Gewalt und Aggression

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Wir hatten mit Mr. Smith, dem Sekretär ausgemacht, dass wir zwanzig Minuten Pause machen würden und dann pünktlich um viertel nach ein Uhr zum Nachsitzen antreten würden. Da wir die Einzigen waren, die nachsitzen mussten, war das auch kein Problem.

Ich brachte mein Biobuch zurück ins Schließfach. Ryan war mir wie selbstverständlich gefolgt und lehnte sich nun an die Schließfächer neben mir.

„Die Mensa hat heute zu...", merkte er an.

„Oh, stimmt, das hatte ich ganz vergessen", erwiderte ich. Das könnte ein Problem sein. Ich horchte in mich hinein und beschloss, dass ich irgendwie auch noch zwei Stunden ohne Essen auskommen könnte.

„Wollen wir in die Stadt gehen und uns etwas zu essen holen?", fragte Ryan. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, aber mir gefiel sein Vorschlag.

Also verließen wir zusammen das Schulgelände. Ich hoffte, dass es hier in der Nähe irgendwo billiges Take-away-Essen gab. Auch wenn ich heute Abend wieder Geld verdienen würde, würde es höchstwahrscheinlich auch wieder nicht besonders viel sein und deswegen wollte ich trotzdem lieber sparen.

Wir schlenderten fünf Minuten herum, ohne uns einig zu werden. Mir war es jedes Mal zu teuer, Ryan hatte keine Lust auf Italienisch oder Burger. Schließlich fanden wir einen süßen, kleinen Asia-Imbiss, der Nudelboxen ab drei Dollar verkaufte.

Ich bestellte mir eine vegetarische Box mit Erdnusssoße und Ryan eine mit Hähnchenfleisch. Wir mussten kurz warten. Während ich zur Ablenkung die restliche Speisekarte studierte, schien Ryan offensichtlich langweilig zu werden.

Schließlich schlang er von hinten seine Arme um mich. Ich versteifte mich automatisch.

„Ryan, lass mich los...", murmelte ich verlegen. Er murmelte etwas in meine dichten, schwarzen Haare. Es klang wie „Och hab deinen Arm..."

„Was?", fragte ich zur Sicherheit nach. Er hob seinen Kopf aus meinen Haaren.

„Ich meinte, du bist so schön warm..." Ich wandte meinen Kopf zu ihm und musste unwillkürlich über seinen Blick lachen. Als ob er mich noch weiter zum Lachen bringen wollte, verdrehte er seine Augen, sodass er fürchterlich schielte. Es gelang ihm, ich musste noch mehr lachen.

In dem Moment stellte eine kleine asiatische Oma unsere beiden Nudelboxen auf den Tresen.

„Hier sind die Boxen für das süße Pärchen...", meinte sie verschmitzt. Ich wurde sofort rot.

„Wir sind nicht zusammen!", murmelte ich schnell. Sie kicherte leise. Ich holte meinen Geldbeutel heraus und wollte gerade drei Dollar herausholen, als Ryan seine Hand auf meinen Arm legte.

„Lass nur, ich mache das schon..."

Es war wirklich unglaublich, wie sehr Ryan sich verwandeln konnte, wenn seine Freunde nicht dabei waren. Allerdings wusste ich nicht genau, ob ich mir das Mittagessen wirklich ausgeben lassen wollte. Ich mochte es nicht, Geld oder andere Sachen ohne Gegenleistung zu bekommen.

„Ist schon in Ordnung, die drei Dollar habe ich noch...", meinte ich und zwinkerte ihm dabei zu, um die Schärfe aus meiner Zurückweisung zu nehmen.

"Okay, dann nicht."

Er zuckte mit den Schultern, wir bezahlten getrennt und wenig später standen wir wieder vor der Schule. Ich war inzwischen ordentlich durchgefroren, es war schließlich schon Dezember, und hatte es eilig, hinein zu kommen. Ryan lachte mich aus, als ich mich an die nächste Heizung stellte und dabei die ganze Zeit „kalt, kalt, kalt" vor mich hin fluchte. Er breitete die Arme aus.

„Ich würde dir ja anbieten, dich zu wärmen..."

„Vergiss es", gab ich zurück. Er lachte schon wieder.

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt