141. Erinnerungen

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Nach der Schule lernte ich für den morgen anstehenden Musiktest.
Ich verstand mittlerweile das meiste und knabberte unbewusst an der Rückseite meines Bleistifts.
Am Wochenende war der Winterball.
Ich konnte es schon kaum erwarten.
Irgendwie signalisierte dieser Ball für mich das  der Horror zuende war.

Warum musste alles nur immer so blutig gelöst werden?
Was wurde überhaupt gelöst?

Meiner Meinung nach war das Betreten fremden Reviers und das Drohen eines Rudelmitglieds kein Grund für einen Kampf.

Warum hatte Brad mir überhaupt gedroht?
Was ging durch seinen Kopf?
Ging es ihm nur darum, das stärkere Rudel zu sein oder war da etwas anderes?

Da musste noch etwas anderes sein...
Es leuchtete mir einfach nicht ein.
Niemand sorgte grundlos für einen Krieg.
Niemand.

Oder widersprach Brad meinem Denken?
Zu viele Fragen.
Zu wenig Zeit.

"Und? Freust du dich schon auf den Winterball?" Fragte Mum mich beim Abendessen und ich schreckte von meinen Grübeleien am Esstisch auf.
"Ja, es wird sicher toll. Und ich glaube Henry freut sich auch." Ich stieß ihm in die Seite und er schenkte mir einen warnenden Blick.
"Oh. Wann fragst Mila denn endlich, ob sie deine Freundin sein will? Man sieht doch gleich, dass ihr beide ineinander verliebt sein." Ärgerte ich ihn weiter und Henry brummte.
Dad lachte.
"Lass ihm doch seine Zeit. Er meistert das schon."
Abwehrend hob ich die Hände.
"Na wenn das so ist, bin ich jetzt still."
Marco lächelte mich an und ich grinste zurück.

"Warum tust du mir das an!" Schrie ich den Mond an und vergrub mein tränennasses Gesicht in dem Fell.
Noch immer schien er auf uns, als wäre alles wie immer.
Er schien, als wäre soeben nicht mein Herz, meine Seele, mein Leben, mein Himmel, meine Hoffnung in sich zusammen gefallen war.
Schluchzend verkrampfte sich mein ganzer Körper.
Nie wieder würde ich in die samragdgrünen Augen blicken, die das Funkeln der Sterne in mein Leben brachten.

Ich drückte den leblosen Körper an mich.
Sein Blut klebte an meinen Wangen, doch ich bewegte mich nicht.
Ich wollte sterben.
Nichts mehr fühlen.
Die Schmerzen nicht länger ertragen.
Ich hatte ihn umgebracht.
Er war... Er war...
Wegen mir.
Ich war schuld.

Schweißdurchnässt schreckte ich und fasste keuchend um mich.
Kein Blut.
Kein toter Körper.
Kein Ace.
Mein Herz pochte so heftig in meiner Brust, dass das Einzige was ich hörte das rauschende Blut in meinen Ohren und meinen unregelmäßigen Atem hören konnte, sonst herschte Stille.

Ich war schuld.

Meine Hand wanderte zu meinen feuchten Wangen.
Ein leises Schluchzen entwich mir und ich wog meinen Körper langsam vor und zurück.

Nur ein Traum.
Nur ein Traum.
Nur ein Traum.

Die Tränen liefen heiß über meine Wangen und ich zog meine Beine am Schienbein näher an mich ran.

Aber es ist wirklich passiert!
Es war nicht nur ein Traum.
Er war tot gewesen!
Ace, er lag leblos in meinen Armen.
Meine Unvorsichtigkeit hatte ihn umgebracht.
Ich hielt den Atem an und schniefte.

Nein.
Er lebt.
Er lebt.

Er ist im Haus neben mir und schläft.
Er muss leben.
Ace lebt.

Leise flüsterte ich meine Gedanken in die Stille.
"Ace lebt."
Meine Hände zitterten etwas.
Es waren diese intensiven Gefühle nach einem Traum, mit denen jeder Schatten dunkler wirkte und jeder Gedanke schwerwiegender.
Diese Gefühle, die mich dazu verleiteten mit holprigen Schritten zu meinem Fenster zu schleichen.
Erneut ertönte ein leises Schluchzen.

Warum hatte ich das nur getan?

Hätte dieser Wolf mich nicht gesehen und versucht mir weh zu tun, wäre Ace nicht abgelenkt gewesen und hätte sich auf drn Kampf konzentrieren können.
Hätte ich nicht da oben gesessen, würde Gina jetzt leben.
Ace hätte keine niemals vergehenden Narben, die mich täglich, immer wenn ich ihn anblickte, daran erinnerten, dass er hätte nicht wieder aufwachen können.
Dass er vielleicht in dieser Nacht meinetwegen gestorben wäre, hätte ich nicht diese einschüchternden Kräfte, die mir solche Angst machten.

Langsam bewegten sich die geschlossenen Vorhänge.
Ich blinzelte und schluckte stark.
Ace stützte sich am Geländer ab und starrte auf die Blumen, die auf der Grasfläche zwischen den Häusern wuchsen.
Behutsam öffnete ich das Fenster und ließ die kühle Nachtluft tief in meine Lungen strömen.
Er lebt.

Sein Blick traf meinen und ich wischte mir hastig die Tränen vom Gesicht.
"Luna?" Hörte ich ihn leise fragen.
Ich wich seinem stechenden Blick aus.
"Was ist los?"
"Nichts." Flüsterte ich zurück, doch mein Blick haftete an den weißen Tulpen.
Ich erinnerte mich an das letzte Mal, als ich ebenfalls einen schlechten Traum gehabt hatte und er mich, obwohl er mich kaum kannte, getröstet hatte.

Ich blickte zu dem Haus gegenüber von uns. Ace stand am Fenster und schaute in den schwarzen Himmel. Dann senkte sich sein Blick und wir sahen einander in die Augen. Smaragdgrün. Da war doch etwas. "Kannst du auch nicht schlafen?" Flüsterte er mir zu. Ich nickte lächelnd. Irgendwie beruhigte er mich. Mein Herzschlag jedoch, war genauso schnell wie zuvor. Wenn nicht noch schneller.
Ace lächelte sanft. "Ich... kannst du...zu mir.." druckste ich herum. Er lachte leise. "Klar, für dich immer." Mein Gesicht nahm einen rosanen Farbton an. Ich hoffte das Ace es nicht bemerken würde. Mit Schwung hangelte er sich an das Ende des Daches  und schwang zu unserem Haus. Wenig später war er vor mir. Ich spürte seinen Atem an meiner Stirn und sah hoch. Er war nah, sehr nah. Verlegen ging ich einen Schritt zurück. "Ähm... danke." Murmelte ich schüchtern. "Kein Ding." "Warum kannst du nicht schlafen?" Fragend sah ich ihn an. "Ich habe etwas nachgedacht." Erklärte er mir.

"Ich bin nicht dumm. Ich spüre, ich sehe, ich höre an deiner Stimme, dass etwas nicht stimmt.
Ich kann deine Angst riechen.
Was ist passiert?
Bitte, lüg mich nicht an."
Ich hob den Kopf und sah ihm mit glasigen Augen an.
Das grüne Augenpaar strahlte in der Dunkelheit.
"Ich habe dich getötet."

Stumm blickte er mich an und schüttelte den Kopf.
"Ich bin hier. Ich stehe vor dir. Ich lebe und das deinetwegen. Du hast mich nicht umgebracht. Du hast mich gerettet."
"Du verstehst nicht-"
"Ich verstehe. Ich hätte dasselbe getan. Wärst du in Gefahr, denkst du wirklich ich könnte da sitzen und ins Schicksal vertrauen? Bitte, sei nicht so hart zu dir." Ich atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen.
Er lebt.

•Moonnight•✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt