Stories we never told

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Es war Anfang Februar und wir waren bei Ryan. Wir waren bald einen Monat zusammen und es lief wider Erwarten gut. Ich hatte am Anfang der Beziehung zugegebenermaßen Zweifel gehabt. Der Badboy der Schule und ich, die Unsichtbare? Das klang wie eine Liebesschnulze aus einem schlechten Schundroman für einige Dollar am Bahnhof. Doch irgendwie funktionierte es und irgendwie war es schön. Inzwischen genoss ich jede Berührung von ihm. Am Anfang hatte ich mich noch daran gewöhnen müssen, doch Ryan war immer so zärtlich und liebevoll gewesen, dass ich mich schon bald vertrauensvoll an ihn schmiegte, sobald er mich umarmte.

Wir lagen zusammen in seinem Bett. Entgegen der Erwartungen von jedem Schüler in unserer Stufe hatten wir noch nicht miteinander geschlafen. Doch ich spürte, dass es bald so weit sein würde. Jedesmal, wenn er mit seiner Hand über meine Haut strich, fühlte ich mich wie elektrisiert.

Ryan versuchte sich zurückzuhalten, damit ich mir alle Zeit lassen konnte, die ich brauchte, doch mir war klar, dass ich schon bald mehr wollen würde. Auch jetzt war ich mir der Muskeln unter seinem T-Shirt nur allzu bewusst. Ryan strich langsam meinen Arm hoch, seine Berührung war federleicht, als würde ein Schmetterling über meine Haut flattern. Ich erschauerte.

Ich hielt es nicht mehr aus, nur neben ihm zu liegen und richtete mich auf. Ich wollte ihn ansehen. Ryan war hübsch für einen Jungen. Sein Gesicht war vielleicht ein bisschen schmal, doch sein Kinn war markant und seine Augen konnten sowohl zärtlich blicken als auch Todesblicke verschicken. Ich hatte mich in diese Augen so unsterblich verliebt, wie ich mich in den Rest von ihn verliebt hatte.

Ich stützte mich auf meinen linken Arm und fuhr mit der Rechten langsam über sein T-Shirt. Dabei rutschte es leicht nach oben und ich musste über die ausgeprägten Muskeln an seinem Bauch lächeln. Sie waren unwiderstehlich und ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich schob das T-Shirt noch weiter nach oben und fuhr mit dem Finger die Linien nach.

„Gefällt es dir?", fragte mich Ryan verschmitzt. Ich grinste zurück und nickte. Es machte mir nichts mehr aus, das er mir gefiel. Ich wusste jetzt, dass ich ihm auch gefiel und das machte es einfacher, zuzugeben, dass ich ihn umwerfend fand.

Meine wandernden Finger stoppten, als sie zu einer kleinen weißen Narbe kamen, die das Gesamtbild etwas störte. Sanft berührte ich sie. Das Narbengewebe war leicht verhärtet.

„Was hast du da gemacht?", wollte ich wissen. Ryan sah zur Seite. Unwillig betrachtete er die Skyline von New York, die als riesiges Bild an seiner Wand hing.

„Du musst es mir nicht erzählen", ruderte ich zurück, fügte aber hinzu, „ich habe auch so eine Narbe. Bei mir ist sie von einem Messer..." Nun richtete auch Ryan sich auf. Sein Blick war schon wieder so besorgt, doch ich sah, wie er versuchte, es zu unterdrücken.

„Darf ich es sehen?", fragte er und ich nickte. Ich lehnte mich zurück und schob langsam mein T-Shirt hoch. Bei mir war sie niedriger, nur knapp über dem Hosenbund, doch genauso hell und fast so groß wie die von Ryan. Das Narbengewebe wirkte auf meiner dunkleren Haut fast weiß. Ryan betrachtete es nachdenklich, dann fuhr er leicht mit den Fingern darüber. Es tat nicht weh, es war lange her, dass mich dort das Messer getroffen hatte.

„Ich erzähl dir von meiner Geschichte, wenn du mir danach von deiner erzählst", bot Ryan an und ich ging darauf ein. Er zögerte eine Weile.

„Es ist noch nicht besonders lange her", fing er an, "das war am Anfang, als ich in der Gang noch ganz neu war. Ich hatte noch ein bisschen Probleme, mich in der Hierarchie zurechtzufinden und meine Stellung rauszufinden und dann legte ich mich mit einem Typen an, der noch ein paar Nummern zu groß für mich war." Er stockte und ich versuchte, ihn nicht zu drängen.

„Jedenfalls kamen wir uns in die Haare, wir schrieen uns gegenseitig an, irgendwann machte ich den Fehler, ihn zu schubsen. Ich wusste noch nicht genau, wie die Dinge dort gehandhabt wurden", fuhr er fort, schneller jetzt, als wolle er es hinter sich bringen, „und der Typ hatte ein Messer, das er zog. Ein Weile lang konnte ich ihm ausweichen, doch er war furchtbar schnell und bevor ich so genau wusste, was eigentlich passierte, hatte ich ein Messer im Bauch stecken." Ich zog scharf die Luft ein, so schrecklich fand ich die Vorstellung. Ryan nahm beruhigend meine Hand.

„Er ließ es stecken, was gut war, denn sonst wäre ich wahrscheinlich verblutet. Die anderen Jungs, die um uns herum gestanden hatten und keine Anstalten gemacht hatten, den Kampf zu unterbrechen, legten mich schnell auf den Boden. Der eine telefonierte mit jemandem und nur kurze Zeit später kniete sich eine Sanitäterin neben mich. Ich glaube, es war eine korrupte Sanitäterin, jedenfalls behandelte sie mich direkt dort und ich bin nicht ins Krankenhaus gefahren worden. Es ist gut verheilt zum Glück", schloss er seine Erzählung.

„Wie alt warst du?", wollte ich wissen. Ryan sah mir in die Augen.

„Fast siebzehn", gab er zu. Ich nickte, er schien immer noch ein leichtes Trauma davon zu haben, was wahrscheinlich normal war, wenn es erst so kurze Zeit her war. Er stupste mich leicht an.

„Du bist dran", erinnerte er mich.

„Bei mir gibt es nicht besonders viel zu erzählen", gab ich zu, „es ist schon eine ganze Weile her. Ich war dreizehn und hatte den Fehler gemacht, nachts noch unterwegs zu sein. Ich lief einem Mann in die Arme, er hatte seine Freunde dabei, doch er schickte sie weg. Ich wusste, was er mir antun wollte und deshalb versuchte ich, ihm mein Klappmesser in den Bauch zu rammen. Aber er hat einfach meinen Arm gepackt, mir das Messer abgenommen und mich ausgelacht. Dann hat er stattdessen das Messer in meinen Bauch gestoßen. Ich weiß nicht, was er sonst noch mit mir gemacht hätte, doch ein Paar kam an uns vorbei und rief die Polizei. Er machte sich davon, aber sie blieben bei mir, bis der Krankenwagen da war. Einen Tag war ich im Krankenhaus, dann haben sie mich entlassen, weil wir die Rechnung nicht bezahlen konnten." Ryan sah mich entsetzt an.

„Sie haben dich einfach so rausgeschmissen?" Ich zuckte mit den Achseln.

„Wir konnten nicht bezahlen, also ja, natürlich. Immerhin haben sie das Loch zugenäht", verteidigte ich das Krankenhaus. Ryan wirkte immer noch empört.

„Wurde der Mann jemals gefunden?", fragte er.

„Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass sie groß nach ihm gefahndet haben." Ich hatte damals kurz mit den Polizisten geredet, doch weder hatten sich mich danach nochmal auf die Wache bestellt, noch sollte eine Phantomzeichnung angefertigt werden. Ryan war offensichtlich unzufrieden und verzog seine Lippen zu einem Schmollmund. Ich musste lachen und küsste ihn auf seinen Schmollmund und da musste auch er lachen und wir vergaßen die ganze Geschichte. Einige Zeit später hielt Ryan mich fest im Arm und flüsterte mir ins Ohr.

„Ich bin froh, dass wir uns gefunden haben. Ohne dich wäre mein Leben nur furchtbar."

„Meins auch", flüsterte ich zurück.

Trotz diesen und ähnlichen Geschichten hatte ich im Großen und Ganzen langsam wieder das Gefühl, mein Leben in den Griff zu bekommen. Ryan und ich trafen uns oft nach der Schule und ich kam sogar mit Kyle und Ian besser zurecht. Mehrere Wochen lang lief es so gut, dass ich die ganze Zeit fürchtete, etwas könnte passieren und alles kaputt machen. Ich rechnete irgendwann so sehr damit, dass ich, als es so weit war, kaum überrascht war.


So das wars mal wieder, ich hoffe es gefällt euch. Voten und kommentieren nicht vergessen ;)

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt