Kapitel 14

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Es war die Uhr.

Ich wusste einfach, dass sich eine Zahl verändert hatte, obwohl die ersten und die letzten fast gleich waren. Meine innere Uhr sagte mir 20.06.1940Do11:51:22:59.

Hatte die Rückkopplung des Radios irgendwie mein Gehirn beeinflusst und dabei diesen Teil von mir, das einzige Besondere, zerstört?

Würde ich auf meine innere Uhr hören, wäre ich an einem Donnerstag in 1940 gelandet.

Langsam setzte ich mich auf. Mein Bauch tat immer noch fürchterlich weh und mein Kopf hatte angefangen zu brummen. Das verschwommene Zimmer nahm vor meinen Augen Konturen an. Irgendwie war der ganze Staub verschwunden. Und der Sarg. Und die weiße Tapete. Erschreckt blickte ich um mich. Ich sah ein schmales Bett direkt vor mir, neben dem mir bekannten Tisch, auf dem das Radio wie eh und je stand, nur dass es jetzt glänzte. Ich rieb mir die Augen. Wie hatte sich hier alles so schnell ändern können? War ich etwa wirklich in die Vergangenheit gereist?
Nein, das war viel zu absurd. Nur weil ich ein Radio mit einer Scherzkassette oder so entdeckt hatte und weil ich mir offensichtlich irgendwo den Kopf gestoßen hatte, sollte ich nicht so etwas Dummes vermuten.

Vorsichtig stellte ich mich hin. Mein Gewicht drückte mich zu Boden und vor meinen Augen wurde es noch einmal kurz schwarz. Reiß' dich zusammen, Belle. Wenn du in dein Zimmer zurückfindest, kannst du dich ausruhen und deinen Kopf kühlen, sprach ich mir selbst gut zu. Merkwürdigerweise tat mein Kopf aber nicht weh, mir war nur etwas schwindelig.

Noch etwas schwankend ging ich zur Tür, die geschlossen war, anders als ich sie zurückgelassen hatte. Komisch. Aber mit meiner möglichen Kopfverletzung war es wahrscheinlich, dass ich Erinnerungslücken hatte. Ich trat auf den Flur, der genauso aussah wie sonst.

Vermutlich hatte ich mir einfach den Kopf angeschlagen und einen merkwürdigen Bewusstlosigkeitstraum gehabt.

Ich stolperte den bekannten Weg entlang zu der Eichentür, hinter der mein Zimmer lag. Die Tür war angelehnt und ich stieß sie langsam auf.

„Daisy, bist du das?", rief eine glockenhelle Kinderstimme. Was? Ich musste halluzinieren. Hier lebte doch niemand außer Elizabeth, Maggie und Max. Kein kleines Mädchen. Außer... Außer, sie war diejenige, die mir die Nachrichten hinterlassen hatte. Verwirrt trat ich in mein Zimmer ein.

Direkt vor mir stand ein Mädchen mit pechschwarzen Haaren, das mindestens zwei Köpfe kleiner war als ich. Sie trug ein niedliches Sommerkleidchen. Sprachlos blickte ich in hellblaue Kristallaugen. Meine Vermutung war falsch. Die geschwungene Handschrift könnte niemals zu diesem Mädchen gehören.

Das Mädchen sprang zurück. „W-wer bist du? Was machst du in meinem Zimmer?", zeterte sie. Die Bestimmtheit war offensichtlich nur eine Fassade, das Mädchen wirkte genauso verstört wie ich.

„Ich..." Mein Hals war extrem trocken und ich musste mich räuspern.

„Papa, Mum! James!", krähte sie aus voller Lunge.

„Shh", versuchte ich sie zu beschwichtigen.

„Komm' mir nicht zu nahe!", fauchte sie.

Das hatte ich nicht vor. Wer war dieses Mädchen überhaupt und was hatte sie in MEINEM Zimmer zu suchen?

Ein Miauen erklang und eine rote Katze spazierte durch den Türspalt, durch den ich gerade gekommen war.

„Daisy!" Das Mädchen warf sich auf die Katze und drückte sie fest an sich. Daisy bleckte mir gegenüber die Zähne. Erst jetzt sah ich, wie jung die Kleine sein musste. Sie war maximal acht, wenn überhaupt.

Okay. Anscheinend musste ich jetzt den kühlen Kopf bewahren, obwohl mir Milliarden von Gedanken durch den Kopf schossen.

Ich kniete mich friedlich zu ihr herunter und zeigte ihr meine Handflächen. „Ich bin Belle", sagte ich mit einem freundlichen Lächeln und der ruhigsten Stimme, die ich hervorbringen konnte. Ich war selbst erstaunt, wie professionell ich bisher mit der Situation umgegangen war.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt