High Hopes

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Ich saß noch eine Weile an Davids Bett. Als ich gerade aufstehen wollte, um meine anderen Geschwister zu suchen, öffnete sich langsam die Tür und Tyler steckte seinen Kopf herein.

„Dürfen wir reinkommen?", fragte er flüsternd.

„Nur wenn ihr leise seid", gab ich zurück. Er nickte, schloss die Tür und instruierte die beiden Kleinen kurz. Kurz später schlichen die drei herein. Lily lehnte sich gegen das Bett und sah David an. Ihre Stirn war besorgt gerunzelt.

„Wird er wieder gesund?", flüsterte sie. Ich nickte und versuchte, beruhigend zu lächeln.

„Ja, aber er muss sich jetzt erstmal ganz viel ausruhen", flüsterte ich zurück, „du kannst ihm doch vielleicht ein Bild malen. Da freut er sich bestimmt drüber, wenn er wieder aufwacht." Lily lächelte erleichtert.

„Ja, ist gut. Das mache ich."

Tyler hob Finn hoch, damit er nicht herumlief und Lärm machte. Finn sah sehr müde und erschöpft aus. Auch wenn er noch nicht verstand, was die letzten Tage bei uns losgewesen war, schien er zu bemerken, dass unser Leben aus den Fugen geriet und das machte ihn genauso nervös wie uns.

Wir blieben nicht mehr besonders lange bei David. Ich bat eine Pflegerin, mich anzurufen, wenn er aufwachte, und besprach mit Tylers zuständigem Arzt, dass ich ihn mit nach Hause nehmen würde. Das erforderte eine kurze Diskussion über seinen Gesundheitszustand und ob unsere Eltern sich ordentlich um ihn kümmern würden. Unsere Eltern würden sich zwar überhaupt nicht um Tyler kümmern, trotzdem wollte ich ihn mitnehmen, unter anderem weil ich mir nicht sicher war, dass Medicaid den Krankenhausaufenthalt zahlen würde.

Als wir endlich zuhause ankamen, war es schon fast zwölf Uhr mittags. Ich bugsierte die versammelte Bande in die Küche, wo Tyler schonmal den Kühlschrank plündern sollte. Ich hingegen wollte erst noch versuchen, die Tür wieder zu richten. Ich sah mir die Bescherung an und musste nach einigen Minuten einsehen, dass ich sie nicht so einfach wieder in die Angeln heben konnte, weil die gesamten Scharniere aus der Wand geflogen waren.

Ich begnügte mich also damit, die Tür gegen den Türrahmen zu lehnen, damit die Wohnung zumindest auf den ersten Blick verschlossen aussah. Dann kehrte ich zu meinen Geschwistern in die Küche zurück. Lily hatte den Tisch gedeckt und Tyler Brot und Aufstrich geholt. Alles schien schon bereit, doch bevor ich mich auch hinsetzen konnte, musste ich nochmal versuchen, Marc anzurufen.

Mit zitternden Fingern wählte ich. Tyler sah mich an, Lily auch. Nur Finn spielte mit Lilys langen, lockigen Haaren. Hilflos horchte ich dem langen Tuten aus dem Handy. Ich wartete. Eine Minute, zwei Minuten. Warum ging er nicht ran?

Schließlich gab ich auf. Entmutigt ließ ich mein Handy sinken und legte es beiseite. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, als ich mich hinsetzte, doch unter dem Tisch ballte ich meine rechte Faust so fest zusammen, dass sich meine Fingernägel schmerzhaft in meine Handfläche gruben.

Wir aßen, doch wir redeten kaum miteinander. Ich hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen und mein Magen verlangte nach fester Nahrung, doch mein Kopf machte mir Vorwürfe, wie ich nur jetzt essen konnte. Verzweifelt blickte ich auf den verbliebenen Anteil meiner Geschwister. Ich hatte sie nicht beschützen können und jetzt saßen nur noch Tyler, Lily und Finn mit mir am Tisch. Ich war eine furchtbare große Schwester. Mein Blick schwenkte zu meinem Handy, das immer noch auf der Küchenablage lag. Warum ging Marc nicht ran? Warum rief er nicht zurück? Bedeutete das wirklich, dass die Hounds sie geschnappt hatten? Waren sie gerade in demselben Haus, in dem die Hounds mich schon ‚verhört' hatten?

Plötzlich kam mir ein Gedanke. Was, wenn nicht Marc und sein Handy das Problem waren, sondern mein Handy? Wenn Marc davon ausging, dass die Hounds of Hell mich verhören würden, um herauszufinden, wo Mary sich befand, dachte er vielleicht, sie würden mein Handy abhören. Vielleicht, auch wenn es ein sehr großes Vielleicht war, musste ich es nur von einem anderen Telefon aus probieren.

Der Gedanke elektrisierte mich. Ich konnte auf keinen Fall hier still sitzen bleiben, ohne es zumindest versucht zu haben. Mein Blick schweifte über meine Geschwister, als ich abrupt aufstand. Er blieb an Tyler hängen.

„Pass auf die beiden auf!", sagte ich eindringlich. „Ich muss kurz etwas ausprobieren. Vielleicht ist es Blödsinn und ich bin gleich wieder da, aber wenn nicht komme ich vielleicht erst heute Abend wieder." Tyler sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Es geht um Marc und Mary, oder?", fragte er.

„Ja, mir ist vielleicht etwas eingefallen, wie ich sie erreichen kann", meinte ich, schon im Weggehen. Ich zog mir eine Jacke über das T-Shirt, das ich von Panther bekommen hatte, und das ich immer noch anhatte. Keine Zeit zum Umziehen. Dann lief ich noch schnell in mein Zimmer, öffnete die Schublade meines Nachttischchens. Die Pistole steckte ich unter das T-Shirt in den Hosenbund an meinem Rücken.

„Pass auf dich auf.", sagte Tyler noch, ich konnte die Besorgnis in seinen Augen erkennen. Von dem pubertierenden, störrischen Jungen war nichts mehr übrig geblieben. Es war erleichternd, dass ich mich auf ihn verlassen konnte, wenn es wirklich darauf ankam.

Ich verließ die Wohnung und das Haus. Als ich unten auf der Straße stand, drehte ich mich kurz einmal um mich selber, weil ich nicht wusste, wo ich hin sollte. Wo fand ich das nächste Telefon, bei dem ich sicher sein konnte, die Hounds würden es nicht abhören?

Ein Diner, fiel mir ein und ich bewegte mich nach links. Gehen reichte nicht bei meinem hektischen Zustand und so fing ich an, zu rennen, als ich das leuchtende Schild des Mississippi Diner sah. Wir waren zwar weder in Mississippi, noch war das ein besonders gutes Diner, doch ich war mir leidlich sicher, dort schonmal ein Telefon an der Wand hängen gesehen zu haben.

Ich stürmte in das Diner, was die Bedienung zu einem erschrockenen Aufruf verleitete.

„Darf ich mal kurz telefonieren?", fragte ich leicht atemlos, wartete jedoch nicht lange auf eine Antwort. Ich hatte das Telefon am anderen Ende des Raums, beim Durchgang zu den Toiletten gesehen. Das Telefon sah schon fast antik aus und so war seufzte ich erleichtert auf, als ich ein Freizeichen hörte. Mit fliegenden Fingern wählte ich. Inzwischen kannte ich Marcs Nummer auswendig.

Erstes Tuten, zweites Tuten. Mehr als nur nervös, fuhr ich mir durchs Haar, blieb an einer besonders störrischen Strähne hängen und riss mir fast ein ganzes Haarbüschel aus. Dann hörte ich jemanden abnehmen.

„Hallo?", frage eine dunkle Stimme auf der anderen Seite und ich hätte heulen können vor Erleichterung.

„Marc? Ich bin es. Wo seid ihr, geht es euch gut?", meine Stimme bebte, sowohl vor Anspannung, als auch vor körperlicher Erschöpfung.

„Äh, ja, Liz, was ist denn los?", aus seiner Stimme ließ sich seine Verwirrung nur zu deutlich heraushören.

„Weißt du, wie oft ich versucht habe, euch anzurufen? Die Hounds of Hell suchen euch!"

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt