Monster at home

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Wir rafften uns tatsächlich noch dazu auf über Wirtschaft zu reden. Das Buch handelte von Kapitalismus und Marktwirtschaft am Beispiel der USA und bot massig Angriffspunkte für mich. Ich fasste das Buch kurz für Ryan zusammen, dann las er die meiner Meinung nach wichtigsten Stellen nochmal und wir diskutierten darüber.

Um halb Acht wollte ich mich verabschieden. Ryan hielt mich an der Hüfte fest und bat mich, noch zum Abendessen zu bleiben, doch die Aussicht, dabei wieder auf seine Familie zu treffen, lähmte mich und ließ mich die Flucht antreten. Ryan mochte der Meinung sein, ich sei mindestens genau so viel wert wie er, doch seine Familie konnte ebenso gut eine völlig entgegengesetzte Meinung vertreten.

Als Ryan mich nach unten brachte, öffnete sich die große Flügeltür und ein großer Mann im Anzug trat ein. In seiner rechten Hand trug er einen schwarzen Aktenkoffer, sein Gesicht war markant und strahlte pure Macht aus. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, irgendetwas an ihm käme mir bekannt vor, doch ich konnte nicht genau sagen, was.

Ryan wurde leicht blass, als er den Mann sah.

„Oh Shit", fluchte er leise, „so früh, ich hätte nicht gedacht..." Er unterbrach sich, als der Mann uns bemerkte. Mit einem undurchdringlichen Blick musterte er mich und ich wäre am liebsten schreiend davon gelaufen.

„Vater", begrüßte Ryan seinen Vater steif, „darf ich vorstellen, Liz, sie ist bei mir in der Stufe." Ryans Vater nickte nur, sein Blick war kein bisschen freundlicher geworden. Er durchquerte die Eingangshalle mit schnellen Schritten und rief dabei Ryan zu, ohne ihn nochmal anzusehen: „Ich erwarte dich pünktlich zum Abendessen." Er verschwand durch eine weitere Flügeltür am anderen Ende der Halle.

Ryan und ich entspannten uns gleichzeitig. Ryan fuhr sich verlegen mit der Hand durch sein verstrubbeltes Haar.

„Jetzt hast du auch noch den schlimmsten Teil meiner Familie kennengelernt", murmelte er und schnitt eine Grimasse. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Sein Vater schien ebenso beschissen zu sein wie meiner.

Ryan brachte mich vor das eiserne Tor und sogar noch bis zur Straße. Wir umarmten uns zum Abschied, doch ich spürte, dass Ryan mit seinen Gedanken schon woanders war; vielleicht bei seinem Vater, vielleicht beim Abendessen. Kurz zögerte ich, dann strich ich ihm zart über die Schulter.

„Du kannst mich immer anrufen, wenn irgendetwas ist...", machte ich ihm nochmals klar und er nickte und lächelte. Trotzdem erreichte das Lächeln seine Augen nicht und ich fragte mich, was sein Vater ihm angetan hatte, dass schon die kurze Begegnung in der Eingangshalle ihn so aus der Bahn warf.

Als ich nach Hause kam, war schon nach acht Uhr und ich musste meinen Geschwistern noch etwas zu Essen machen. Morgen war wieder Schule und Lily sprang aufgeregt durch die Wohnung, als ich die Tür öffnete. Ich schloss sie in die Arme zur Begrüßung und atmete den süßen Duft ihrer Haare ein. Mary stand in der Küche. Sie hatte schon angefangen, Zwiebeln zu schneiden und begrüßte mich mit einem zweideutigen Lächeln.

„Na, hast du einen schönen Tag gehabt mit Ryan?" Sie betonte seinen Namen und zwinkerte dabei so anzüglich, dass ich lachen musste, obwohl ich am liebsten die Augen verdreht hätte. Spielerisch boxte ich sie sanft in die Seite, bevor ich meine Sachen abstellte und ihr beim Abendessen half.

Während wir nebeneinander arbeiteten, fragte sie nach Mutters Zimmer und was wir jetzt damit machen wollten. Ich seufzte. Ich hatte noch nicht darüber nachgedacht, allerdings einfach nur deshalb, weil ich den Gedanken an das leere Zimmer nicht ertragen konnte, das Zimmer in dem meine Mutter ihre letzten und ich die schlimmsten Stunden meines Lebens verbracht hatten. Mary war nicht dadurch eingeschränkt. Irgendwann hatte ich alle meine Geschwister aus dem Zimmer geschickt in der Nacht. Sie hatte einen Vorschlag.

„Wir könnten David und Tyler in das Doppelbett legen, sofern das für Tyler in Ordnung ist. Dann könnte Lily zu Finn ins Zimmer der Jungs ziehen. Alternativ könnten aber auch David und Lily im Doppelbett schlafen, falls sie das möchten..." Ich ließ mir die Sache durch den Kopf gehen. David und Lily waren sowieso schon beinahe unzertrennlich, manchmal vergaß ich fast, dass zwischen ihnen ein Abstand von vier Jahren lag. Es könnte ihnen vielleicht gefallen, zusammen in dem großen Bett zu schlafen. Dass Tyler allerdings mit David dort schlafen wollen würde bezweifelte ich. Er legte zu viel Wert auf genug Platz für sich selbst, erst recht seit er in die Pubertät gekommen war.

Wir besprachen die Sache beim Abendessen und es stellte sich heraus, dass ich Recht mit Tyler gehabt hatte. David und Lily hingegen waren ganz begeistert bei der Aussicht, zu zweit in dem Doppelbett zu schlafen und wollten das gleich diese Nacht ausprobieren.

Als wir um zehn Uhr endlich fertig mit Umräumen waren, fühlte ich mich wie gerädert. Ich hatte zu wenig geschlafen diese Nacht, um so spät noch so anstrengende Sachen wie Betten beziehen zu machen. Erschöpft ließ ich mich auf die Küchenbank fallen.

Mir kam kurz der Gedanke, was ich tun sollte, falls Vater Anspruch auf Mutters Zimmer erheben würde, sofern er sich mal wieder blicken ließ. Ich schob den Gedanken von mir. Darum würde ich mich kümmern, falls es soweit kam.

Gerade als ich mich um halb elf ins Bett legen wollte, ließ mich die aufknallende Wohnungstür zusammenzucken.

„LIZ!", brüllte mein Vater durch die gesamte Wohnung, „wo ist meine kleine Hurentochter? Komm her!"

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt