Keine Ruhe

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Als sich die Schultüren hinter uns schlossen, atmete ich tief durch. Ryan war so ein Scheißkerl! Wie hatte ich ihn nur jemals klug finden können oder gar nett. Tyler schien aufgewühlt. Wir hatten eindeutig Klärungsbedarf. Doch zuerst sollten wir zu Mary. Sie stand auf der anderen Seite des Schulhofes, wo es auf die Straße ging, und schien sehr ungeduldig zu sein. 

Wir kamen bei ihr an und ich merkte, dass ihre Wangen rot vor Aufregung waren.

"Wo wart ihr denn so lange? Ich muss euch was erzählen! Ihr werdet es nicht glauben!" In diesem Moment schien sie wahrzunehmen, wie schlecht gelaunt ich aussah und dass Tyler sich seinen Bauch hielt.

"Was ist denn passiert?", fragte sie verwirrt.

"Lasst uns zur U-Bahn gehen, auf dem Weg dorthin klären wir das alles", bestimmte ich. Ich wollte so schnell wie möglich weg hier, bevor Ryan und seine Freunde aus dem Gebäude kamen.

Wir hatten die halbe Strecke zu U-Bahn schweigend zurückgelegt, als Tyler plötzlich stehen blieb. Bisher hatten wir alle drei vor uns hin gebrütet, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Nun starrte Tyler mich auffordernd an.

"Okay Liz, was hast du mit diesem Typen am Laufen, woher kennt der dich?" Seine dunklen Augen blitzten vorwurfsvoll.

"Tyler, ich bitte dich, ich habe doch nichts laufen mit Ryan. Wir sind im selben Biologiekurs und unser Lehrer hielt es für eine gute Idee, uns Partnerarbeiten anfertigen zu lassen. Durch einen blöden Zufall habe ich halt Ryan als Partner, das ist alles", versuchte ich ihn zu beschwichtigen. Er sah mich misstrauisch an.

"Aber kommen wir mal zu dir: wieso um alles in der Welt hat Ryan dich verprügelt?" Mary keuchte auf.

"Ryan hat dich verprügelt?", fragte sie ungläubig nach.

Tyler schien wütend, dass ich das vor Mary gesagt hatte. Er wollte so gern unser Beschützer sein. Aber er war doch erst vierzehn und ich war die Älteste, ich musste die Beschützerin sein.

"Ich weiß doch auch nicht, warum er sich ausgerechnet mich geschnappt hat. Ich glaube, er musste einfach seinen Frust an irgendjemandem auslassen und da war ich zufällig gerade da. Aber frag mich bloß nicht, was ihn so wütend gemacht hat, ich habe nämlich keinen blassen Schimmer", verteidigte er sich und ich glaubte ihm. Gleichzeitig bekam ich einen furchtbaren Verdacht.

Ein paar Minuten nachdem ich Ryan abgewiesen, ihn geschlagen und aus dem Computerraum marschiert war, hatte er sich meinen Bruder geschnappt und seinen Frust an ihm ausgelassen. Konnte das sein? Konnte wirklich ich schuld sein, dass Tyler jetzt noch mehr Schmerzen hatte. Ich atmete zischend ein. Tyler und Mary sahen mich fragend an.

"Scheiße, es ist meine Schuld!" Die Erkenntnis war schmerzhaft. "Ryan muss so wütend gewesen sein, weil ich ihn abgewiesen habe..."

"...weil du ihn abgewiesen hast? Liz, was zur Hölle war nur los heute? Wie konnte ich das alles nicht mitbekommen?" Mary war geschockt.

"In den letzten zwei Stunden hatte ich Biologie und wir waren im Computerraum, um noch mehr Material zu sammeln. Als ich meine Sachen zusammengepackt habe, hat er auf einmal seine Hände an meine Hüfte gelegt und sich von hinten an mich gelehnt. Ich habe ihn weggeschubst und ihm eine Ohrfeige gegeben. Kurz darauf habe ich euch auf dem Gang gesehen..." Ich rieb mir verzweifelt mit beiden Händen übers Gesicht. "Verdammt, Tyler, es tut mir so leid..." Flehend sah ich ihn an. Seine Augen blitzten vor Wut und sein junges Gesicht war verzerrt. Doch ich spürte, dass nicht ich diejenige war, auf welche er wütend war.

"Dieser beschissene Wichser! Ich bring ihn um! Liz, ich schwöre dir, wenn er dich noch einmal berührt, mache ich ihn eigenhändig kalt!" Tylers Hände waren zu Fäusten geballt, er schien dringend irgendetwas kaputt schlagen zu wollen. 

"Oh nein, das wirst du nicht!" Morddrohungen waren jetzt wirklich das Letzte, was ich gebrauchen konnte. "Du wirst dich da raushalten, hast du verstanden? Ich kann meine Probleme selber lösen."

Nach einem Blick auf die Uhr verfiel ich in Panik.

"Scheiße, ich komme zu spät zur Arbeit." So schnell wir konnten rannten wir zu U-Bahn-Station und einige Minuten später stolperte ich komplett verschwitzt, aber gerade so noch rechtzeitig in den Supermarkt.

Schnell zog ich mich um und meldete mich bei meinem Chef, der mal wieder Fast Food in sich hinein schaufelte. Er brummte nur, als er mich sah. Heute schien ein entspannter Tag zu werden.

Als es vier Uhr war, machte ich eine kurze Pause. Noch drei Stunden, dann würde ich es geschafft haben. Dann lagen zwei wunderschöne Tage vor mir, in denen ich weder zur Schule noch zur Arbeit müsste. Vielleicht würde ich mit meinen Geschwistern in den Park gehen. Sofern es Mutter so gut ging, dass ich mich traute, sie allein zu lassen. Wenn ich zur Schule oder zu Arbeit musste, hatte ich kaum eine Wahl, aber an den Wochenenden ließ ich sie immer nur ungern allein, besonders jetzt. In den letzten Wochen war es ihr immer schlechter gegangen. Ich hatte wahnsinnige Angst, dass... Nein, hielt ich mich zurück. Ich würde nicht mal daran denken!

Seufzend ging ich zurück an die Arbeit. Eine neue Lieferung war gekommen. Nun war wahnsinnig viel einzusortieren. Ich war gerade dabei, neue Milchtüten ins Kühlregal einzuräumen, als ich eine Stimme hinter mir hörte. Obwohl ich sowieso schon eine Gänsehaut hatte, wegen der kalten Luft der Kühlregale, lief mir kurz ein Schauer über den Rücken. Das konnte doch jetzt nicht wirklich war sein, oder?

Zögerlich drehte ich mich um. Ich fürchtete mich, dass ich die Stimme richtig zugeordnet hätte. Doch ich hatte ich nicht getäuscht. Neben mir stand Ryan und grinste so typisch für ihn. Ich unterdrückte ein Seufzen. Ich sollte mich nicht von ihm einschüchtern lassen.

"Was willst du hier Ryan? Ich muss arbeiten..."

Er strich sich mit der Hand durch seine sowieso schon perfekt gestylten Haare und kam ein paar Schritte näher. Unwillkürlich wich ich zurück. Er schien nicht mehr wütend zu sein, aber vielleicht konnte er auch einfach seine Gefühle gut verbergen. Nun blitzte ein schelmisches Grinsen in seinen Augen auf.

"Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben, ich tu dir doch nichts." Scheinheilig hob er seine Arme. Ich konnte mir ein ungläubiges Schnauben nicht verkneifen. Ungewollt zuckte meine linke Augenbraue nach oben.

"Ist das dein Ernst? Was zur Hölle willst du hier, Ryan? Ich frage nur einmal." Er beugte sich einen Millimeter nach vorn.

"Ich will dich zu Kyles Party einladen!"

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt