Kapitel 44

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Was machte sie hier? Wieso redete sie mit Max? Wieso weinte er?

Ich konnte mir nun wirklich keinen Reim auf diese Situation machen.

Ich meine...

Was – was war das hier überhaupt? Der Anblick meiner Mutter hatte alle meine vorhandenen Gedanken durch eine verwirrte Leere ersetzt.

Und trotzdem durchströmte mich ein einziges unfassbar starkes Gefühl: Wut auf diese Person, die vor mir stand.

Selbst wenn ich es seit meiner Ankunft tunlichst versucht hatte, zu verdrängen, unser Streit saß mir immer noch in den Knochen.

Er hatte angefangen, als meine Mutter mich regelrecht dazu gezwungen hatte, meine Ferien hier zu verbringen, und er hatte enden müssen, als sie mich nach stundenlangem Schweigen im Auto vor den Toren von Hawthorne abgesetzt hatte. Das änderte nichts daran, dass der Streit im vollen Gange war.

Am Anfang war es nur um Selbstbestimmung gegangen, ich hatte ihr vorgeworfen, dass sie mich viel zu streng dafür behandelte, dass ich nächstes Jahr volljährig sein würde. Dann hatten wir uns weiter vorgetastet zu Mums Lieblingsthema: dem schlechten Einfluss meiner Freunde, nur weil sie mich einmal dazu gebracht hatten, zu spät nach Hause zu kommen. Ich meinerseits hatte dann damit angefangen, zu fragen, warum wir nicht schon viel früher meine Großmutter besucht hatten, und wieso sie und Mum so zerstritten waren. Kurz vor der Abfahrt hatte ich vielleicht rausgehauen, dass ich Elizabeth verstehen würde, dass ich verstehen würde, warum sie und Mum nicht miteinander auskamen: dass es alles an Mum lag.

Voilà, Schweigen. Einerseits tat mir so vieles leid, was ich gesagt hatte, aber andererseits wollte ich erst eine Entschuldigung von ihr.

Außerdem machte es mich unendlich wütend, dass sie Max anscheinend verletzt hatte. Wieso sonst sollte er weinen?

Natürlich warf das wieder Frage Nummer 1 auf:

Was machte meine Mutter auf Hawthorne Manor?

Und warum redete sie mit Max? Wieso hatte Maggie mir das verschweigen wollen?

Trotz der Fragen gab es für mich jetzt nur eine logische Reaktion: die Flucht.

Ansonsten wäre ich höchstwahrscheinlich ausgerastet, bei den ganzen aufgestauten Gefühlen, die mich in diesem Moment durchströmten.

Ich hörte, wie sie mir folgte, doch ich stürmte wie ein beleidigtes Kleinkind die Treppe hoch und rannte den Flur entlang. Keuchend kam ich an meiner Zimmertür an, entschied mich aber, den Raum gegenüber zu betreten – um möglichst schnell durch die unscheinbare Tür in den Wintergarten zu verschwinden.

Geschafft ließ ich mich auf eine der Sitzgelegenheiten fallen und kam langsam zur Ruhe. Ich blickte in den Himmel und entdeckte durch das leicht verdreckte Glas bauschige Wattebüschel, manchmal zerrupft, manchmal vollkommen wirkend, langsam über den Himmel ziehen.

Noch immer konnte ich mir keine Situation vorstellen, in der meine Mutter mit Max ein Gespräch führen müsste. Es war zu absurd, und kein Zusammenhang schien plausibel.

Ich meine, ich verstand ja, wenn meine Mutter hierherkam. Schließlich war es ein Freitag; in ihrem Beruf als Maklerin konnte sie sich die Termine oft so legen, wie sie wollte. Manchmal verlängerte sie sich das Wochenende, aber oftmals arbeitete sie auch nur am Wochenende. Als Selbstständige war sie da relativ frei.

Also lag auf der Hand, dass sie sich vielleicht nach ihrer Mutter erkundigen wollte, schließlich lag diese seit Mitte der Woche im Krankenhaus. Das war nachvollziehbar.

Aber wieso zur Hölle unterhielt sie sich dann mit Max, einem Jungen, den sie kein bisschen kannte, bevor sie mit ihrer eigenen Tochter sprach? Das ergab einfach keinen Sinn.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt