Verlegen lächelte ich. Er fand mich also hübsch, oder? Verdammt. Wieso fing ich an, ihn zu mögen? Stopp.
Doch es ging immer weiter. Das hier war mein Leben. Mein verrücktes, abgefahrenes Leben. Hätte ich das vor einer Woche gesagt, hätte ich auf Drogen sein müssen.
Und jetzt saß ich in demselben Raum mit diesem Jungen, dessen Augen mir Gänsehaut bereiteten.
„Sie sehen...fabelhaft aus", äußerte er sich und wandte sich dann übereifrig seinem zweiten Schuh zu.
„Dankeschön. Sie aber auch", erwiderte ich selbstbewusst das Kompliment. Das stimmte auch. Er hatte sich ordentlich in Schale geworfen, über seinem Hemd trug er eine neue Krawatte und ein braunes Sakko über einer schwarzen Hose, die vermutlich mit Hosenträgern befestigt war. Sein Scheitel war auch frisch gezogen und nicht mehr von der Sommerbrise zerzaust. Er war eindeutig Cinderellas Märchenprinz.
Aber war ich in diesem Vergleich nicht die böse Stiefschwester? Das Mädchen, das nicht einmal in diese Zeit passt? Genauso wenig wie in den Schuh, der sich unter dem Tüll meines Kleids versteckte. Mein Lächeln verschwand.
Was machte ich hier eigentlich?
Arthur sprang auf. Ich ergriff seinen Arm und fühlte mich einen kurzen Moment lang wie eine Dame.
Wir schritten die Flure entlang und unterhielten uns über Belanglosigkeiten. Der Streit von vorhin hing noch über uns, aber keiner von uns erwähnte ihn auch nur mit einem Wort.
Ich lachte herzhaft. Er grinste breit, wie ein kleiner Junge. Dieser Blick stand ihm viel besser als das Stirnrunzeln. Es machte ihn jünger und greifbarer.
„Ach, da ist ja mein Lieblingsgast und seine hinreißende Begleitung. Sie sehen heute echt reizend aus, Miss Annabelle! Das Blau passt hervorragend zu ihrer...Hautfarbe."
Obwohl er es zu verbergen versuchte, hörte ich den rassistischen Unterton. Und er machte mich wütend. Unfähig, etwas zu sagen, schluckte ich das anmaßende Kompliment herunter.
Vermutlich würden es alle lieber sehen, wenn ich Max' rötliche Haut und die glatten, feinen Haare meiner Mutter hätte, sowie auch ihre zierlichen Gesichtszüge und nicht meine fette Nase. Herrgott, manchmal wünschte ich mir das selber.
Mensch ist Mensch. Jude wie Christ, Schwarz wie Weiß.
Ein schmallippiges Lächeln setzte ich auf, bedankte mich höflich. Meine Augen blieben kalt.
Wir spazierten zum Kaminzimmer, das ich schon aus 2015 kannte. Es hatte sich kein Stück verändert, nur die Vitrinen enthielten nicht das mysteriöse Schwarz-Weiß-Foto von Arthur Spencer, sondern Kohlezeichnungen einiger vermutlich längst verstorbener Vorfahren. Wir nahmen Platz auf den Sesseln, die nun viel unbenutzter aussahen als 75 Jahre später. Weingläser standen auf dem Kaffeetisch und der Earl schenkte uns allen reichlich Weißwein ein.
„Darauf, dass wir alle leben, und darauf, dass die Alliierten diesen Krieg gewinnen mögen!", sprach er. Der Raum hatte sich mittlerweile mit vielen wichtig aussehenden Männern gefüllt, mit ihren wunderschönen Damen, die alle schon über 40 sein mussten. Arthur und ich waren eindeutig die Jüngsten im Raum.
In diesem Moment sprang die Tür auf und Lady Hawthorne trat ein. Ich wusste sofort, dass sie es war. Sie hatte Elizabeths – meine – Augenfarbe. Eine kleine Frau, aber energisch. Sie lächelte bestimmt, als sie sich zu uns setzte. Doch ich sah ihren musternden Blick, als wir alle anstießen. Ich war die einzige Dunkelhäutige im Raum. Vorsichtig trank ich aus dem Weinglas. Ich fühlte mich beobachtet; vielleicht war ich auch einfach nur paranoid.
Gedämpft wurde sich unterhalten.
Eine große Flügeltür, die ich vorher noch nicht bemerkt hatte, wurde von einem Angestellten geöffnet. Sie führte geradewegs auf die Terrasse. Schnell leerte ich mein Glas, dann folgte ich Arthur, der mich erwartungsvoll ansah. Es war wie einer dieser Filmmomente, der Schwenk über die versammelte Menge, die durch die Türen strömt und sich graziös unterhält, die Damen mit Seidentuch über dem Rückenausschnitt, die Haare zu einer kunstvollen Dauerwelle verschlungen, die Herren im 10.000-Pfund-Anzug. Im Hintergrund ein leises Grammofon, das mit schlichten Jazzklängen auf die Combo vorbereitete. Auf der Terrasse standen zahlreiche Bedienstete, die das gigantische Buffet betreuten. Verträumt ließ ich meinen Blick über sie wandern.
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Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne Manor
ParanormalAls Annabelle erfährt, dass sie ihre Sommerferien bei ihrer Großmutter verbringen soll, ist sie nicht gerade begeistert. Elizabeth wohnt nämlich isoliert, umgeben von nichts als weiten Feldern und Natur. Und sie ist, laut Belles Mutter, der Teufel...