125. Eibenholz

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Auf dem Dachboden war es staubig.
Überall waren Kartons.
Beim Umzug hatten wir nicht alles ausgepackt und zugegebenermaßen schoben wir das Ausräumen vor uns her.
Ich suchte in Dads alten Sachen nach seinem alten Eibenholzbogen.
Sie Pappgestelle waren voller unnützem Gerümpel und von dem was ich suchte, Dad's altem Bogen keine Spur.
Ich musste ja irgendetwas tun und da Dad mir den Umgang mit seinem Bogen früher manchmal erklärt hatte, war das die naheliegendste Lösung, die mir jedenfalls eingefallen war.
Es war ziemlich lange her und um ehrlich zu sein war es viel mehr Spielerei als richtiges Üben, aber etwas anderes...

Was sonst konnte ich tun als ebenfalls zu kämpfen und meine Lieben zu beschützen, so gut es ging?

Ich wühlte zwischen den alten Sachen und meine Finger stießen an eine längliche Holzschachtel.
Feine Einkerbungen spürte ich unter meinen Fingerkuppen.
Ich zog sie unter den dicken Ordnern hervor und öffnete die schmalen, metallischen Schnallen der Schatulle.
Dad hatte im Urlaub einmal zum Spaß einen Bogenschieß Kurs belegt und so viel Freude daran gefunden, dass er hier weitermachen wollte.
Nur hatte er durch die Arbeit und so weiter keine Zeit mehr dafür gefunden.

Das letzte Mal, an das ich mich erinnern konnte ihn mit der hölzernen Waffe geschossen zu haben, war als wir zu Henrys Geburtstag am See waren.
Ich fuhr über die feine Sehne und nahm ihn aus dem Kästchen.
Das Holz war kalt und matt.
Die hölzernen Pfeile mit den orangenen Gummi Spitzen lagen ebenfalls im Holzkasten, den ich herausgeholt hatte.
Die lagen neben einem schmalen Köcher aus braunem Leder und schwarzem, rauem Stoff.

Es dämmerte bereits und durch das Fenster an der Dachschräge sah ich den violetten Himmel des Sonnenuntergangs.
Gut zielen oder gar schießen hatte ich nie wirklich gekonnt.
Ich umfasste Bogen, Pfeile und Köcher und kletterte die Leiter in mein Zimmer herunter.

Wie sagte man so schön, die Hoffnung stirbt zuletzt.

Meinen Eltern gaukelte ich vor jetzt schon müde zu sein.
Im Badezimmer kletterte ich dann mit der grauen Stofftasche, in der der Bogen, samt Pfeile und Köcher, mein Handy und einer Flasche Wasser aus dem Fenster, damit Ace mich nicht sehen konnte.

Weil ich natürlich nicht im Wald üben konnte, er würde mir, wenn er davon wüsste, den Kopf abreißen, beschloss ich woanders zu üben.
Nur wo...
Ich kannte mich hier kaum aus.

Ziellos lief ich umher.
Den Griff der Tasche fest umschlossen entdeckte ich einen Weg, welcher zu einem kleinen See führte und folgte ihm.
Der See war von hohen Felsen eingeschlossen und einige, wenige Bäume standen hier und da.
Viele Häuser sah ich nicht, außerdem war ich ja von den Felsen und der Dunkelheit geschützt.
Meine Handy zeigte mir an, dass ich nun etwa eine Dreiviertelstunde von Zuhause entfernt war.
Ich legte meine Tasche ans Ufer und nahm das Kästchen heraus.

Das dunkle Holz des Bogens schmiegte sich am meine Hand und ich zerrte etwas unbeholfen einen der Pfeile aus dem Köcher, der an meinem Rücken bei jeder Bewegung baumelte.
Es fühlte sich merkwürdig an.
Ungewohnt.

Meine Augen fixierten einen der dunklen Felsen und ich setzte den Pfeil an.
Unsicher wechselte ich meine Position und schoss dann.
Der Pfeil flog nicht sehr weit und auch nicht in die richtige Richtung.
Das würden noch sehr lange Nächte werden.

Meine Finger taten weh und meine Augen fielen mir beinahe zu.
Schule würde noch lustig werden.
Es war halb eins, doch der Gedanke daran, dass Ace etwas geschehen könnte ließ mich weiter machen.
Mittlerweile hatte ich schon einige, wenige Male getroffen, jedoch mehr durch Zufall als durch Können.
Als es keinen Sinn mehr machte weiterzuüben, packte ich zusammen und folgte dem Pfeil auf meiner Maps Karte.
Es war drei Uhr und ich war vollkommen erschöpft.
Es machte doch keinen Sinn das Bogenschießen in drei Tagen zu erlernen...
Was konnte ich schon ausrichten?
Ich war so nutzlos, so schwach.
Aber es ließ mich fühlen, nicht tatenlos herumzuhocken.

"Wach auf, Luciana. Was ist den heute los mit dir? Ich dachte du bist früher schlafen gegangen?"
"Mhm."
"Du siehst ja schlimm aus, bleib mal zuhause. Kurier dich aus, Liebes."
"Mhm."
Dann wurde es wieder still und dunkel in meinem Zimmer.

Um halb elf wachte ich gerädert auf und starrte auf die graue Tasche, die vor meinem Schrank lag.
Ich schluckte.
Wenige Minuten brauchte ich, dann hatte ich gefrühstückt, mich fertig gemacht und meine Tasche geschnappt.
Jetzt nahm ich das Motorrad, was viel Zeit sparte. In fünzehn Minuten war ich da.
Das Rad rollte ich zu einem großen Felsen, der am nächsten zum Weg stand.
Entschlossen begann ich weiter zu schießen.

Konnte man eigentlich Muskelkater in den Händen und Fingern spüren?
Ich schaute mir einige Videos zum Bogenschießen an, bevor Mum kommen würde.
Ich war um halb zwei nachhause gefahren, damit sie sich nicht fragte wieso ich, wenn es mir doch schlecht ging, draußen herumfuhr.

"Geht es dir schon besser?" Ich nickte müde und half das Mittagessen vorzubereiten.
Mum bedachte mich mit einem besorgten Blick.
"Ist alles okay? Du weißt, mit mir kannst du über alles reden, Liebling."
Ich nickte.
"Alles in Ordnung. Ich hab nur Kopfschmerzen und schlecht geschlafen. Mach dir keinen Kopf."
Wie in aller Welt konnte ich ihr erklären, was los war?
Ich hasste es Menschen anzulügen, die mir viel bedeuteten.
Aber in dieser Sache...
In dieser Sache konnte mir niemand helfen.
"Okay. Dann setz dich schon hin, ich mache das. Ruh dich aus. Bald geht es dir bestimmt besser."

•Moonnight•✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt