Töten oder getötet werden

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Mit erhobener Waffe sprintete ich quer durch den Garten, sprang durch die Reste der zerstörten Terassentür und landete geduckt hinter dem Sofa. Eine Kugel zischte über mich. Marc lud gerade nach und blickte auf, als ich neben ihn kroch.

"Bist du bescheuert?", zischte er mich an.

"Ich lass dich nicht im Stich. Das kannst du vergessen!", zischte ich zurück und entsicherte meine Glock.

Für einen kurzen Moment wurde nicht geschossen und ich wagte einen schnellen Blick über die Lehne des Sofas. Sofort zog ich den Kopf wieder ein, denn die Schießerei ging sofort wieder los. Doch der kurze Blick hatte mir genügt. In dem Flur standen in den Durchgängen zu den anderen Räumen und auf der Treppe vier Hounds. Sie hatten keinerlei Schutzkleidung getragen, es waren weder Söldner noch Soldaten gewesen, lediglich einfache Gangmitglieder.

Mit einer gewissen Erleichterung hatte ich registriert, dass Ryan nicht unter den Männern gewesen war. So sehr ich auch wütend war auf ihn und so sehr ich mich auch von ihm verraten fühlte, wusste ich nicht, ob ich auf ihn würde schießen können. Auch wenn Marc auf ihn schießen würde, ihn verwunden oder sogar töten würde, wusste ich nicht, wie ich reagieren würde.

Marc hatte fertig geladen, drehte sich wieder um und streckte den Arm rechts am Sofa vorbei. Zwei Schüsse ertönten, dann hörte ich einen unterdrückten Aufschrei und ein Plumpsen, als würde ein Körper auf dem Boden landen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Marc lehnte sich wieder mit dem Rücken gegen das Sofa. Die Männer erwiderten Marcs Schüsse, doch die Kugeln flogen über das Sofa hinweg oder landeten in seiner Rückseite. Ein Schleifen ertönte, als würden ein paar den Körper ihres Freundes aus dem Flur hinausziehen. Marc blickte zu mir.

„Wir sind in einer gewissen Pattsituation", murmelte er. Ich hörte ihm aufmerksam zu. „Ich habe nicht mehr besonders viele Kugeln, aber wenn ich ab und zu einen von ihnen erwische, kommen sie nicht an uns ran. Andererseits kommen wir hier auch nicht weg..." Ich sah ihn besorgt an. Was sollten wir nur tun? Die Zeit lief, einer der Anwohner hatte bestimmt die Polizei verständigt. Sowohl die Explosion, als auch der Schusswechsel sollten weithin zu hören gewesen sein.

Die Schüsse wurden wieder weniger und ich nutzte die kleine Pause. In einer fließenden Bewegung richtete ich mich auf, zielte mit meiner Glock auf den nächsten Mann und drückte ab. Bevor ich sehen konnte, ob ich getroffen hatte oder wie die Männer reagierten, duckte ich mich schon wieder.

„Hast du getroffen?", fragte Marc mich leise.

„Ich weiß es nicht", gab ich etwas ratlos zurück. Er wiegte den Kopf hin und her.

„Vermutlich nicht, sonst hätten wir etwas gehört..." Ich verzog unzufrieden meinen Mund. Ich war mal so gut gewesen.

„Halt!", eine eiskalte Stimme unterbrach mich, bevor ich es erneut versuchen konnte. Mein Blick huschte zu Marc, der mich alarmiert ansah. Auch mir lief es kalt den Rücken hinunter. Ich kannte diese Stimme, die so kalt und berechnend klang, als würde sie gar nicht von einem Menschen sondern einem Roboter stammen. Augenblicklich hatte ich das Gefühl, die Temperatur würde um einige Grad sinken. Hasserfüllt und gleichzeitig ängstlich richtete ich mich langsam auf, spähte über die Lehne des Sofas, folgte ich der Gestalt mit meinem Blick. Ryans Vater, Mister Parker, die Nummer Eins der Hounds of Hell himself, schritt durch den Flur auf uns zu, als sei es das Natürlichste der Welt.

„Ich denke, es reicht.", meinte er kühl und winkte zwei seiner Männern zu, die hinter ihm in den Flur kamen. Sie zerrten etwas hinter sich her. Ich zog scharf die Luft ein, als ich sah, was es war, oder besser, wer.

Mary blutete aus einer Platzwunde am Kopf, trotzdem wehrte sie sich nach Kräften gegen die beiden Männer, die sie zu Mr. Parker zerrten. Sie spuckte ihn an, sie hatte sogar recht gut gezielt und traf sein Jackett. Aber sie kassierte dafür von einem der Männer einen Schlag ins Gesicht, der sie leicht apathisch machte. Die beiden Männer zwangen sie neben Mr. Parker auf die Knie und drehten ihr die Hände auf den Rücken.

Ryans Vater betrachtete sie wie ein Stück Dreck. Ich zielte immerhin mit meiner Glock in seine Richtung, doch ich fühlte mich wie erstarrt. Ryans Vater würde mein ganzes Leben zerstören. Er würde mir alles nehmen, was ich liebte. Das hatte er schon seit so langer Zeit getan.

Ryans Vater zückte nun seinerseits eine Waffe und hielt sie Mary an die Schläfe. Ich keuchte auf. Nein, nicht so schnell!

„Mädchen, keine Angst. Kommt einfach hinter dem Sofa hervor, du und dein Bruder und ich verspreche, es wird euch nichts geschehen", rief mir Ryans Vater zu und ich fühlte mich, als würde ich gleich kotzen. Ich wagte es nicht, den Blick von Ryans Vater zu nehmen, doch ich spürte, wie sich Marc neben meinem linken Fuß bewegte.

„Marc, bleib unten!", schrie ich panisch. Er fluchte leise. Ryans Vater lächelte, als würde ihm die ganze Situation außerordentlich Freude bereiten, was vermutlich sogar der Fall war.

„Tja, wie es aussieht, hast du nicht besonders viele Optionen", meinte er genüsslich. Ich wünschte mir in dem Moment so sehr, Blicke könnten töten. Mein Blick schweifte zu Marc. Ich hatte das Gefühl, er wollte mir etwas sagen, doch ich war mir nicht hundertprozentig sicher, was es war.

„Entweder ihr kommt jetzt sofort raus oder ich erschieße deine Schwester", fuhr Mr. Parker fort, mir zu drohen. Marc fixierte mich weiterhin mit seinem Blick, verzweifelt versuchte ich, ihn zu entschlüsseln. Ich glaubte zu wissen, was er wollte, doch die Durchsetzung war schwierig. Falls Mary nicht schnell genug verstand, was ich wollte...

„Wenn ihr euch allerdings entschließt, dort zu bleiben, erschieße ich erst deine Schwester und dann werden meine Männer euch beide erwischen", führte Ryans Vater weiterhin seinen Plan aus. Marc sah mich inzwischen so wütend an, dass ich mir ziemlich sicher war, ihn richtig verstanden zu haben, auch wenn ich immer noch nicht verstand, wie er das von mir verlangen konnte. Was wenn es nicht funktionierte? Dann war Mary tot.

Ich schloss die Augen, meine Schultern sanken nach unten, ich sammelte Energie für die schwerste Entscheidung meines Lebens, die ich treffen musste. Doch noch bevor ich meine Augen wieder öffnete, wusste ich, was ich tun würde.

„Mary, runter!", schrie ich. Meine Stimme gellte in meinen Ohren. Gleichzeitig, schneller als dass irgendeiner von den Männern reagieren konnte, hob ich meine Waffe und schoss Mr. Parker in die Brust.

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt