Vorbereitung

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Ich war dagegen. Natürlich war ich dagegen, dass meine kleine Schwester auf die Party ging, zu der Ryan mich erst vor ein paar Stunden eingeladen hatte. Eine Party, zu der haufenweise ältere Jungen kommen würden, Jungen wie Ryan und Kyle und Ian, die versuchen würden, sie auszunutzen wie eine billige Schlampe. Die versuchen würden, sie abzufüllen, bis sie sich nicht mehr wehren würde.

All das versuchte ich, ihr zu erklären, ihr meinen Standpunkt klar zu machen, doch alles was zu ihr durchdrang, war dass ich sie nicht hinlassen wollte. Sie wollte mir zuerst nicht glauben, dass ich es nicht erlauben würde. Dann wurde sie verzweifelt und bettelte mich an. Schließlich wurde sie wütend und schrie mich an, ich wäre so langweilig und hässlich und hätte sowieso keine Freunde, weswegen ich gar nicht wüsste, wie das sei. Dann lief sie in unser Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Ich legte meinen Kopf auf meine verschränkten Arme. Während sich Tränen in meinen Augen sammelten, verfluchte ich mein Leben.

Ich sollte nicht diejenige sein, die ihr verbot zu einer Party zu gehen. Ich sollte nicht diejenige sein, die sie nach Erlaubnis fragte. Ich sollte diejenige sein, die ihr half, nachts aus der Wohnung zu kommen und trotzdem zur Party zu gehen. Verdammt, wir hatten uns noch nie so sehr gestritten. Wir hatten uns immer gut verstanden. Sie war das schöne, beliebte Mädchen und ich diejenige, die die Verantwortung trug und sich um alles kümmerte. Und sie war meine größte Hilfe.

Aber sie war verliebt, in diesen Jungen, Louis, und sie wollte unbedingt mit ihm auf diese Party, um ihm zu zeigen, dass sie cool war. Aber warum musste es ausgerechnet diese Party sein? Mit einem letzten Blick auf meine Hausaufgaben beschloss ich, dass es für heute keinen Sinn mehr hatte. Ich würde ins Bett gehen, eine Nacht darüber schlafen und morgen noch einmal über die Sache nachdenken.

Der Samstag begann spät. Ich hatte ausschlafen können, weil sich Tyler um Finn gekümmert hatte, als er aufgestanden war. Etwas verschlafen schlich ich in die Küche, wo alle schon am Frühstückstisch saßen und mir bereitwillig Platz machten. Marys Blick lag leicht hoffnungsvoll und gleichzeitig leicht verbittert auf mir. Innerlich seufzte ich. Noch ein Problem, für das ich eine Lösung finden musste.

Doch zuerst würden wir in den Park gehen, ich und meine Geschwister. Tyler war zwar nicht begeistert, doch er ließ sich überreden und so machten wir uns nach dem Mittagessen auf. Wir besaßen keinen Kinderwagen für Finn, da Mutter den Alten zum Pfandhaus gegeben hatte, als Lily zu groß geworden war. Also trugen wir ihn abwechselnd. Im Park gingen wir eine Weile spazieren und setzten uns dann auf eine Bank. Bis auf Lily und David, die auf den Rasenflächen Fangen spielten. David war natürlich immer schneller als Lily, er war schließlich vier Jahre älter als sie, und sie lachte immer wieder entzückt auf, wenn er sie fing.

Als wir nachmittags nach Hause kamen, hatte ich immer noch nicht über Mary und die Party nachgedacht. Vater war einkaufen gewesen und hatte neuen Kaffee besorgt. Ich setzte mich mit einer Tasse an den Küchentisch und machte meine Hausaufgaben weiter. Mary saß neben mir und knetete ihre Hände. Ich wusste, dass ich irgendwann eine Entscheidung treffen musste.

Als sie fragte, war ich immer noch unschlüssig. Mir war einfach nicht wohl bei dem Gedanken, meine Schwester auf eine Party zu lassen, ohne zu wissen, wer sich um sie kümmern würde. Ich kannte Louis nicht. Ich wusste nicht, ob er auf sie aufpassen würde.

Wieder schrien wir uns an, doch diesmal kam Vater in die Küche und fragte uns, was denn los sei. Ich seufzte.

"Sie möchte auf eine Party, aber ich bin dagegen." Kurz sah er Mary überrascht an, dann musterte er sie von oben bis unten. Ich überlegte, ob er überhaupt wusste, wie alt sie war.

"Eine Party", sagte er schließlich beinahe erstaunt. Mary fing an zu erklären.

"Ja, eine Party, Papa. Sowas machen Leute in meinem Alter. Sie gehen auf Partys und reden miteinander und tanzen ein bisschen. Alles ganz harmlos!" Sie sah mich vorwurfsvoll an. Unser Vater konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, er hätte Mary komplett durchschaut.

"Harmlos also", er wandte sich an mich, "warst du schonmal auf so einer Party?" Ich schüttelte den Kopf. Mary schrie empört auf.

"Aber doch nur, weil sie nie zu einer eingeladen wurde!" Das tat weh. Und ich war sehr wohl schon einmal zu einer Party eingeladen worden. Gut, das war erst gestern gewesen und mit ein Grund, weshalb ich sie nicht hinlassen wollte, aber trotzdem.

"Ich bin auch eingeladen, aber ich werde nicht hingehen." Vater sah mich erstaunt an.

"Also Mary ist auf diese Party eingeladen und will hingehen, du bist auch eingeladen, gehst aber selber nicht hin und möchtest auch nicht, dass sie hingeht", fasste er die ganze Sache zusammen. Ich seufzte, dann nickte ich.

"Was haltet ihr von der Lösung, dass ihr einfach beide hingeht, anstatt beide nicht hinzugehen?" Mary stieß einen Freudenschrei aus, während ich Vater entsetzt ansah. Wie kam er denn auf den Scheiß? 

Mary war schon aufgesprungen, umarmte Vater und lief dann in unser Zimmer, um zu überlegen, was sie anziehen sollte. Ich hatte mich nicht vom Fleck gerührt.

"Vater, das ist nicht dein Ernst!", versuchte ich, ihn von seinem Vorschlag abzubringen. Er erwiederte meinen gequälten Blick ernst.

"Liz, sei mal nicht so verklemmt. Meinst du nicht, etwas Spaß würde dir ganz gut tun?"

Ich schwankte. Ich war versucht abzulehnen, doch dann fiel mir Marys Blick ein, als Vater gesagt hatte, sie dürfe auf die Party. Sie hatte sich so sehr gefreut. Es wäre gemein, diese Freude nun einfach so zu zerstören, egal wie angepisst ich gerade von meinem Vater und seiner Entscheidung, sich einfach über mich hinwegzusetzen, war. Ich atmete einmal tief durch. 

"Also gut, ich verspreche, ich passe auf sie auf." Vater lächelte mich an und ich konnte seine gelb verfärbten Zähne sehen.

"Versprich mir lieber, dass du zumindest versuchst, den Abend zu genießen."

Mary wirbelte wieder in die Küche, zog mich auf die Beine und lief mit mir in unser Zimmer. Ich setzte mich auf mein Bett und sah ihr wider Willen grinsend dabei zu, wie sie Klamotten aus unserem Schrank nahm und überlegte, ob sie für sie oder mich das Richtige wären. Schlussendlich suchte sie mir eine helle Jeans und ein abgeschnittenes T-Shirt und für sich selber eine schwarze Jeans und eine dünne Bluse heraus. Ich ließ ihr ihren Willen und hoffte für uns beide, dass es bei Kyle warm genug sein würde.

Im Bad schminkte sie zuerst sich selbst und dann mich. Es fühlte sich seltsam an, Farbe im Gesicht zu tragen. Ich hatte mich nie geschminkt, hatte es immer als Zeitverschwendung angesehen, jeden Gedanken, einem Jungen gefallen zu wollen, hinten an gestellt. Als ich in den Spiegel schaute, war ich kurz erstaunt. Ich sah ausgeruht und frisch aus, meine dunklen Augen umrahmt von schwarzen, langen Wimpern. Das Rouge, wie Mary es nannte, betonte unauffällig meine hohen Wangenknochen. Ich strahlte Mary an und sie strahlte zurück.

Dann machten wir uns auf den Weg.

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt