Kapitel 77

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Mit einem dumpfen Schlag auf den Holzboden beendete ich meine letzte Zeitreise. Ich fühlte mich hundeelend und ausgelaugt von den endgültigen Abschieden, ich wollte einfach nur noch schlafen. Eigentlich hatte ich mir gedacht, dass es sich wesentlich besser anfühlen sollte, die Welt zu retten.

Kein bisschen wollte ich aufstehen oder gar meine Augen öffnen, um eine Welt, ein Leben ohne Arthur oder James zu erblicken.

Nur mein knurrender Magen brachte mich schließlich dazu.

Die verschwommene Welt klärte sich bald.

Ein Schatten, eine Gestalt zeichnete sich im Licht der untergehenden Sonne ab. Sie saß auf dem Sarg und summte ein wunderschönes, vergessenes Lied.

Die Stimme war maskulin und ihr Klang herrlich. Mir war, als träume ich. Das konnte nicht wahr sein.

Ich stöhnte laut auf, um auf mich aufmerksam zu machen.

Ein neugieriges Gesicht wandte sich zu mir. Unverkennbar gehörte es zu Arthur und gleichzeitig war es so anders. Kleine Fältchen saßen auf seiner Stirn, ein Bart verschönerte sein Gesicht. Sein Blick leuchtete, und alles, was jemals darin gebrochen ausgesehen hatte, schien geheilt. Es war mein Arthur, um wenige Jahre nur älter.

Die Schmetterlinge in meinem Bauch flogen Purzelbäume. Wie auch immer es geschehen war, Arthur hatte zu mir nach 2015 gefunden. Er war zu mir gereist. Zwar sah man ihm an, dass er einen Zwischenstopp gemacht hatte, aber all das zählte nicht, denn er war hier, im selben Raum wie ich, und es gab keinen Grund mehr, warum ich nicht aufstehen und ihn küssen sollte.

Er war schneller als ich. In seinem Blick lag Verlangen, jahrelanges Verlangen. Arthur kniete sich zu mir nieder, ich setzte mich auf. Mir war noch schwindelig, doch er hielt mich an meinem Oberarm.

Als ich in seine Augen schaute, brauchte ich keine Erklärung. Der Moment reichte aus, denn er war wunderschön.

Ohne zu blinzeln schaute er mich an, als wäre ich der schönste Diamant auf der Erde. Seine Fingerkuppen strichen über meine Wangen und hinterließen ein warmes Kribbeln.

Ich lächelte, und spürte gleichzeitig Freudetränen meine Wangen hinunterlaufen. Arthur strich sie sanft aus meinem Gesicht, aber auch seine Augen drohten, überzulaufen. Vor wenigen Sekunden hatte ich gedacht, ihn immer verloren zu haben. Nun saß er vor mir, wenige Zentimeter entfernt.

Jetzt konnte ich es wirklich kaum mehr erwarten. Mit der rechten Hand stützte ich mich auf dem Boden ab, die andere legte ich in seinen Nacken.

Zwar wusste ich nicht, was ich tat, aber ich wusste, was ich wollte. Ich schloss meine Augen und fühlte mich ganz leicht in Erwartung dessen, was geschehen würde.

Warme Lippen spürte ich auf meinen. Ich ließ für einen Moment los und er fing mich auf. Wir verbanden uns für eine kurze Ewigkeit, die uns erschauern ließ. Ganz harmlos lösten wir uns bald wieder voneinander. Bestimmt war es kein guter Kuss gewesen, schließlich war es der Erste, den ich selbst herbeigeführt hatte, aber es hatte sich wahnsinnig gut angefühlt.

Ich vergrub mein glühendes Gesicht in seiner warmen Schulter. Flashbacks an Arthurs Tod durchzogen meinen Kopf und die Angst kehrte kurzzeitig zurück. Ich ignorierte sie, schließlich spürte ich, wie er lebte, wie er mich berührte, wie er da war, und dass er mich soeben geküsst hatte.

„Du hattest Recht", murmelte er in meine Locken. Seine Stimme klang irgendwie anders, erwachsener. „Sie hat auf mich gewartet. Ich habe ihr geholfen, mit allem klarzukommen. Wir haben uns mit der Gabe des Zeitreisens beschäftigt und zu kontrollieren gelernt. Ich war fünfzehn Jahre dort, bis Maggie mich gezwungen hat, zu dir zu reisen, wenn ich sie an ihren Geburtstagen besuchen würde. Sie meinte irgendetwas mit „ich sei zu melancholisch" oder so..."

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt