Die another day

20.9K 745 63
                                    

Der Schuss hallte in meinen Ohren nach. Die Kugel durchschlug den Oberkörper von Ryans Vater und er wurde von der Wucht der Kugel zurückgeschleudert. Mary hatte sich bei meinen Worten nach vorn geworfen und damit den Mann überrascht, der sie festgehalten hatte. Sie schlug der Länge nach auf den Boden. Der Mann hinter ihr machte einen Schritt nach vorn, wollte sie packen. Doch bevor er ihr T-Shirt zu fassen bekam, schnellte Marc hinter dem Sofa hervor, erwischte Mary am Handgelenk und zerrte sie hinter das Sofa.

Ich richtete meine Waffe auf die beiden Männer, die schutzlos und ohne gezogene Waffen im Flur standen. Mit undurchdringlicher Miene sah ich sie an. Ein weiteres Patt. Aber ich hatte nicht an die Männer in den Durchgängen zu den anderen Räumen gedacht. Ein Arm reckte sich hervor, ein Arm mit einer Waffe. Schnell ließ ich mich wieder fallen.

Ich sah schweratmend nach rechts, zu Marc und Mary. Marc hatte sie fest umklammert und kauerte mit ihr am Boden, dicht an das Sofa gedrückt. Marys Gesicht war tränennass. Kugeln flogen über uns hinweg, schlugen teilweise in die Wand ein, teilweise durch die nicht mehr vorhandene Terassentür nach draußen. Ich konnte nur hoffen, dass nicht irgendein unbescholtener Nachbar von einer verirrten Kugel getroffen wurde. Kugeln durchlöcherten die Rückseite des Sofas, zerfetzten den Bezug, drangen in die Polsterung ein. Warum drangen sie nicht bis zu uns durch? Konnte mir andererseits auch egal sein, solange sie uns nicht erreichten.

Einige Sekunden lang hörte man nur das Knallen der Schüsse. Ein bisschen wie Regen, der auf Fensterscheiben prasselte, nur viel, viel lauter und so viel gefährlicher.

Nicht einmal eine Minute später hörte der Kugelhagel auf. Keine Munition mehr, vermutete ich. Ich hörte das metallische Klicken, als die Magazine aus den Sturmgewehren gelöst wurden. Ich überprüfte meine Munition, nur noch drei Kugeln, die Hälfte hatte ich bereits verschossen. Ich machte mich auf den nächsten Kugelhagel gefasst, doch bevor die Männer wieder anfangen konnten zu schießen, ließ mich das Geräusch von Schritten in dem Flur aufhorchen, mehrere Schritte.

Kurz herrschte Stille. Dann hörte ich Noah fluchen und eine andere Stimme aufschreien. Verzweifelt schloss ich die Augen. Ryan war hier. Ich konnte mir denken, was er sah. Seinen toten Vater, blutüberströmt und mit einer Kugel in der Brust. Meiner Kugel. Ich hatte Ryans Vater getötet. Ich hatte einen Menschen getötet.

Eine Zeit lang war es still. Ich konnte mir nicht ausmalen, was gerade auf der anderen Seite des Sofas vor sich ging. Schließlich ließ die Stimme von Noah mich zusammenzucken.

„Männer, entfernt euch." Die Schritte ließ vermuten, dass die Männer der Aufforderung nachkamen. Vorsichtig und langsam richtete ich mich auf, meine Waffe stets auf den Ursprung der Stimme gerichtet. Als mein Kopf über den Rand des Sofas ragte, traf mein Blick den von Noah und ich zuckte zusammen. Noah musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Schräg hinter ihm kniete Ryan neben dem toten Körper seines Vaters. Seine Hände waren rot vor Blut und sein Gesicht war bleich. Seine Augen starrten mich mit solcher Intensität an, dass mir schlecht wurde.

„Keine Sorge, ich werde euch nicht erschießen", meinte Noah zu mir und hob, wie um seinen Worten noch mehr Bedeutung zu verleihen, die Hände. Misstrauisch sah ich ihn an.

„Ich würde nur gern...", fuhr Noah fort, „Deine Geschwister sind dort bei dir, nicht wahr? Ich würde deinen Bruder gern etwas fragen. Nur eine einzige kurze Frage..." Ich wollte gerade einwenden, dass Marc ihn gut hören konnte, als er mich schon unterbrach.

"Stellen Sie ihre beschissene Frage. Ich bezweifle, dass sie mit der Antwort zurfrieden sein werden...", höhnte Marc, immer noch am Boden liegend.

"Wo ist das Koks?", fragte Noah mit unbewegter Miene.

"Ich weiß es nicht!", rief Marc triumphierend. "Eure ganze Jagd nach uns war umsonst..."

„Marc, bist du wahnsinnig?", zischte ich. Es war ja wohl nicht besonders schlau, den Bruder des Mannes zu reizen, den ich gerade erschossen hatte. Doch bevor er irgendetwas entgegnen konnte, riss sich Mary plötzlich mit einem Aufschluchzen von Marc los, kam auf die Beine und sprintete auf die Terassentür zu.

Er Schuss ertönte, Marys Körper zuckte noch auf halbem Weg zur Terassentür zusammen, sie schrie auf und sackte dann auf den Boden. Mein Blick, der auf Mary gerichtet gewesen war, drehte sich zu Noah, der gerade mit zufriedenem Haifischgesicht seine Waffe sinken ließ. Wie in Zeitlupe ließ ich meine Waffe auf das Sofa fallen, drehte mich um und war mit ein, zwei Schritten bei Mary.

Sie war auf den Boden gefallen, kauerte dort wie ein Häufchen Elend, mit dem Gesicht nach unten. Mit zitternden Fingern drehte ich sie um, ein roter Fleck breitete sich auf ihrem beigen T-Shirt aus. Doch ihre Augenlieder flatterten. Sie war noch bei Bewusstsein.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Marc sich aufrichtete und brüllend seine letzten Kugeln in den Flur verschoss. Doch Noah hatte Ryan schon gepackt und war dabei, sich in Sicherheit zu bringen. Irgendwo in der Ferne konnte ich Sirenen heulen hören. Meine Finger bebten immer noch, trotzdem versuchte ich, sie auf das Loch in Marys Rücken zu drücken. Sie verlor so viel Blut...

„Oh mein Gott! Ruft einen Krankenwagen!", meine Stimme kiekste. Plötzlich war Marc da, sein Handy in der Hand. Er redete hektisch auf die Person am anderen Ende der Leitung ein.

Marys Blick schweifte hin und her, konnte sich nicht richtig auf irgendetwas fixieren. „Mary, bleib bei mir!", redete ich ihr zu, „hör zu, du musst wach bleiben!" Ihr Blick fand mich, verlor mich, fand mich wieder.

„Liz...", flüsterte sie heiser. Ich wollte weinen, schreien, toben, doch ich konnte nur meine glitschigen Hände auf das Loch in ihrem Rücken drücken und darum flehen, dass der Krankenwagen schnell genug kam.

Marc legte das Hand beiseite, schob mich weg und drückte seine großen starken Hände auf die Wunde. Ich rutschte hoch zu Marys Kopf, nahm ihn sanft hoch und legte ihn auf meine Oberschenkel.

"Alles wird gut...", versprach ich ihr und strich ihr eine verklebte Haarsträne aus dem Gesicht. Ihre Augen blickten mich an, doch sie schien langsam von mir weg zu treiben.

Dann traf endlich mit Sirenengeheul und quietschenden Reifen der Krankenwagen ein. Geübte Sanitäter drücken mich beiseite, kümmerten sich gekonnt um meine Schwester, während ich mich auf den Boden setzte. Das Blut rauschte in meinen Ohren und ich merkte, wie sich mein Gesichtsfeld verkleinerte. Verzweifelt steckte ich den Kopf zwischen die Beine. Es dauerte etwas bis das half.

Ich sah wieder auf, als sich ein junger Polizist vor mich hinkniete. Er sah mich gleichzeitig besorgt und streng an. Mit der einen Hand deutete er auf etwas und ich folgte seinem Blick.

Dort, auf dem Rücken, leicht verdreht, lag Ryans Vater. Sein ehemals weißes Hemd, das er getragen hatte, hatte sich vollständig rot gefärbt vom Blut und beim Anblick der Leiche wurde mir schlecht. Schnell wandte ich den Blick wieder ab.

„Der Mann dort, weißt du, wer ihn erschossen hat?", drang nun endlich die Frage des jungen Polizisten zu mir durch.

„Ja", erwiderte ich wie in Trance, „ich war das." Ich senkte den Blick, um nicht in das geschockte Gesicht des Polizisten sehen zu müssen. Trotzdem bekam ich mit, wie er einen Schritt zurückwich, seine Waffe zog und auf mich richtete.

"Legen Sie sich auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten", befahl er, "Legen sie ihre Hände auf ihren Rücken." Ich befolgte seine Anweisungen widerspruchslos.

Kaltes Metall schloss sich um meine Handgelenke und ich hörte das Klicken der Handschellen. Im nächsten Moment wurde ich von dem Polizisten auf die Beine gezerrt und aus dem Haus gedrängt.

Ich wandte meinen Kopf, als ich aus dem Haus kam und auf die Rückbank eines Polizeiwagens verfrachtet wurde und konnte einen letzten Blick auf meine kleine Schwester erhaschen, die auf einer Trage in den Krankenwagen geschoben wurde. Marc war bei ihr, er erwiderte meinen Blick und nickte. Er würde sich um sie kümmern.

The dark inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt