss, die meisten Kartons sind ja schon oben.", erklärte ein verschwitzter Henry der geradewegs aus dem wunderschönen, großen Haus kam.

Wenn selbst Henry, womöglich die Verkörperung der Todsünde Trägheit, schon fleißig am helfen war, dann blieb mir wohl nichts anderes übrig als mit anzupacken.
Es war auch wirklich ein Wunder, dass ich so lange noch das Privileg eines Nickerchens hatte genießen dürfen.
Vermutlich hatte ich dies Dad zu verdanken, da ich seine einzige Tochter war, neigte er dazu mir einiges an Arbeit zu ersparen, auch wenn ich dann immer ein schlechtes Gewissen hatte.

Schuldbewusst lächelnd nahm auch ich, nachdem ich mich aufgerafft hatte, zwei gestapelte Kartons und brachte sie ins Innere unseres neuen Zuhauses.
Es war schön hell und lichtdurchflutet, ich fühlte mich direkt wohl.
Ein gepflegter, schöner Garten befand sich hinter dem Haus und man hatte von jeder der drei Etagen einen wunderbaren Ausblick auf das grüne Gras und die Blumen die auf der recht großen Wiese wuchsen.
Nachdem wir gemeinsam noch einige Kartons auf ihren vorläufigen Platz in der Mitte des geräumigen Wohnzimmers gestellt hatten, durften wir unsere Zimmer sehen.
Henrys Zimmer war schlicht, so wie im alten Haus und lag mit Marcos auf der zweiten Etage.

Mein Zimmer dagegen befand sich auf dem Dachboden und war ein wenig kleiner, was aber keineswegs schlimm war, da noch immer mehr als genug Platz für meine Möbel und Habseligkeiten war und es so ziemlich nichts cooleres als ein Zimmer direkt unterm Dach gab.
Da konnte mir selbst die sich im Dachgeschoss sammelnde Wärme im Hochsommer nichts anhaben.

Mein Zimmer war etwas größer als mein altes und war in hellen Pastell Tönen eingerichtet, da wir ein zum Großteil bereits möbeliertes Haus ausgesucht hatten, um nicht noch einen zweiten Umzugswagen zu mieten.
Staunend ließ ich mich auf das frisch bezogene Bett mit der hellgrauen Bettwäsche fallen.
Dad schaute kurz bei mir rein und lächelte.

"Und? Wie gefällt es dir? Ganz ehrlich, ich finde es sieht viel besser als auf den Fotos aus, die wir euch gezeigt haben."

Zustimmend nickte ich als ich mich an wesentlich spärlicher belichteten Bilder dachte, die wir zuvor gesehen hatten.

"Es ist wirklich wunderschön hier, danke, dass ihr euch so viel Mühe mit dem Heraussuchen gemacht habt. Es hat sich total gelohnt!"

Letzten Monat waren sie für eine Woche hier hin gefahren und hatten den vorigen Bewohnern beim Streichen und den letzten Vorbereitungen für unseren Einzug geholfen und das obwohl beide momentan anstrengende Projekte auf der Arbeit hatten.
Wären Marco, Henry und ich nicht noch in Schule und Uni gewesen, hätten wir mitgeholfen, aber so hatten sie einiges an Arbeit alleine leisten müssen.
Dad schmunzelte müde und nickte zufrieden.

"Das freut mich, Spätzchen. Jetzt sind wir aber glaube ich alle bereit für eine Runde Pause, vom der ganzen Fahrerei könnte ich echt im Stehen einschlafen. Wenn du Lust hast, kannst du schon mal mit dem Einräumen anfangen, aber ich bin für die nächsten zwei Stunden nicht ansprechbar."

Er zwinkerte und unterdrückte ein Gähnen, dann verschwand sein grauer Haarschopf auch schon aus dem Türrahmen.
Sobald Dad weg war, stöberte ich ein wenig in den Kartons, die ich schon hochgebracht hatte und blickte mich genauer im Zimmer um.
Dabei entdeckte ich ein großes Fenster, welches von einem weißen, dicken Vorhang verdeckt wurde und das Zimmer so hell aussehen ließ. Erfüllt von Neugierde stand ich auf und stolperte über die vielen noch unausgepackten Sachen zu diesem.

Hoffentlich hatte ich von hier aus einen schönen Ausblick!

Ich zog die beiden Vorhänge auseinander und erhaschte in der Tat eine Panorama Aussicht von Wald, Schäfchenwolken und den benachbarten Häusern.
Ein großes graues Haus in der Nähe des großflächigen, dunkelgrünen Waldes stach mir ins Auge.

Ich erkannte die hochgewachsene Silhouette eines den Balkon betretenden jungen Mannes mit dunklem, verwuscheltem Haar.
Er trug ein pechschwarzes Shirt, welches seinem atlethischen Oberkörper sehr wohl schmeichelte.

Gerade wollte ich den Vorhang mit einem letzten irritierten Blick zu ziehen, da drehte sich sein Kopf langsam zu mir.

•Moonnight•✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt