Kapitel 47

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Okay, ernsthaft, wieso wollten alle Geheimnisse vor mir halten? Wieso konnte mir niemand einfach sagen, was meine verdammte Aufgabe war?

Es machte mich unendlich wütend. Klar, ich war relativ kindisch, ein gutes Buch reichte schon aus, und ich verhielt mich wie eine Zwölfjährige. Ich hatte noch nie einen Freund gehabt. Trotzdem konnte ich mit dem Erwachsenenkram klarkommen. Und wenn alle versuchen würden, mich weiterhin zu schonen, würde ich vor Unwissenheit gegen die nächste Betonmauer krachen, die sich mir in den Weg stellen würde.

Mir kam Maggie in den Sinn, die geschickt meiner Mutter die Verantwortung übertragen hatte, mich über was auch immer aufzuklären. Mir fiel Liz ein, die mir statt klarer Antworten nur verschwörerische Andeutungen gegeben hatte. Und die Frau, die sich nicht einmal traute, mir ihr Gesicht zu zeigen und mir dafür Botschaften hinterließ. Sie alle hätten mir meine Fragen beantworten können, aber sie hatten geschwiegen, um mich, sich selbst oder auch nur ein unangenehmes Geheimnis zu schützen. Jetzt reichte es mir. Mir stand es bis zum Hals, und ich war mir sicher, gleich überzukochen.

Genervt schnaubte ich.

Dem folgte ein außerordentlich lautes Klirren, mit dem all das Glas um mich herum zersprang. Die Glasmöbel, der Glaskamin, die Glaswände. Sie wurden zu feinem Staub, der sich in der Dunkelheit verlor.

Etwa ein Dutzend Schritte von mir entfernt standen zwei schweigende Gestalten, mit aufgerissenen, erstaunten Mündern. Ich stapfte direkt auf sie zu.

„Ich will Antworten!", stellte ich klar. Irgendwie hatte mich diese Aktion mit einem Gefühl der Macht beflügelt. Die beiden Anzugträger wirkten mit einem Mal klein und schmächtig, kein bisschen angsteinflößend. Ich sah sie zum ersten Mal als das, was sie wirklich waren, verirrte Wissenschaftler, die es irgendwie geschafft hatten, sich aus ihrer eigenen Realität zu entfernen.

Der Größere der beiden, der, der sich für mich ausgesprochen hatte, wandte sich jetzt zu seinem Gegenüber.

„Ihre Fähigkeiten sind größer, als wir vermutete hatten." Der Andere pflichtete ihm bei.

„Hey! Ich bin hier, direkt neben Ihnen!", schrie ich. Nur, um von den beiden ignoriert zu werden. Es schien wieder eine Art Scheibe zwischen uns zu sein, eine Abtrennung, die dafür sorgte, dass sie mich nicht hören konnten. Dabei schienen sie jedoch nicht bedacht zu haben, dass das in die andere Richtung nicht so gut funktionierte. Ich verstand die beiden prächtig.

Neugierig lauschte ich, ungewiss darüber, ob sie über Dinge sprachen, die ich hören durfte.

„Trotzdem darf sie nicht über uns erfahren. Vielleicht gerade deswegen."

Interessant. Sie schienen irgendein Geheimnis zu bergen. Oder noch irgendwie komplizierter in all das hier verwickelt zu sein. Konnten sie jetzt zufälligerweise auch mal darüber reden, was sie so besonders machte?

Natürlich nicht.

Nach einer Weile langweiligen Geplänkels drehte sich der Größere zu mir um.

„Annabelle", äußerte er sich mit einem musternden Blick. „Erfreut, dich endlich kennenzulernen."

„Ich wünschte, ich könnte das gleiche von mir behaupten."

„Nana, wo bleibt denn deine Kinderstube?"

Er hatte zu viel Gel in seinen blonden Haaren und sein weißer Anzug wirkte schmierig. Die schwarze Nickelbrille verbesserte sein Aussehen auch nicht, sondern ließ seine Augen klein wie die eines Maulwurfes aussehen.

„Was ist mit..." Ich wusste seinen Namen gar nicht. Oder generell etwas über ihn, fiel mir gerade auf.

„Wichtige Besprechung, er musste los. Ich bin jetzt für dich zuständig." Er wechselte noch einen letzten Blick mit dem kleineren Mann, dann schnipste er einmal.

Augenblicklich befanden wir uns in einer neuen Umgebung. Ich blickte mich eilig um und erkannte die Rosensargkammer wieder. Das schien der Lieblingsort dieser „Zeitlosen", wie der erste Anzugträger sie genannt hatte, zu sein. Dieser verdammte Raum mit dem Radio, wo alles angefangen hatte.

„Es tut mir Leid, wenn wir dich irgendwie verängstigt oder verunsichert haben."

Eigentlich war für einen kurzen Moment das Gegenteil der Fall gewesen, ich hatte mich recht mächtig gefühlt. Und er schien es zu wissen. Das hier war reine Psychologie. Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass seine Tricks an mir ein wenig zu wirken schienen. Mein Selbstbewusstsein war wieder ein bisschen geschrumpft und mein Bauchgefühl riet mir, ihm zu trauen, oder zumindest zuzuhören.

„Wir sind auf deiner Seite. Du musst wissen, wir waren noch nie gut darin, andere für uns zu gewinnen. Manche von uns könnte man autistisch nennen, oder „nicht kommunikativ", du solltest jedoch wissen, wie mein Freund dir erzählte, wir sind Wissenschaftler. Vielleicht ist das einfach nur unsere Art."

Seine Erläuterungen sollten vermutlich unausweichliche Erklärungen nach hinten verschieben.

„Ich schweife ab." Ach, wirklich? „Das Wichtige ist, dass du weiter Zeitreisen musst."

Zum ersten Mal in diesem verwirrenden, unlogischen Traum, hatte er seine wahre Intention ausgesprochen. Und ich war erleichtert, endlich zu wissen, worauf er hinaus wollte. Nun konnte ich mich nämlich dafür wappnen, Argumente dafür sammeln, warum ich niemals nachgeben würde und seinem bescheuerten Vorschlag folgen würde. Erstens, für das Wohl meines Körpers. Zweitens, weil ich nicht blind einfach etwas hinnehmen würde, ohne zu wissen, was es brachte. Ich schenkte niemandem blinden Gehorsam.

„Ok", war jedoch das Einzige, was ich hervorbrachte. Ich ärgerte mich über mich selbst. Jetzt war meine einzige Chance vorhanden, der Zeitpunkt gekommen, sich zu wehren. Und ich stimmte ihm einfach zu.

„Ich bin froh, dass wir uns verstehen. Ich will dir auch gern erklären, warum das so wichtig ist."

Währenddessen kämpfte ich mit mir selbst. Ich wollte es nicht, noch weiter abmagern, verenden aufgrund der schrecklichen Nebenwirkungen. Bald hatte ich mich selbst besiegt, das wusste ich, bald hätte ich den Teil von mir besiegt, der unbelehrbar einfach allem folgen wollte, was die Zeitlosen ihm vorschlugen.

„Wie du bei deiner letzten Zeitreise erlebt hast, gab es einige Komplikationen in der Vergangenheit. Verheerende Komplikationen. Du magst es vielleicht noch nicht in der Gegenwart gemerkt haben, aber es wird Auswirkungen haben. Auf dich, auf deine Welt. Und auf uns. Du, Annabelle, musst dafür sorgen, dass alles wieder in Ordnung kommt."

„Warum machen Sie und Ihre verrückten Spinner-Freunde das nicht selbst?", spuckte ich ihm ins Gesicht, stolz auf mich selber, dass ich mich ausgetrickst hatte. Ich hatte mich endlich gewehrt.

Er lachte, klang aber kein Stück fröhlich.

„Oh, Kind, du hast ja keine Ahnung. Du hast die Gabe. Wir haben sie nicht."

„Aber – der Mann hat behauptet, die Uhr gehabt zu haben..."

„Ach, Louis?" Das war also sein Name gewesen. Louis. Es musste sich doch um Menschen handeln, Menschen mit Namen und Geschichten. „Er sieht das Unendlichkeitszeichen, Annabelle, nicht die Uhr." Mein Verstand kam kaum noch hinterher, all die neuen Informationen zu speichern. Louis hatte nicht die Gabe gehabt. Aber ich besaß sie. Ich gehörte zu den Zeitlosen, aber ich war keine von ihnen.

„Was...was bin ich?"

„Wir haben uns nicht einigen können, wie wir dich nennen sollen. Vielleicht „Hybridin", oder „Mischling". Irgendein Spezialist hat „Semi-Zeitlose" vorgeschlagen."

„Was bedeutet das?"

„Ganz einfach gesagt: du stammst von einem von uns ab. Zur Hälfte fließt Zeitlosenblut durch deine Adern, poetisch gesagt."

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt