Höllenhunde

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Mein Vater hatte mich seit Jahren nicht mehr Mädchen genannt. Vielleicht seit er seinen Job verloren hatte nicht mehr. Mädchen war sein Kosename für mich gewesen, nur er durfte mich so nennen. Nicht einmal Marc hatte sich das getraut.

Jetzt, nach sechs Jahren, wieder diesen Namen zu hören, löste etwas in mir aus. Plötzlich brach der ganze Schmerz und die ganze Verzweifelung über mich herein, die sich seit sechs Jahren angestaut hatten. Seit dem Tag, an dem mein Vater früher aus der Fabrik gekommen war.

Es war im November gewesen. Mutter war mit Lilly schwanger gewesen und wir waren nachmittags auf dem Spielplatz gewesen. Als wir nach Hause kamen, war Vater schon da gewesen. Er hatte in der Küche gesessen, ein Glas mit Scotch vor sich. Mutter hatte uns ins Wohnzimmer geschickt und wir hatten uns etwas im Fernsehen angeschaut, aber die Sendung hatte nicht die Stimmen unserer Eltern übertönt, die besorgten Fragen unserer Mutter und die gereizten Antworten unseres Vaters. Als Vater immer lauter wurde hatten Marc und ich den Fernseher lauter gestellt, damit unsere Geschwister nichts mitbekamen.

Aber auch auf der lautesten Stufe konnte unser Fernseher nicht das Klatschen übertönen, das erklang, als unser Vater unsere Mutter zum ersten Mal schlug...

Vater schlug Mutter noch oft. Ich glaube, seinen Job zu verlieren, war für ihn das Schlimmste, was hätte passieren können. Denn es hieß, dass er seine Familie nicht mehr versorgen konnte. Er verlor sein Selbstwertgefühl und er begann zu trinken.

Der Alkohol machte alles noch schlimmer. Auch als Mutter nach Lilys Geburt wieder anfing, als Friseurin zu arbeiten, hatten wir immer wenig Geld, weil Vater alles für Alkohol ausgab.

Und nun saß er hier an dem alten Küchentisch, ein gebrochener Mann, zerfressen vom Alkohol und seiner Verzweifelung. Nach sechs Jahren nannte er mich wieder Mädchen.

Ich spürte, wie eine einzelne Träne meine Wange herunter rann. Schnell wischte ich sie weg, er sollte nicht glauben, das ich schwach wäre.

"Worüber müssen wir reden? Darüber, dass du das Geld, das ich für meine Arbeit bekomme, für Alkohol ausgibst?" Ich hörte den bitteren Klang meiner Stimme, doch ich konnte nichts dagegen tun.

"Es tut mir leid, Mädchen, und das weißt du. Nein, es geht um etwas anderes..." Gespannt sah ich ihn an, doch er starrte auf seine Hände. Ich wartete ein paar Sekunden, doch Vater schien nicht mehr weiter reden zu wollen.

Er seufzte verzweifelt.

"Ich habe Schulden, Liz. Verdammt große Schulden..." Ich brauchte kurz um das zu verarbeiten. Schulden war das letzte Wort gewesen, dass ich heute hatte hören wollen.

"Verdammt, reichte das Geld, das du mir weggenommen hast, etwa nicht? Wie hoch sind die Schulden, ich will eine genaue Zahl hören. Und bei wem überhaupt?"

Vater verzog das Gesicht, als hätte ich ihn geschlagen.

"Es sind etwa 15 Tausend Dollar..." Ich schnappte nach Luft. Wie konnte man so viel Geld für Alkohol ausgeben? War das überhaupt möglich? Oder war da noch irgendetwas anderes?

"Vater, bei wem hast du 15 Tausend Dollar Schulden?" An seinem Blick sah ich, dass jetzt das wirklich Schlimme kam.

"Nachdem ich meinen Job verloren hatte", er stockte kurz, "hatten wir ja nicht besonders viel Geld. Ich brauchte aber immer mehr Geld. Ich habe alles in der Kneipe ausgegeben..."

Ich merkte, wie schwer es ihm fiel, das zu zugeben.

"Ich bin immer wieder in diese eine Bar gegangen, ins Firenze, wo sie mich noch haben anschreiben lassen. Aber nach einer Weile wollte der Wirt endlich das Geld sehen. Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass die Bar im Besitz eines hohen Mitglieds bei der Mafia war, Anführer einer Gang, die sich Hounds of Hell nennt. Und ich bin da irgendwie reingerutscht..."

Ich war während seiner Schilderung immer entsetzter geworden. Wie hatte das alles passieren können, ohne das ich etwas mitbekommen hatte?

Vater hatte ein paar Botengänge für den Mafiaboss übernommen, dann war er gezwungen worden, in die Gang einzusteigen. Irgendwann hatte er angefangen, Drogen zu schmuggeln. Als er von der Polizei gefasst worden war, hatten die Hounds of Hell seine Kaution bezahlt.

Jetzt jedoch war etwas schief gegangen. Ich verstand nicht genau, was passiert war, aber Vater hatte einen Fehler gemacht und jetzt fehlten mehrere Kilo Kokain. Der Mafiaboss hatte zwar noch keine Deadline genannt, aber Vater sowohl freundlich als auch nachdrücklich klar gemacht, dass er zumindest einen Anteil dessen, was mein Vater ihm nun schuldete, bald zurück erwartete.

Ich redete lange mit meinem Vater darüber, was wir nun machen sollten und wie wir das Geld zusammen bekommen sollten. Doch richtige Lösungen brauchen Zeit.

Als wir um elf Uhr noch keine guten Ideen hatten, ging ich ins Bett. Vater würde wieder auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen. Ich lag noch eine Weile wach und machte mir Sorgen. Ich hatte nicht geahnt, dass mein Vater so tief in der Scheiße steckte. Aber irgendwie würden wir auch das wieder hinkriegen.


Sorry, dass es diesmal so kurz ist, und dass es so langweilig ist...

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt