Sofort kreisten meine Gedanken um alles, was ich gemacht hatte. Ich war zweimal kurz hintereinander in die Vergangenheit gereist. Trotzdem erinnerte ich mich, das kantige Buch in dem Raum, wo Daisy ausgestopft gewesen war, an meinem Bauch gespürt zu haben. Und auch zurück in der Rosensargkammer, während des zweiten Zeitreiseversuchs, war das Buch in der Tasche gewesen.
Mist. Ich musste es irgendwo verloren haben. Irgendwo in der Vergangenheit, wahrscheinlich als ich direkt an Arthur Spencer vorbei gerannt war. Wenn ich mich recht erinnerte, war sogar ein leises Poltern zu hören gewesen.
Wie würde ich das Buch jetzt wiederbekommen?
Ich brauchte es, bevor Elizabeth es wiederhaben wollte. Ich sprang auf und stand schon fast an der Tür, als ich etwas realisierte.
Das ging nicht, solange mich niemand zurückholen würde. Beim ersten Mal hatte ich Glück gehabt, beim zweiten Mal hatte Max mich aus Sorge zurückgeholt. Wer weiß, ob er mich beim nächsten Mal auch aufwecken würde. Außerdem würde es Elizabeth oder Maggie auffallen, wenn ich verschwinden würde, und die Geschichte würde auffliegen. Ich wusste noch nicht, ob ich Elizabeth und Maggie davon erzählen sollte. Also musste ich mich mit Max vertragen und irgendwie dieses verdammte Buch zurückbekommen.
Meine innere Uhr schlug eins und ich erinnerte mich daran, dass ich ja eigentlich um eins zum Mittag kommen wollte. In Eile stand ich auf und hetzte durch die Gänge ins Erdgeschoss.
Beim Essen beeilte ich mich, denn Max saß nicht am Tisch. Und er war wichtig, wenn ich zurück in die Vergangenheit wollte.
Während der Hauptspeise erkundigte ich mich nach ihm, Elizabeth meinte aber nur, dass Max gerade eben ins Dorf gefahren sei, um einkaufen zu gehen. Ernsthaft jetzt?
Resigniert aß ich auch meinen Kirschpudding auf und streifte den restlichen Nachmittag ziellos durchs Haus. Wie von selbst zogen meine Füße mich immer wieder zurück zu der Kammer, in der das Radio stand und ich musste mehr als dreimal dem Drang widerstehen, es einfach auf gut Glück anzuschalten.
Seufzend begab ich mich irgendwann in mein Zimmer und beobachtete den Regen durch mein großes Fenster, als mir einfiel, was Elizabeth mir vorgestern empfohlen hatte.
Einen Raum mit Geschichtsbüchern, gegenüber von meinem Zimmer.
Noch vor zwei Tagen hätten mich keine zehn Pferde dazu gebracht, auch nur eins davon in die Hand zu nehmen. Aber jetzt schien mir die Idee gar nicht schlecht, etwas über 1940 herauszufinden. Vielleicht konnte mir das ja helfen, wenn ich noch einmal dorthin gelangen würde. Außerdem schien Elizabeth etwas über meine Zeitreisen zu wissen, sich womöglich sogar daran zu erinnern.
Wenn ich die letzten zwei Tage durchspielte, machten ihre Bemerkungen über mein Verhalten Sinn, das, was sie über mich gewusst hatte, obwohl sie mich nicht kannte. Wir hatten uns schon getroffen, aber fünfundsiebzig Jahre vor meiner Geburt.
Sie hatte mir diesen Raum empfohlen. Vielleicht hatte sie dafür ja einen Grund gehabt. Vielleicht stand dort etwas über das Radio, eine Bedienungsanleitung oder eine Beschreibung. Vielleicht konnte ich auch nur etwas über das Schulsystem in 1940 herausfinden, um beim nächsten Mal nicht so erbärmlich da zu stehen.
Ja, es war bestimmt eine gute Idee, sich diesen Raum, den Elizabeth erwähnt hatte, genauer anzusehen.
Mit schweren Gliedern verließ ich mein Zimmer und trat durch die schmale, rostrote Holztür direkt vor mir.
Mich empfingen – neben Tonnen von Staub – riesige, wacklig aussehende Bücherregale, die völlig überfüllt in mir nicht erkennbaren Mustern im Raum aufgestellt waren. Wie ein riesiges Labyrinth aus roten, braunen und grünen Einbänden. Ich hätte nicht gedacht, dass sich zwei Räume, in denen sich nur Bücher befanden, so sehr unterscheiden konnten wie die geordnete Bibliothek und dieser Raum, wo sich die Bücher selbst noch auf dem Boden stapelten. Das angehäufte Wissen, über all die Zeit, die ich nicht miterleben durfte, faszinierte mich. Wenn ich mir vorstellte, dass so viel geschehen war, ehe ich das Licht der Welt erblickt hatte, und so viel noch geschehen würde, lange, nachdem ich unter der Erdoberfläche zu Staub geworden war, erfüllte mich eine unstillbare Sehnsucht und das Verlangen, über alles, was je gewesen war, Bescheid zu wissen.
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Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne Manor
ParanormalAls Annabelle erfährt, dass sie ihre Sommerferien bei ihrer Großmutter verbringen soll, ist sie nicht gerade begeistert. Elizabeth wohnt nämlich isoliert, umgeben von nichts als weiten Feldern und Natur. Und sie ist, laut Belles Mutter, der Teufel...