Kapitel 27

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Und erneut war ich von der Schwärze umgeben. Sie war wie ein endloser Abgrund, unbeschreiblich schrecklich und schön zugleich.

Nur ganz schwach durchströmte mich Euphorie, wie eine ferne Erinnerung.

Kälte streckte ihre Finger nach mir aus. Eine Kälte, die alle Gefühle unterbinden wollte.

Während ich spürte, dass mein Körper sich von der Tortur erholte, wurden meine Sinne dumpfer.

Die Stille zerschmetterte mein Trommelfell.

Die Dunkelheit machte mich blind.

Die fehlenden Gerüche zersetzten meine Nasenschleimhäute.

Ich spürte keinen Schmerz. In gewisser Weise spürte ich nichts. Noch nicht einmal meinen eigenen Körper.

So viele Religionen gab es, die das Nichtsein anstrebten. Das Nirvana. Den Zustand des Nicht-Existierens.

Obwohl Meditation einen nahe an dieses Gefühl bringen musste, fühlte ich mich nun näher an diesem Geisteszustand.

Kein Gedankenfluss durchströmte mich in diesen Momenten, kein Zeitgefühl, keine Uhr spulte in meinem Gehirn vor.

Im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich wirklich jemals in diesen Zustand gelangt war, oder ob ich nur in einer tiefen Form von Bewusstlosigkeit halluziniert hatte. Trotzdem wollte ich nach einer Weile nicht mehr aufwachen, das war der einzige Wunsch der sich in meinem verschwundenen Kopf festsetzte. Ich wollte nicht aufwachen und das Gewicht eines Körpers tragen müssen.

Hier war alles so leicht. Hier war ich glücklich, ohne etwas zu besitzen. Ohne mir Sorgen zu machen...

Und alles. Schwand...

Zu einem einzigen... Wirbelsturm.

Aus Schwärze und Dunkelheit, Stille.

Verwirrung.

Glück.

„Mir geht es gut!", fauchte ich, obwohl genau das Gegenteil der Fall war. Als ich aus der Trance endlich im 21. Jahrhundert erwacht war, waren drei Stunden vergangen, in denen ich bewusstlos gewesen war. Wirklich bewusstlos.

Max hatte das Radio um genau 23:12 Uhr ausgestellt. Ich war um 2:27:59:11 Uhr mit den fiesesten Kopfschmerzen völlig erschöpft auf meinem Bett zu mir gekommen. Zum Glück jedoch ohne schlimme Nachwirkungen, wie die Blindheit. Und jetzt diskutierten wir.

„Nein. Das ist so offensichtlich, dass es krank ist, wie sehr du dich dagegen wehrst. Dir geht es dreckig, Belle, sein wir mal ehrlich – das kann man dir ansehen."

Beleidigt starrte ich zurück.

„Mein Körper, meine Entscheidung. Wenn ich vorhabe, zurückzureisen, dann tue ich das. Ob es dir gefällt oder nicht."

Kopfschüttelnd wandte Max sich ab und strich sich auf und ab tigernd durch seinen Dreitagebart.

Wie zur Bestätigung seiner Zweifel fing mein Magen an zu rumoren und ich spürte, wie leer er war. Wann hatte ich überhaupt zuletzt etwas gegessen? Das musste wohl auf dem Ball gewesen sein, kurz bevor die Gräfin mich als Diebin bezeichnet hatte.

„Lass uns morgen weiter darüber reden", bat ich. Max wollte widersprechen, doch dann drehte er sich zu mir um und blickte in mein müdes Gesicht.

Daraufhin hob er nachgebend seine Mundwinkel. Erst jetzt bemerkte ich die tiefen Schatten unter seinen Augen. Was für Sorgen er sich gemacht haben musste...

„In Ordnung. Aber ich bleibe vor der Tür auf dem Sofa, falls etw-"

„Nein", unterbrach ich ihn. „Du hast eine ruhige Nacht in deinem eigenen Bett verdient. Gö- gönn dir da-" Mein eigenes Gähnen unterbrach mich und ich sank tiefer in mein Kopfkissen ein. Langsam driftete ich weg.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt