Execution

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Mary brach in Tränen aus. Schluchzend klammerte sie sich an mich und vergrub ihren Kopf an meiner Schulter. Ich blickte geschockt zu Marc. Er sah nicht weniger entsetzt aus.

„Scht, das wird schon wieder...", murmelte ich und strich Mary immer wieder über den Rücken. Irgendwas roch auf einmal seltsam und als Marc einen Schritt auf uns zu machte, konnte ich die Pfanne sehen, aus der dunkler Rauch aufstieg.

„Marc", rief ich alarmiert, deutete auf die Pfanne und er drehte sich um. „Scheiße!", fluchte er, stellte hastig die Pfanne vom Herd und drehte die Temperatur runter. Mary weinte weiterhin an meiner Schulter. Ich verzog das Gesicht. Was um alles in der Welt hatte sie gesehen?

„Ok, Mary, wollen wir uns nicht setzen?", fragte ich sie. Sie hob ihren Kopf von meiner Schulter. Ihre Augen blickten mich apathisch an. Sie schluchzte nicht mehr so hefig, doch es liefen ihr weiterhin die Tränen ungebremst über die Wangen. Ich führte sie langsam zum Küchentisch und sie ließ sich kraftlos auf die Bank fallen. Ich setzte mich direkt neben sie, damit ich sie weiter im Arm halten konnte.

„Also, ganz von vorne, was ist passiert?" Mary keuchte auf.

„Ich...", sie schluchzte ein weiteres Mal, dann schien sie sich ein bisschen zu fangen. „Ich war heute Nachmittag bei Louis. Ich wollte schon viel früher nach Hause kommen, doch wir haben so lange gebraucht, um uns zu verabschieden..." Sie schluckte mehrmals schnell hintereinander und ich konnte ihren Kehlkopf hektisch hüpfen sehen.

„Ich bin gelaufen, weil ich noch ein bisschen von der frischen Luft abkriegen wollte und dann..." Die Tränen, die gerade nachgelassen hatten, begannen wieder heftiger zu fließen. Mary wischte sie heftig weg. Ihre Augen waren schon total gerötet.

„Was ist dann passiert?", drang ich weiter in sie.

„Da waren diese beiden jungen Männer. Sie wurden in ein Haus gezerrt. Es sah nicht so aus, als würden sie freiwillig mitgehen und ich habe überlegt, ob ich die Polizei rufen soll. Aber ich wusste nicht, was ich denen am Telefon hätte sagen sollen, deswegen bin ich näher ran und...", sie stockte wieder, „ich konnte durch ein Fenster sehen. Die von den Hounds of Hell haben sie hinknien lassen und dann..." Mary stierte vor sich hin, als würde sie alles genau vor ihrem inneren Auge sehen. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus.

„Sie haben sie erschossen!", in ihrer Stimme klang pures Grauen mit, „sie haben sie direkt in den Kopf geschossen!" Ich drückte sie impulsiv an mich und sie fing wieder an zu weinen. Über den Tisch hinweg sah ich Marc an. Er sah ernst zurück.

„Mary", fragte er mit sanfter Stimme, um sie nicht noch mehr aufzuregen, „hat dich irgendjemand gesehen?" Er versuchte, seine Stimme unbekümmert klingen zu lassen, doch ich konnte die Unruhe, die ihn erfasst hatte, spüren.

„Ich glaube nicht", murmelte Mary in meine Schulter. Marc runzelte die Stirn.

„Du glaubst es oder du weißt es?", bohrte er nach.

„Ich weiß es nicht", schluchzte sie, „ich habe mein Klappmesser verloren..." Die Kontrolle über mein Gesicht entgleiste mir. Wenn sie das Messer fanden, konnte es sie vielleicht hierher führen, zu Mary. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was sie mit ihr machen würden. Wahrscheinlich würden sie sie einfach erschießen, um sicher zu gehen, dass sie nicht zur Polizei gehen würde. Mir wurde schlecht.

Marc beugte sich über den Tisch und legte eine Hand auf Marys Schulter. Sie hob den Kopf und sah ihn an. Er lächelte beruhigend oder zumindest versuchte er es, doch ich konnte sehen, wie nervös er war. „Ich muss dich noch eine Sache fragen, dann lasse ich dich in Ruhe", versprach er ihr. „Hast du die Gesichter der Männer sehen können, die erschossen worden sind?" Mary nickte. Marc holte sein Handy aus der Hosentasche und tippte und wischte ein paar Sekunden darauf herum. Dann hielt er es Mary hin. Auf dem Display war ein Foto zu sehen, auf dem Marc und ein anderer junger Mann drauf waren.

„War der eine Mann der auf dem Foto?", fragte er drängend. Seine Augenbrauen hatten sich über seinen dunklen Augen zusammengezogen. Mary betrachtete das Foto kurz. Dann nickte sie.

„Ja, der eine sah so aus." Marc wurde bleich. Abrupt sprang er vom Stuhl auf. Er bewegte sich so heftig, dass der Stuhl krachend umfielt, doch Marc kümmerte sich nicht darum. Mit schnellen Schritten war er beim Fenster und stützte sich am Rahmen ab. Er umklammerte das Holz so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Ich schloss kurz die Augen. Schien so, als hätte Marc den einen Mann gekannt.

Eine Weile sagte niemand ein Wort. Ich fühlte mich hilflos. Meine beiden Geschwister litten und ich konnte nichts tun, um ihnen zu helfen. Angst um Mary durchflutete mich. Ich musste sie vor den Hounds of Hell beschützen, sie irgendwie in Sicherheit bringen. Marc war vielleicht ebenfalls in Gefahr, wenn er den einen Mann gekannt hatte. Ich glaubte nun zu wissen, wieso er nicht mehr in seine alte Wohnung zurück wollte. Falls der Junge auf dem Foto sein Mitbewohner gewesen war, der in Schwierigkeiten geraten war, die nun offensichtlich mit einem Kopfschuss gelöst worden waren, konnten die Hounds of Hell durchaus auf den Gedanken kommen, Marc würde auch mit drinstecken, was auch immer das für Schwierigkeiten gewesen waren.

Mary beruhigte sich langsam. Ich beschloss, sie auf das Sofa zu bugsieren, damit ich in der Küche mit Marc sprechen konnte. Mary folgte mir ohne Widerspruch und ich deckte sie mit der Sofadecke zu. Lily und David saßen auf dem Teppich und sahen einen Kinderfilm im Fernsehen. Automatisch wandte auch Mary ihren Kopf zum Fernseher und ich hoffte, sie wäre für die nächsten Minuten gut aufgehoben.

Als ich in die Küche zurückkehrte, hatte Marc seinen Kopf an das kalte Glas gelehnt. Vorsichtig näherte ich mich ihm und legte meine Hand auf seinen Rücken. Er zuckte zusammen, offensichtlich hatte er mich nicht gehört.

„Hey, alles in Ordnung mit dir?", fragte ich leise. Er wandte den Kopf zu mir und ich konnte sehen, wie sehr ihn die Nachricht aufgewühlt hatte.

„Nein, eigentlich nicht", meinte er mit einem bitteren Zug um den Mund, „Jimmy war... Er war mein bester Freund. Er war immer für mich da. Er... Er hat es nicht verdient, so zu sterben!" Marc schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, schienen sie vor Wut zu glühen. „Fuck! Am liebsten würde ich irgendwas kaputt machen! Nein, noch lieber würde ich die Wichser umbringen, die ihn erschossen haben!" Seine Stimme klang hart. Ich betrachtete ihn voller Sorge. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, nahm ich ihn in die Arme. Er drückte mich an sich und ich konnte spüren, wie er innerlich erbebte. Einige Sekunden standen wir still, dann löste ich mich wieder von ihm. Ich brauchte ihn.

„Marc, ich brauche deine Hilfe", erklärte ich ihm unumwunden, „du musst mir helfen, Mary vor den Hounds of Hell zu verstecken..."


So, das wars mal wieder. Ich hoffe, es hat euch gefallen, auch oder gerade weil sich eure schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheitet haben ;) Schönes Wochenende noch, bzw. wer hat denn eigentlich alles schon Sommerferien?

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt