Das Bild der blutigen Hand verschwamm vor Arthurs Augen, er spürte nur, wie ihm ein Schmerzensschrei entwich. Egal, wie er Winston für das verteufelt hatte, wofür er in seinem Kopf stand, er war in den letzten Jahren am ehesten so etwas wie ein Vater für ihn gewesen. Und nun war er einfach so verschwunden, so wie Arthurs echter Vater.
Heiße Tränen liefen endlich an seinen Wangen hinunter und tropften auf den blutbesudelten Boden.
Keiner der umstehenden Personen konnte oder wollte sich einmischen. Niemand war in der Lage, den tiefen Schmerz, der sich in Arthurs Herz eingenistet hatte, zu lindern. Niemand war in der Lage, ihm eine Hand auf die Schulter zu legen und zu sagen: Hey, es wird alles gut werden. Weil das einfach eine naive Lüge gewesen wäre. Soweit Arthur oder sonst irgendjemand an jenem Morgen in diesem Haus urteilen konnte, war Churchills Tod der erste in einer langen Reihe des Untergangs.
Arthur kniete noch immer neben dem älteren Mann und wiegte seinen zusammengesunkenen Oberkörper wie besessen vor und zurück. Hatte er noch einen letzten Hoffnungsschimmer in sich getragen, so war dieser mittlerweile erloschen.
Zur rechten des Toten schloss sich ein weiterer Mann Arthurs Trauer an, Edward, Earl of Hawthorne. Er schwieg und starrte mit bedächtigem Blick von der Schusswunde in der Brust Churchills zu der Patronenhülse. Wie ein anklagendes Beweisstück lag es neben dem leblosen Körper. Die Waffe war verschwunden, jemand musste sie mitgenommen haben.
Edwards Miene verfinsterte sich.
Es handelte sich um einen Mord in diesen letzten Stunden, in denen sie noch frei sein würden. Eine ruchlose Tat, die den Menschen noch das letzte Bisschen genommen hatte, was sie besaßen: ihre Würde. Mister Churchill hatte das Anrecht auf einen ehrenwerten Tod gehabt, nicht auf ein feiges Attentat in der Nacht. Nun war es wirklich vorbei. Selbst wenn Edward es sich selbst nicht zugeben wollte, irgendwie hatte er an ein Wunder geglaubt, daran, dass Churchill wieder zu seiner Macht zurückkehren konnte, wenn er nur ausreichend unterstützt würde. Edward hätte sein gesamtes Familienvermögen, das ganz schön beträchtlich war, in die Hand genommen. Er hätte seine Seele verkauft, wenn er dadurch die ausreichenden Mittel bekommen hätte, die Welt zu retten. Wenn er damit seiner kleinen Tochter vielleicht ein Leben außerhalb dieser Mauern hätte ermöglichen können.
Den Kopf hoffnungslos schüttelnd verließ er seine aufrechte Haltung und sank zusammen zu einem Häufchen Elend. Nun sah er fast genauso aus wie Arthur, dessen stille Tränen langsam aufhörten zu fließen.
Lange verharrten die beiden Männer, bis die Gräfin ihren Ehemann sanft davonzog und Arthur endgültig das Gefühl der Übelkeit übermannte. Alle anderen hatten den Tatort verlassen, und als Arthur sich einen Meter neben der Leiche übergab, hatte er das Gefühl, aus einem Traum aufzuwachen. Plötzlich waren andere Menschen da, Menschen, die den Toten begutachteten und Beweismaterial sicherten.
Schwankend schritt Arthur die Treppen hinauf und fühlte sich schwach, perspektivlos und niedergetrampelt. Irgendwie stolperte er zu seinen Gemächern und wusch sich gründlich, um ausgelaugt auf sein Bett zu fallen. Das blonde Mädchen von vorhin war längst verschwunden. Er starrte stumm auf die Kommode gegenüber, die man genau sah, sobald man aufrecht an der Wand lehnte.
Moment - da war doch irgendetwas anders.
Arthur runzelte seine Stirn. Auf der Anrichte lag etwas, was gestern noch nicht dort gewesen war. Interessiert sprang er auf, nur um die Nachricht zu lesen. Und das Buch zu sehen. Rasch schlug er es auf und las: „Der Herr der Ringe. Gesamtausgabe. Zweite Auflage 1956"
Annabelle!
Sie musste hier gewesen sein.
Jetzt hatte er es Schwarz auf Weiß, im wahrsten Sinne des Wortes. Vor ihm lag ein Buch, das 1956 gedruckt werden würde. In verdammt noch einmal sechzehn Jahren!
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Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne Manor
FantastiqueAls Annabelle erfährt, dass sie ihre Sommerferien bei ihrer Großmutter verbringen soll, ist sie nicht gerade begeistert. Elizabeth wohnt nämlich isoliert, umgeben von nichts als weiten Feldern und Natur. Und sie ist, laut Belles Mutter, der Teufel...